Künstler-Atelier in Ittingen

Über die Kartause habe ich bereits gebloggt, auch über Carmen.
Nun gibt es eine Kombination, denn die Bonstetter Künstlerin Carmen Cabert Steiner hat während sechs Wochen einen Arbeitsaufenthalt in einer Klause machen dürfen.
Ich habe sie besucht und blieb wieder eine Nacht in der Kartause.

Die Stiftung Kartause Ittingen stellt Künstlerinnen, Schriftstellern und Wissenschaftlerinnen zwei der ehemaligen Mönchsklausen für stille Tätigkeiten zur Verfügung.

Die Kartause Ittingen verbindet auf einzigartige Weise klösterliche Werte wie
Kultur, Spiritualität, Bildung, Fürsorge, Gastfreundschaft und Selbstversorgung.

Carmen hatte sich beworben. Und wurde angenommen!

Ich kam am späten Nachmittag nach Ittingen, bezog mein Hotelzimmer und liess den sommerlichen Garten auf mich wirken.

Ich hatte Ittingen im November besucht, es war damals die erste Raureifnacht des Jahres. Eine ganz andere Gestimmtheit.

Jetzt waren die Rosen fast alle verblüht. Ich bekam aber von Corinne Rüegg, PR Verantwortliche für Ittingen, ein Rosenbuch geschenkt (s. am Schluss).

Ittingen hat die umfangreichste Sammlung historischer Rosensorten in der Schweiz. Sie wird gemeinsam von den “Rosenfreunden Winterthur und Umgebung” und den Mitarbeitenden der Kartause gepflegt.

Ich erfuhr von einem Gärtner eine Menge über die Gärten und die anfallenden Arbeiten. Die Leute in Ittingen sind extrem offen und freundlich.

Hier arbeiten viele Menschen in der Gärtnerei, im Landwirtschaftsbetrieb und in der Hotellerie.Liebevoll werden junge Pflanzen angezogen und im Hofladen verkauft.

Der Barockgarten ist das Herz der Rosenanlagen.

Es gibt aber auch Rosengärtchen vor einzelnen Mönchszellen, im Priorgarten, an den Mauern aussen und innen – und der Duftrosengarten ist ein besonderes Bijou.

Zudem gibt es Rosen im Thymian-Labyrinth und im Heilkräutergarten.
Die Pfingstrosen waren längst verblüht, aber so will ich sie nächstes Jahr auch stabilisieren, alte Rebstöcke zu finden wäre toll.

Die Kirschen sind reif.

Die Äpfel und Birnen geben bereits Versprechen ab.

Und der Hopfen wächst direkt in den Himmel.

Ich habe mir eine Hopfenpflanze gekauft, nicht um Bier zu brauen, sondern weil diese Pflanze mir besonders gut gefällt.
In Ittingen wird nicht gebraut. Ittinger Amber wird aber bei Heineken ausschliesslich mit Ittinger Hopfen nach der alten Rezeptur gebraut.

Carmen war nun sechs Wochen in dieser Gartenlandschaft. Eine doppelte Buchshecke schützte ihr Gärtchen vor neugierigen Blicken.

Die Patina der alten Mauern erzählt Geschichten. Wer sieht hier was?

Zuerst schaue ich mir Carmens Klause an.

Bereits die Stufen ins Haus finde ich wunderschön.

Ein Kachelofen kann beheizt werden.

Carmen nutzt ihn als Galerie. Die ganze Klause wird zur Galerie.

Es hat alles Nötige in einer Klause – aber nicht mehr.

Die Kartause Ittingen ist ein idealer Ort, wo man konzentriert arbeiten kann.

Wir sitzen im Garten und ich schaue mir Carmens Arbeiten an.

Carmen bringt Farbe in die alten Gemäuer.

Wo sich damals Mönche schweigend dem Gebet gewidmet haben, herrscht noch heute eine besondere Energie.

Carmen hat nicht nur viel gearbeitet, sondern hat sich geöffnet und sich auch eingelassen in die Atmosphäre, wahrgenommen, was das Aussen mit ihrem Innen gemacht hat.

Das Projekt, an dem sie arbeitete, begann bereits vor 15 Jahren mit einer Auseinandersetzung mit der Bibel: «Am achten Tag – Freiraum für eigene Gedanken».

