Kinderdorf am Fuss des Atlas

Print Friendly, PDF & Email

Bereits vor drei Jahren habe ich hier am Fusse des Atlasgebirges eine Reportage über das Schweizer Kinderdorf Dar Bouidar gemacht.

Nun war ich wieder hier. Toll, was in den letzten drei Jahren erreicht wurde.
Hier leben nun bereits 75 Kinder und 70 Personen haben einen guten Job.

Als wir am Morgen von Marrakesch kommend durch das grosse Tor schritten, hatten drei Frauen diesen Weg schon hinter sich gebracht. Sie kamen, um ihre Kinder abzugeben. Für uns unvorstellbar.
Aber für diese Frauen ist es eine echte Chance – für sie und die Kinder.  

Die Kinder, die in Dar Bouidar aufgenommen werden, sind unehelich. Die Mütter wurden vergewaltigt oder mit falschen Eheversprechungen zu einem Schritt gedrängt, der ihr Leben in der Gesellschaft schwierig macht.
Uneheliche Kinder werden ausgestossen, die Mütter meistens auch. Sie bringen Schande über ihre Familie.

Man nennt diese Kinder auch “weggelegte Kinder”, denn viele werden einfach ausgesetzt. Mit etwas Glück kommen sie in Kafalas. Bei meinem letzten Besuch habe ich eine Kafala besucht. Diese Bilder bringe ich nie mehr aus meinem Kopf, da täuschte auch das Schild davor nicht darüber hinweg.

Kafala, aus dem Arab. = Bürgschaft, im Kontext der Übernahme einer Pflegschaft/Vormundschaft eines Kindes eine besondere Form der „Kindesannahme“ in Ländern mit islamisch geprägter Rechtsordnung.

Hansjörg Huber, der Gründer des Kinderdorfes «Dar Bouidar», freut sich, wenn Besucher seinem Hilfswerk nahe bei Marrakesch Interesse entgegenbringen und es besuchen.
Er und Jeanette Stuker leben seit rund zehn Jahren in Marokko. Sie haben sich den Traum vom eigenen Kinderdorf verwirklicht. Das Dorf steht soweit, dass die Kinder hier leben können – und es wächst laufend, sobald Spenden das Weiterbauen erlauben.

Das “Schulhaus” ist im Rohbau fertig. In der Arena sollen dereinst Vorführungen stattfinden.

Das Dorf schmiegt sich in die sanfte Hügellandschaft, passt sich farblich der Umgebung an. Dahinter liegt Schnee auf den hohen Gebirgszügen des Atlas. Ein Turm überragt die flachen Häuser. Kommt man näher, erkennt man, dass eine Mauer das ganze Dorf umrundet. Bei noch genauerem Hinsehen realisiert man: Es kann nicht ein in Jahrhunderten gewachsenes Berberdorf am Fusse des Atlas sein, denn einige Häuser sind noch im Bau und die Hauswände sind noch nicht alle nach Tradition mit roter Erde und Stroh verputzt.

Wer Marokko besucht und nicht nur den Touristenpfaden folgt, erkennt, wie die Gesellschaft geprägt ist von der grossen Spannweite zwischen Arm und Reich.
Das Land ist politisch geprägt vom Königspaar, das versucht, Neuerungen durchzusetzen, was aber nicht einfach ist, haben doch konservative islamische Religionsführer grosse Macht.
In dieser Welt ist kein Platz für ledige Mütter und ihre Babys.

Die Mütter, die ihre Kinder ins Dorf bringen, und deren Kinder mit der Genehmigung der Behörden und nach einer Untersuchung durch einen Kinderarzt aufgenommen wurden, dürfen ihre Kinder besuchen, wenn sie dies möchten. Erstaunlicherweise nehmen dieses Besuchsrecht nur wenige Mütter in Anspruch.

Hansjörg Huber ist wahrscheinlich der einzige Schweizer, der eine Moschee besitzt. Sie ist Teil des von ihm geplanten, finanzierten und realisierten Kinderdorfes bei Marrakesch. Hansjörg Huber hat selbst sehr viel Geld und vor allem sehr viel Herzblut in das Projekt investiert. Seit einigen Jahren beschäftigen ihn und seine Partnerin Jeanette Stuker (Ex-Miss Schweiz 1968, Jeanette Biffiger) täglich der Bau, der Betrieb und die Finanzierung des Projektes.

