Lunéville, das Versaille der Lorraine

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“Lorraine” – klingt das nicht weich, weiblich, sanft?
Deutsch: “Lothringen” – weniger. Aus einer Dreiteilung des Fränkischen Reichs entstand 843 das Lotharii Regnum, das nach seinem König benannte „Reich des Lothar“.

Lothringen erreicht man von Zürich aus mit dem Auto in rund drei bis vier Stunden.
Ins Elsass reisen viele Schweizer. Aber Lothringen? Es erinnert an die Weltkriege und an Schwerindustrie. Damit tut man der Lorraine völlig Unrecht. Es ist eine wunderschöne Landschaft, hat interessante Städte und bietet kulturell sehr viel.

Lothringen grenzt im Norden an Belgien und Luxemburg, im Westen an Deutschland. Es gehörte im Laufe seiner wechselhaften Geschichte auch immer mal wieder zu Deutschland.

Meine erste Station in Lothringen war Lunéville, eine Stadt, die mich sehr französisch angemutet hat – aber anders als oft in Paris sind die Menschen hier offen, hilfsbereit und freundlich.

Warum gefällt mir Lunéville so gut und warum empfinde ich es als “so französisch”?

Opulente Schlösser, die vom Reichtum des Adels zeugen, und Statuen von wichtigen Männern sind für mich “sehr französisch”.

Zudem die immensen Parkanlagen im französischen Renaissance-Stil. In Form gebrachte Natur, Bäume in Quaderform geschnitten. Und Springbrunnen. Imposant!

Ich mag aber englische Gärten lieber. Auch in Frankreich.

Zu Frankreich gehören blühende Bäume und Büsche…

… vor historischen Mauern.

Zu Frankreich gehören ein typisches Blau und Türkis.
Und diese gusseisernen Phallussymbole, die überall auf dem Trottoir stehen. Und dass trotzdem überall Autos parkiert sind.

Für mich gehören zu Frankreich Kirchen und Kathedralen, in denen Kerzen brennen und Menschen Trost finden. Wie hier in der Kirche St. Jacques.

Die Kirchen erzählen aber auch von der Macht der männlichen Kirchenfürsten und mit dem Archetypen der Maria von der klaglos leidenden Demut der Frauen.

Zu Frankreich gehört für mich die Gelassenheit vieler Steinfiguren, an denen der Zahn der Zeit nagt.

Aber auch wunderschöne Orgeln und Musik.

Dieses Haus ist für mich typisch französisch. Von vorne wie ein Palast – in Wirklichkeit handtuchbreit. Die Rückseite kann man sich selbst vorstellen.

Typisch ist dieser Balkon, extrem schmal, aber liebevoll wohnlich gestaltet.

Typisch sind die Strassenschilder (das unterste bedeutet NICHT “Sauf auf dem Velo”) und die vielen Café-Bars.

An der Rue de la Charité füttert jemand Tauben – irgendwie auch typisch.

Typisch ist die Liebe zu Literatur – und vor allem auch zu Comics.

Typisch sind die Treppenhäuser…

und die ausgetretenen Treppenstufen, die mich immer rätseln lassen, wer wohl hier rauf und runter ging.

Und die Weinkeller.

Typisch sind bestimmte Getränke…

… und leben “wie Gott in Frankreich”.

Für mich als Reisende hingegen typisch ist die Freude an den vielen witzigen und schönen Details…

… die Geschichten erzählen und Fragen aufwerfen, die niemand beantworten kann.

Ich mag Kellergewölbe und ihre Geheimnisse…

… offene und begrenzte Perspektiven…

… und Fenster, die Bilder rahmen.

 

Und vor allem mag ich das Licht und die langen Schatten am Abend……wenn sich die Häuser und Brücken im Wasser spiegeln.

Typisch die Flaggen, die Trikolore flattert allgegenwärtig.
Ich war glücklich über diese vielen Entdeckungen in dieser schönen Stadt und im prächtigen Schloss, aber auch ziemlich müde  – und offensichtlich nicht die einzige, die etwas erschöpft war.

All das ist Lunéville in der Lorraine – typisch französisch. Meine individuellen Eindrücke während eines Nachmittags und Abends.
Was ist für Dich typisch französisch?
Es ist immer wieder interessant, sich vorzustellen, wie vielleicht jemand anders eine Stadt sehen würde, welche Sujets er für das Fotografieren wählen würde.

Lunéville ist aber auch einzigartig. Nicht zuletzt wegen Stanislas.

Von französischen Truppen besetzt, kehrte der in Wien aufgewachsene Herzog von Lothringen, Leopold I., 1702 seiner Hauptstadt Nancy den Rücken und zog mit seinem Hofstaat nach Lunéville. Dort liess er von Germain Boffrand ein prächtiges Schloss errichten – nach dem Vorbild des Palasts von Versaille von Ludwig XIV.
Sein Nachfolger, der Polenkönig Stanislaus I. Leszczyński (1677 bis 1766)  machte Lunéville zu einer besonderen Stadt. Seine Tochter war mit Louis XV verheiratet. Diese Schwiegervaterschaft brachte ihm 1737 nach turbulenten Thronfolgestreitigkeiten in Polen die Herzogtümer Lothringen und Bar ein, die nach seinem Tode an das Königreich Frankreich fielen.
Über diesen Stanislaus gäbe es eine Menge zu erzählen. Er galt als sozial engagierter Wohltäter und verrückter Spinner. Beispielsweise im Schloss Lunéville liess er eine Anlage bauen, wo Berufe seiner Zeit mit Figuren dargestellt waren, die mittels komplexer Mechanik die typischen Bewegungen ausführten.