Ihr philosophisches Interesse am Menschsein, an der Suche nach Wahrheit, an der Auseinandersetzung mit Dogmen und Manipulation und ihr religiöses, spirituelles Empfinden hat sie nun wieder ins Zentrum gerückt: «Wie wunderbar, ich darf sechs Wochen im Künstleratelier der Kartause Ittingen arbeiten, ein kraftvoller, Energie geladener, inspirierender Ort.
Meine abstrakt AUSgezeichnete Bibel ist für die Öffentlichkeit bereit und wartet auf ihren Auftritt. Ohne Worte – das Bild wirkt. Neugierig, was noch alles in mich strömt und aus mir sprudelt, geniesse ich dankbar mein DASEIN, oft im Dialog mit dem Bruder Bruno», erzählte sie am Gartentisch vor ihrer Klause.

Der Kartäuser Orden wurde im 11. Jahrhunderts von Bruno von Köln gegründet. Bruno war für Enthaltsamkeit, Schweigen und Askese, machte aber Kompromisse: Die Häuschen waren durch Gänge untereinander verbunden und an Sonn- und Feiertagen wurden die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen.

Heute stehen die Klausen Rücken an Rücken mit dem Kunstmuseum Thurgau. Neben der Atmosphäre der Spiritualität noch ein Aspekt, der die Kreativität positiv beeinflusst.

Carmen, eine kommunikative Frau, erzählt mit ihrer eigenen Logik: «Ich habe noch nie so viel geschwiegen wie hier. Aber im 11. Jahrhundert wurden die Menschen nicht mal halb so alt wie heute. Also mussten sie auch nicht so lange schweigen.»

Obwohl sie am Anfang lernen musste, auch Leere zuzulassen, hat sie sich schnell ins Alltagsleben in der Kartause integriert und besuchte ökumenische Andachten und andere Anlässe.

Die Kartäusermönche befolgten strenge religiöse Regeln, für ihre Alltagsbedürfnisse sorgten Laienbrüder. Sehr viel Ora, wenig Labora.
Sie gingen Hobbys nach, die in der Klause realisierbar waren, beteten und lasen viel.

«Die haben bestimmt mit sich selbst gesprochen», behauptet Carmen lachend. «Ich habe mich oft mit Bruder Bruno unterhalten.» Naja, er war ziemlich ehrgeizig und eher kühl. Carmen plauderte in ihrer Klause mit allerlei fiktiven “Freunden”.

Eine neue Erfahrung war das Glück, dem eigenen Rhythmus folgen zu können: Schlafen, wenn man müde ist. Essen, wann und wozu man Lust hat, arbeiten, wenn die Ideen kommen. Egal, welche Zeit die Uhr anzeigt.
Carmen Cabert Steiner ist sehr dankbar, dass sie diese Erfahrung machen durfte.

In Zukunft wird sie «weniger herumzappeln», bewusster leben, sich gut zentrieren, den Biorhythmus berücksichtigen.
Sie will Balance finden: «Mehr Raum für Zwischenraum.»

Carmen reflektiert sich selbst, bestimmt die Hierarchie ihrer Werte neu.

Auch körperliche Aktivitäten braucht es, um Zufriedenheit zu erlangen und zu erhalten. Sie postuliert: Jeder soll sich eine solche Auszeit gönnen – nicht erst, wenn ein Burnout oder andere Probleme es nötig machen, sondern vorher. «Ich konnte in Ittingen meine trüben Quellen klären.»

Die Atmosphäre in Ittingen bringt viele Saiten zum Klingen.

Vielerlei Anmutungen regen das Denken und Fühlen an.

Das Werden und Vergehen der Natur ist allgegenwärtig.

Die Natur lehrt Ethik und Ästhetik. Und macht demütig und dankbar.In dieser Umgebung sind viele Zeichnungen entstanden, die in Zukunft auch öffentlich gemacht werden sollen.

Basis für die Zeichnungen sind so genannte Frottagen. Dabei wird die Oberflächenstruktur eines Gegenstandes oder Materials durch Abreiben mittels Kreide oder Bleistift auf ein aufgelegtes Papier übertragen.

Die Aufnahme des alten Projektes und dessen Transformation erklärt Carmen so: «Nur ein Kreis, der sich öffnet, wird zur Spirale.» Die AUSgezeichnete Bibel ist keine Illustrierte Bibel, sondern eine Anregung, eine Anmutung, sich selbst mit den Themen auseinanderzusetzen. Es sind intuitive, abstrahierte und visualisierte Gedanken, die unendliche viele Interpretationen zulassen.