Der erste Spatenstich des Kinderdorfes “Dar Bouidar” in Tahanaout wurde am 1. Oktober 2012 ausgeführt. 2015 zogen die ersten Kinder in die Familienhäuser. Sie leben als Familie in acht von den zehn gebauten Häusern: Je neun Kinder und zwei sorgsam ausgesuchte Frauen als „Mütter“.

Das Dorf wird nach seiner Vollendung über zehn Familienhäuser, eine Moschee, einen grossen Garten für die Selbstversorgung, eine Kinderarztpraxis, eine gynäkologische Praxis, ein Haus für behinderte Kinder, Schulungsräume, einen Musikraum, Gästehäuser, ein Restaurant, einen Laden und eine Galerie verfügen. Hansjörg Huber gehen die Ideen nicht aus.

Die Häuser haben unterschiedliche Raumaufteilungen und sind individuell und liebevoll eingerichtet.

Jeanette Stuker liebt es, die Räume mit Farben und Mobiliar so zu gestalten, dass sich die Kinder darin wohlfühlen.

Die “Mütter” dekorieren ihre Häuser gern.

Jedes Haus hat einen Namen. Jeder steht für einen Werte, die dem Gründer des Dorfes wichtig sind.

Einen hohen Stellenwert hat gesunde Ernährung. Hier wird für das ganze Dorf das Mittagessen gekocht.

Laufend wird frisches Brot gebacken.

Nicht nur finanzielle Unterstützung wird für das Kinderdorf benötigt, auch Kleider und Spielsachen treffen ein, werden gereinigt und geordnet gelagert. Was zu viel ist, wird an die Familien in den umliegenden Dörfern abgegeben.

Diese können auch unentgeltlich die Kinderarzt- und gynäkologische Praxis im Kindedorf besuchen. Es ist unabdingbar, dass das Kinderdorf von der Bevölkerung akzeptiert wird, was nicht ganz einfach ist, denn die “weggelegten” Kinder bekommen einiges, was die Kinder der umliegenden Dörfer nicht haben können. Insbesondere Bildung – die Kinder im Kinderdorf wachsen mehrsprachig auf.
Wenn die Kinderdorf-Kinder eingeschult werden, sollen sie die öffentliche Schule besuchen. Heute schon werden sie darauf vorbereitet, dass sie als “Waisen” auf Ablehnung stossen werden.Musik ist allgegenwärtig im Kinderdorf. Die “Mütter” singen mit ihren Kindern und ein Musiklehrer steht für Musikunterricht zur Verfügung. Hier musiziert er mit einem schwerstbehinderten Kind.

Tiere leben auch im Kinderdorf. Die beiden Hündinnen haben ungeplant Junge bekommen – sehr zur Freude der Kinder. Die jungen Hunde werden in Zukunft geimpft und kastriert an gute Plätze in den umliegenden Dörfern abgegeben.

Gemüse und Salat sind bei jedem Menü dabei – die Ziegen freuen sich über die Abfälle.

Der Tagesablauf der Kinder ist geregelt. Sie spielen im Freien, das ganze Dorf ist gesichert und am grossen Tor sind ein behinderter Mann und seine Frau als Pförtner beschäftigt. Die Kinder können im Freien spielen.

Dabei werden sie von den “Müttern” betreut.

Auch Jeanette Stuker ist oft mit den Kindern zusammen und Praktikanten aller Altersstufen bleiben einige Wochen oder Monate in Dar Bouidar.

Vor jedem Haus wurde in diesem Frühling ein Olivenbaum gepflanzt. Dies war eine Idee meines Schulkollegen Paul Künzi. Mit 500 Euro kann man einen solchen Baum finanzieren – und die Kinder haben Schatten vor ihren Häusern.

Hinter den Häusern pflegen die Familien ihr Gärten.

Hansjörg Huber hat zeitlebens Kunst gesammelt. Nun steht ein grosser Teil der Sammlung zum Kauf in der zum Dorf gehörenden Galerie, als finanzielle Quelle für das Kinderdorf. “Ich kann dereinst ja sowieso nichts mitnehmen”, lacht Hansjörg Huber. Auch namhafte Künstler schenken dem Kinderdorf Bilder.