2003 brannte das Schloss, noch sind grosse Teile im Wiederaufbau, der teilweise mit Spenden finanziert wird.

Zudem gibt es noch etwas Einzigartiges in Lunéville: Die Chambre d’hôtes “Le Domaine de Stanislas“.

Ich habe schon öfter in B&Bs übernachten dürfen, die von Frauen in der Lebensmitte – vorher beruflich erfolgreich in verschiedenen Berufen – als Lebenstraum verwirklicht wurden. “Gästehaus”, so würde man übersetzen. “Ich bin kein Hotel”, machte Catherine Paillard von Le Domaine de Stanislas, ehemalige HR-Frau, deutlich. “Ich bin Gastgeberin.”

Die Zimmer sind stilvoll eingerichtet.

Es gibt ein klares Farbkonzept.

Catherine Paillard pflegt den Park mit den Gemüsebeeten mithilfe ihres Vaters. Ihre Schwester unterstützt sie bei der Hausarbeit.

Sie legt Wert darauf, eigene Produkte und Produkte aus der Region liebevoll für ihre Gäste zuzubereiten.

Gern zeigt sie den Garten. Typisch für Lothringen: Der Mirabellenbaum. Darüber, was die Lothringer mit Mirabellen alles herstellen, berichte ich in einem der nächsten Blogbeiträge zu Nancy und zu Metz.

Um mit Gewissheit zu glauben,
musst du erst einmal zweifeln.

Stanislaw I. Leszczynski (1677 – 1766)

Informationen
Lorraine Tourisme
Lunéville Tourisme
Le Domaine de Stanislas
Film zum Schloss Lunéville

Musik
Es gibt einen beschwingten Lothringer Marsch.
Und ein Lied, das vom Leiden der Bauern in Lothringen erzählt.

In Lothringen wurde 1771 Nicolas Chopin geboren, der als Sprachlehrer in Polen arbeitete. Er war der Vater von Frédéric Chopin.
Variationen über “Là ci darem la mano
Romanze
Walzer
Mazurken

Dank
Ich danke Caroline Ducasse und Didier Rochat für die Organisation der Reise nach Lothringen. Herzlichen Dank an Alice Lambert für die Führung im Schloss Lunéville und Catherine Paillard für ihre Gastfreundschaft.

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  1. ritanna

    Noch so gerne tauche ich in Geschichte ein; ein Glücksgefühl erfüllt mich, wenn ich auf solche leichten Anstösse wie; “Aus einer Dreiteilung des Fränkischen Reichs entstand 843 das Lotharii Regnum, das nach seinem König benannte „Reich des Lothar“. Dann versinke ich in die Geschichte- und – wenn ich mir dann all die Intrigen und Machtkämpfe in ihrer eigenen Familie vorstelle – so fühle ich mich im hier und jetzt auf unserer Welt:
    Lothar I. war ältester Sohn Ludwigs des Frommen. 817 wurde er Mitkaiser Karl des Grossen. 822 erhielt er Italien. Ein Jahr später von Papst Paschalis die Kaiserkrone. 829 empörten sich die Söhne Ludwigs, setzten ihn 830 ab. 833 wähnte nun Lothar seine Herrschaft über das Gesamtreich gesichert. Doch seine Brüder verbündeten sich mit ihrem abgesetzten Vater. Lothar behielt lediglich Italien als Unterkönig. Nach Pippins Tod kam Lothar wieder zu Gnaden. Bruder Ludwig und Karl schlugen ihn jedoch 841 . Die Teilung von Prüm war 855, Lothar schwer erkrankt teilte sein Reich unter seine Söhne.
    Dies alles tönt wie ein übler Krimi und ist doch belegt. Das Volk musste all dies mitmachen, auf seinem Buckel wurde es ausgetragen.
    Nichts desto weniger erlangte Stanislaus I. 1704 nach Vertreibung Augustus des Starken durch Karl II, als Vasalle od. Klientel des schwedischen Königs die poln. Krone, die er aber 1709 wieder verlor. Nach Tod Augustus1733 wurde er mit franz. Unterstützung erneut zum König von Polen gewählt. 1735 leistete er auf Polen Verzicht gegen Entschädigung Herzt. Lothringen und Bar.
    Da wurde Handel betrieben wie heute mit Baugrundstücken.
    Umso grösser ist meine Verwunderung, dass trotz der Bekämpfungen diese wunderschönen Zeit Zeugnisse heute noch bestehen. Die Mächtigen gingen in die Weltgeschichte ein. Wir dürfen ihre grandiosen Geistesvorstellungen bewundern.
    Im Weiteren; “Die Kirchen erzählen von der Macht der männlichen Kirchen-fürsten.” Wie man geschichtlich liest; bedienten sich Könige und Kaiser deren sakralen Weihen um damit ihre Befähigung zur Herrschaftsausübung sichtbar zu machen. Mehrfachkrönungen waren im Mittelalter üblich, besonders an fest-lichen Anlässen religiöser wie auch politischer Natur.
    Liebe Regula, du hast das ehemalige “Lothringen” und heutige Frankreich so liebevoll in auserwählten Bildern uns näher gebracht.

  2. elfi

    immer wieder spannend, danke.

  3. Rita

    Deine Beschreibung macht Lust auf einen Ausflug von Metz aus!

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