Wir wanderten nochmals durch die Gärten und landeten schliesslich in der Bar.Da wir die einzigen Gäste waren, bekamen wir einen Cocktail-Mix-Crashkurs.

Ich wählte einen Hortulus. Der Hortulus ist ein frühes botanisches Werk in Form eines Lehrgedichts des Reichenauer Mönchs Walahfrid Strabo, entstanden im 9. Jahrhundert. Oder…

Der Barkeeper Matthias Bindig hat uns alles Schritt für Schritt erklärt.

Carmen bekam einen knallgrünen Gin Basil Smash.

Zutaten:
6 cl Gin
2 cl Zitronensaft
6 – 8 Basilikumblätter
2 cl Rohrzuckersirup oder Verjus (saurer Saft, der durch das Auspressen unreifer Trauben erzeugt wird)
Basilikum im Shaker mit einem Mörser zerdrücken, damit er sein Aroma entfaltet. Alle weiteren Zutaten zugeben, mit Eiswürfeln füllen und kräftig schütteln. Durch ein feines Haarsieb in ein vorgekühltes Glas absieben.

Der Botanic Garden Gin ist ein Gemeinschaftswerk der Garten Hotels, denen Ittingen angehört.

Wir genossen die letzten Sonnenstrahlen vor der Bar.
Zurück in Carmens Klause gab es ein einfaches Nachtessen, die Nacht kam, wir wickelten uns in Wolldecken, hatten wunderbare Gespräche und liessen die Ruhe und die Atmosphäre auf uns wirken.
Und ja, wir haben auch gelacht… Wer sagt denn, dass das Leben in einer Klosteranlage langweilig und todernst sein muss?

Was mich hinaustreibt in die weite Welt, ist eben das, was so viele ins Kloster getrieben hat: die Sehnsucht nach der Selbstverwirklichung.

Hermann Keyserling (1880 – 1946)

Musik
Arvo Pärt, Fratres
Mussorgsky, Pictures at an Exhibition
Gounod, Cäcilienmesse

Buchtipp
Die Rosen der Kartause Ittingen

Infos Carmen
Carmen hat in Ittingen an Angeboten von Tecum teilgenommen.

Ich danke Carmen für die reiche Zeit in Ittingen und Corinne Rüegg fürs Rosenbuch und die Informationen.

Vielen Dank auch Matthias Bindig für den Bargetränke-Mix-Crashkurs!

Ittingen ist eine Station auf der Bauerngarten-Route Thurgau. Darüber werde ich in einem späteren Blog berichten.

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Sehnsucht nach dem Meer

  1. Carmen Cabert

    Liebe Regula, wegen deinem super, informativen, opulenten Beitrag sitze ich jetzt bei schönstem Wetter am PC. Es lohnt sich nach so langer Abstinenz, wieder einmal in deinem Blog zu flanieren und über all deine spannenden Orte die du bereist hast zu staunen. Es war fast noch wunderbarererer für mich in diesen Wochen. Deshalb bedanke ich mich recht herzlich bei dir, und all meinen treuen Begleitern, im Dieseite, im Jenseits und im Überseits, dass das alles möglich wurde für mich. Danke herzlich, Carmen.

  2. Ritanna

    Dass es noch so Orte gibt, ist fast nicht zu glauben.
    Klösterlich leben um zu arbeiten – da muss ich lange überlegen…………………
    Wie findet man sich danach wieder ins Leben ein ?
    Kompliment dem, der, die es verbinden kann.
    Es erfordert eine grosse Reife des Menschen.
    Inspirationen 15 Jahre in sich tragen, wachsen lassen – dann ausgereift an die Oberfläche bringen, so dass Raum bleibt, selbst Inspiration zu entwickeln.
    Meine Hochachtung.

  3. Ulrike Stedtnitz

    Einfach wunderschön und liebevoll eingefangen und dokumentiert, lieben Dank, Regula! Wir waren auch auf Besuch (wenn auch nicht über Nacht) und du hast uns die Magie dieses Ortes und der Künstlerin farbenfroh und bildhaft zugänglich gemacht. Wie es der Arbeit von Carmen ja entspricht.

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