Es war ein Fortsetzungsroman in der Zeitschrift “Le Journal des débats”. Jede neue Folge von “Le Comte de Monte-Cristo” wurde zwischen 1844 und 1846 mit Spannung erwartet. Alexandre Dumas siedelte einen Teil seines Romans auf der “Île d’If” an.
Es kommen eine Menge Leute im Roman vor, alles ist verflochten und verwoben, sodass man die Geschichte nicht leicht nacherzählen kann.
Bis heute gilt der Roman als eines der international berühmtesten Werke der französischen Literatur und ist untrennbar verbunden mit der ehemaligen Gefängnisinsel Château d’If, die Marseille vorgelagert ist.
Elisabeth und ich bestiegen im Alten Hafen von Marseille, dem Vieux Port, das Schiff, das aus dem gut geschützten Hafen die vorgelagerten Inseln anläuft.
Der Hafen von Marseille war für viele Jahrhunderte das Tor zur Welt. Bereits um 600 vor Chr. landeten hier die Phokäer.
Die Kaianlagen wurden unter Ludwig XII. bis Ludwig XIII. errichtet. Hier liefen auch die Galeeren aus, wo Sklaven, Kriegsgefangene und Sträflinge unter unmenschlichen Bedingungen rudern mussten.
Mir kam das Wort “geschichtsschwanger” im Alten Hafen von Marseille in den Sinn. Es drückt am besten aus, was wir wahrnahmen.
Ab 1942 war Marseille von den Deutschen besetzt. 1943 sprengten sie das Hafenviertel mit 1400 Gebäuden, die rund 20’000 Bewohner hatten gerade Mal zwei Stunden Zeit, ihre Häuser zu verlassen. Nur die Häuserreihe direkt am Hafen wurde verschont.
Aber nun ging die Fahrt rund eine Seemeile hinaus zur Île d’If.
Hier empfing uns Marie Armelle Baduel, die für das “Centre des Monuments nationaux” arbeitet und in dieser Funktion auch für die Insel verantwortlich ist.
Sie erzählte von ihrer Arbeit, dem Kampf um die nötigen Finanzen, um die Kulturgüter lebendig erhalten zu können. Man kann die ganze Insel beispielsweise für einen Aperitif mieten.
Die klimatischen Veränderungen stellen die Fachleute auch vor grosse Herausforderungen.
Marie Armelle Baduel erzählte auch die Geschichte des Nashorns, das hier 1516 auf seiner Reise zum Papst nach Rom Station machte.
Der König des indischen Königreichs Gujarat schenkte 1513 dem König von Portugal Manuel I. ein asiatisches Nashorn. Dieser wollte das Tier Papst Leo X. weiterschenken. Das Rhinozeros wurde von Lissabon nach Rom verschifft und machte dabei 1516 einen Zwischenhalt auf der Île d’If. Das bis dahin in Europa unbekannte Tier war eine Attraktion für die Marseiller Bevölkerung. Es weckte aber auch die Neugier von Franz I., der es bei seiner Rückkehr von der Schlacht bei Marignano auf der Insel bewunderte.
Er stellte fest, dass die Stadt keinen Schutz gegen Angriffe vom Meer her besass. Kurzerhand befahl er den Bau einer Festung auf der Insel. Die Marseiller waren nicht begeistert, denn sie hatten bisher das Privileg, die Verteidigung selbst wahrzunehmen. Schuld war also niemand anders als das Nashorn, dass das Château d’If gebaut wurde.
Das Nashorn fand denn auch ein böses Ende. Sein Schiff ging unter, es wurde ans Land geschwemmt und der Papst bekam nun ein ausgestopftes Rhinozeros. Im Vatikan gibt es ein Bild, worauf der Papst von einem Elefanten und einem Nashorn flankiert ist.
Albrecht Dürer fertigte 1515 nach einer Skizze von Valentin Ferdinand den berühmten Holzschnitt mit dem Nashorn an, eine Kopie hängt im Château d’If.