Dieser Raum soll in Zukunft auch als Restaurant dienen und wie die geplanten Gästehäuser eine permanente Einnahmequelle für den Betrieb des Kinderdorfes bilden. Es muss sichergestellt werden, dass die Kinder hier gross werden können.

Rund hundert Kinder werden in Dar Bouidar ein liebevolles Zuhause finden und gezielt auf das Leben vorbereitet. Dar Bouidar ist für sie das Tor zu einer Zukunft mit Chancen für ein selbstbestimmtes Leben.
100 Kinder – ein Tropfen auf einen heissen Stein? Wenn es darum geht, Kindern einen Start in ein gutes Leben zu ermöglichen, zählt jeder Tropfen.

Verein zur Unterstützung «Les Enfants Dar Bouidar»
Die Spenden werden ausschliesslich für den Betrieb des Kinderdorfes eingesetzt.
Einzelmitglieder: CHF 100.- pro Jahr, Paare: CHF 150.- pro Jahr
Einen Olivenbaum vor einem Haus schenken: CHF 500.-
Es sind auch persönliche, längere Einsätze vor Ort möglich.
Informationen: Barbara Ruetsch-Dobler, Arlesheimerstrasse 7, 4153 Reinach, vorstand@kinderdorf-marrakech.ch, www.kinderdorf-marrakech.ch

Kinder sind eine Brücke zum Himmel.

persisches Sprichwort

Musik
Arabische Kinderlieder

Dank
Ich danke Hansjörg und Jeanette für ihre Gastfreundschaft, Germania für den Flug und Fairaway für die Zeit in Marrakesch.

Artikel
Vor drei Jahren habe ich einen Artikel über Jeanette Stuker und ihren Weg von der “Miss Schweiz 1968” bis zur Mitbegründerin des Kinderdorfes geschrieben.

Zurück

Essaouira

Nächster Beitrag

Bachland Thüringen

  1. Ritanna

    Ich bin beeindruckt. ich finde, es ist das einzig richtige, die Kinder in ihrem Land zu lieben und zu unterstützen und zugleich eine andere Sichtweise vorzuleben. Ich wünsche, dass dieser Dein Beitrag in vieler Hinsicht Früchte trägt.
    Und all diesen Kindern wünsche ich Liebe zu erfahren, Freude, Gesundheit und den Mut frisch ins Leben zu starten.
    Vielen Danke.

  2. Marianne Helbling

    Ich habe deinen Bericht mit den vielen eindrucksvollen Fotos schon drei mal angeschaut. Einige der Kinder kommen mir vertraut vor, denn ich habe sie in meinem dreiwöchigen Aufenthalt damals im Waisenhas betreut. Sie sind mir in dieser kurzen Zeit ans Herz gewachsen. Damals war das Kinderdorf im Rohbau.

    Was ein Mensch (sprich Hansjörg) mit seiner Frau Jeannette erschaffen haben. Mit enorm viel Grosszügigkeit, Engagement und unerbittlichem Glauben an eine Vision!

    Regula du könntest ein Buch daraus machen.

  3. Elfi

    Eine wirklich zu Herzen gehende Geschichte. Was Menschen immer wieder zustande bringen, wenn sie ihrer Überzeugung folgen und damit für andere Möglichkeiten schaffen ist zutiefst beeindruckend.

  4. Bamert Marbach Erika

    Sehr schöner und informativer Bericht. Ganz toll gemacht. Herzlichen Dank.
    Erika Bamert Marbach

  5. Monika Gaus

    Zu erfahren, dass Menschenfreunde für die verlassenen Kinder in Marokko ein Zuhause erschaffen und ihnen Zugang zu Bildung ermöglichen, erfüllt mich mit grosser Genugtuung. Ich würde gerne mehr darüber erfahren. Unser Sohn stammt aus Ouarzarzate

Schreibe einen Kommentar

© Regula Zellweger | Alt werden kann ich später | Datenschutzerklärung| Impressum

Contact Us

Neue Beiträge abonnieren

Hier registrieren, um automatisch benachrichtigt zu werden.