Wenn drei Personen zu neunt auf der Bühne stehen und begeisterten Applaus bekommen – ja, dann muss ein Puppentheater zu Ende sein. Drei Schauspieler und sechs lebensgrosse Puppen.
Als Regionaljournalistin «muss» ich immer mal wieder zu kulturellen Veranstaltungen. Dabei erlebe ich manchmal unverhofft künstlerische Höhenflüge.
So bei «Matto regiert», einem Puppentheater nach dem dritten Wachmeister-Studer-Roman von Friedrich Glauser im La Marotte in Affoltern am Albis, gespielt vom Ensemble DAKAR Produktion.
Eigentlich müsste man sich das Stück mehrmals anschauen. Denn es ist extrem dicht: emotional, sprachlich, akustisch, visuell, inhaltlich, spielerisch…
Die drei Schau- und Puppenspieler Delia Dahinden, Anna Karger und Lukas Roth sprachen, spielten und sangen unter der Regie von Dorothee Metz gleichzeitig als Sprecher, in ihren Rollen und in den Rollen ihrer Puppen. Ort des Geschehens: Die normale Welt des Irrsinns.
Friedrich Glausers sozialkritischer Roman «Matto regiert» aus dem Jahr 1936 spielt in einer psychiatrischen Klinik und ist atmosphärisch äusserst dicht. Die Handlung geht unter die Haut. In «Mattos Reich», dem Reich des Wahnsinns, leiden und scheitern Menschen an der Grausamkeit ihrer Mitmenschen, an patriarchalen Machtstrukturen und an ungerechten sozialen Gegebenheiten. Sie enden deshalb in einer unheilbaren psychischen Krankheit oder in der Kriminalität. Es wird gemordet, gestohlen und gedemütigt in diesem Stück.
Glauser lässt seinen Wachtmeister Studer mit grosser Einfühlsamkeit ermitteln. Nicht zuletzt macht die biografisch geprägte Geschichte tief betroffen, weil der Schweizer Schriftsteller selbst Erfahrungen mit Heilanstalten, Spitälern und Gefängnissen gemacht hatte.
Die drei Schauspieler zeigten an diesem Abend in Affoltern höchste Professionalität. Sie wechselten von Schriftsprache in Dialekte, von Frauen- in Männerrollen, von Schauspielern zu Sprechern, Sängern und Puppenspielern, bauten gleichzeitig immer wieder die raffinierte Kulisse um, erzeugten Klänge und Geräusche und dies alles mit höchster Präzision und in hohem Tempo. Ihre hervorragende Leistung verlangte auch vom Publikum einiges, wollte man auch nur einen Teil der differenzierten, vielschichtigen Vorstellung mitbekommen.
Die von Delia Dahinden kunstvoll gestalteten lebensgrossen Puppen sind nicht schön. Mit ihren riesigen Mündern und den glitzernden, übergrossen Augen spielen sie sich aber in die Herzen der Zuschauer.
Wachtmeister Studer, brillant gespielt von Lukas Roth, besteht beispielsweise nur aus Kopf, Armen und dickem Bauch.
Mit einer Hand tragen die Puppenspieler den Kopf und bewegen den Mund, mit der anderen führen sie eine Hand. Physisch anstrengend.
Manchmal übernimmt ein zweiter Spieler die zweite Hand oder bewegt die ganze Puppe weg, weil der erste Spieler bereits eine andere Puppe bespielt.
Was so kompliziert klingt, sind komplexe Abläufe, die minuziös einstudiert sind und trotzdem völlig selbstverständlich und präzise ablaufen – eine Höchstleistung von Regie und Schauspielern. Technisch anspruchsvoll, künstlerisch überzeugend und emotional betroffen machend – gerade deshalb, weil Wachtmeister Studer im Kontext einer psychiatrischen Klinik fragt: «Was hat das mit uns zu tun?»
«Ce n’est pas très beau»
So beendet Friedrich Glauser (1896–1938),
ein Jahr vor seinem frühen Tod, seinen Lebensbericht.
Spielplan DAKAR
Ritanna
absolut faszinierend. da kann ich nur Ohren und Augen weit aufsperren. Und eben – zwei, drei Mal buchen – zuhören – zuschauen.
absolute Kunst verbunden mit allen Sinnen, die sich hineinfressen ins Leben.