Als Gefängnis wurde die Festung Mitte des 16. Jahrhunderts, einige Jahre nach der Fertigstellung, in Betrieb genommen. Der Grund war die geographische Lage und die Architektur. Das Ausbrechen schien unmöglich.
1580 wurde als vermutlich erster Gefangener Ritter Anselm inhaftiert. Er wurde der Verschwörung gegen die Monarchie bezichtigt und später in seiner Zelle stranguliert. Viele Gefangene waren hier nur kurz – und der Aufenthalt war alles andere als angenehm.
Rund 300 Menschen wurden hier unter grausamen Bedingungen gefangen gehalten. Ein einziges Waschbecken stand für alle zur Verfügung.
Gefangene mit künstlerischem Flair bekamen Werkzeuge, um die Wände mit Reliefs zu verzieren – Graffiti vergangener Jahrhunderte.
In den Verliessen muss es grauenhaft kalt gewesen sein.
Lediglich Offiziere hatten wärmendes Feuer.
General Jean-Baptiste Kléber wurde 1800 in Kairo ermordet. 18 Jahre lang wurde sein einbalsamierter Leichnam im Château d’If gelagert, da man sich nicht einig war, wie er beerdigt werden sollte.
1720 wütete die Pest ein letztes Mal in Europa, eingeschleppt durch ein französisches Schiff, dessen Mannschaft die Quarantänebestimmungen nicht befolgt hatten.
Der bekannteste Gefangene im Château d’If ist aber der Graf von Monte Christo – eine pseudohistorische Figur, die Alexandre Dumas der Ältere geschaffen hat – wie auch die bekannten drei Musketiere. Dumas hat vor Ort recherchiert, um das Leben in den Kerkern beschreiben zu können. Dieser Roman ist der einzige Gegenwartsroman von Dumas.
Inspirieren liess er sich von einem Buch, das die Geschichte eines Schuhmachers erzählt, der ohne Schuld inhaftiert wurde. Auch dieser kam zu einem grossen Vermögen. Und auch dieser rächte sich gnadenlos.
Dumas schrieb über 300 Romane, verprasste sein Einkommen und war beständig auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Er starb völlig mittellos.
Erfüllt von den spannenden Geschichten und berührenden Schicksalen fuhren Elisabeth und ich zurück nach Marseille.
Wir fuhren in die Hafenanlagen ein. Weit entfernt scheint die Insel nicht zu sein – und doch hatten wir einige Stunden in einer ganz anderen Welt gelebt.
Es gibt weder Glück noch Unglück auf dieser Welt,
sondern nur die Vergleichung des einen Zustands mit dem andern.
Nur derjenige, welcher das äusserste Unglück empfunden hat,
ist fähig, das höchste Glück zu geniessen.
Alexandre Dumas, aus “Der Graf von Monte Christo”
Dank
Mein Dank für diesen Tag in Marseille geht an Susanne Zurn-Seiller von Provence – Alpes -Côte d’Azur-Tourisme.
Musik
Der Graf von Monte Christo wurde von Alexandre dem Älteren geschrieben. Von Alexandre Dumas dem Jüngeren stammt der Roman “Die Kameliendame”, auf dem Verdis Oper “La Traviata” basiert.
Elisabeth
Danke Regula, ich habe es auch so empfunden! So ein schöner Tag !
Achermann Marlies
Danke für die tollen Berichte deiner Reisen!
Ich freue mich schon auf die Nächsten…
Ritanna
Vor Kurzem erlebte ich die Tragödie dieser Gefangenen auf “Ile d’If” Insel im Zuge der Kriege “Kreuzzüge” und aller bisherigen mörderische Kriege.
Ein geschichtsträchtiger Zeitzeuge. Ebenso der Wachtturm – wenn es stürmt hat der Turmwächter Glück wenn er die Türe nicht öffnet bis sich das Meer wieder gelegt hat.
Ja , wir dürfen einfach nur neugierig sein und trotzdem befällt einem noch heute kalter Schauder den Rücken hinunter.
Dies ist eine ganz eindrückliche Reise in die Vergangenheit und sieht doch so anmutig aus.
Rita
Spannender Bericht!