Wie man eine der grössten Dahlienschauen besucht – ohne Besucherrummel? Ganz einfach: Bei strömendem Regen. Wenn es draussen giesst, ist es besonders schön, im Gewächshaus viel Zeit mit persönlichen Gesprächen zu verbringen.
Was 2002 als übermütige Witz-Aktion von zwei jungen Männern in einem Schrebergarten begann, hat sich zu einem international beachteten Gartenprojekt gemausert und bestimmt heute das Leben des ehemals erfolgreichen Grafikers und heutigen Dahlienzüchters Stefan Seufert.
Rosenzüchter gibt es viele. Aber Dahlienzüchter? Eher selten – und Stefan Seufert darf sich zu den noch wenigen in Europa zählen. Dafür sprechen die Zahlen. Auf seinem gepachteten Grundstück von rund 12’000 Quadratmetern, das in drei Bereiche eingeteilt ist, gedeihen im Schaugarten 600 Sorten, im Schnittdahlienfeld über 100 Sorten und in der Versuchsanlage über 1’000 verschiedene Sorten in allen Farben – ausser in Blau.
Gerade mal 57 Sorten hatten Stefan Seufert und sein Freund, der Gärtner Sven Baumeister, 2002 im Schrebergarten angepflanzt oder aus dem Freundes- und Familienkreis ergattert. Passanten blieben stehen, schauten neugierig über den Zaun und bestaunten die bunte Blütenpracht.
Gedüngt wurde damals mit Blaukorn, was die Pflanzen extrem stärkte. Heute verwendet der Dahlienzüchter Horn in Griessform.
Stefan Seufert machte eine kleine Pressemitteilung – und für 57 Dahlien kamen 1000 Besucher.
“Nächstes Jahr machen wir es richtig”, beschlossen die beiden Freunde. Dies gelang ihnen: Dahlienfreunde fahren heute stracks an der Mainau vorbei und über Lindau-Reutin und Streitelsfingen direkt an den Büchelewiesweg in Lindau.
Hier findet die Dahlienschau seit 2006 statt.
Was mich am meisten beindruckt hat: Die Dahlien sind wie Wundertüten. Aus einer einzigen Blüte kommen Samen für die unterschiedlichsten Blütenformen und -farben – und man wiess nie, was kommen wird!
Kein Samenkorn ergibt dieselbe Blüte wie ein anderes – damit sind die Dahlien richtig menschlich. Man weiss nie, was dabei herauskommt. 🙂
Wenn Besucherinnen verzückt an Blüten schnuppern, stimmt etwas nicht mit deren Organ mitten im Gesicht: Dahlien duften nicht.
Stefan Seufert lacht: “Ihr Schweizer sagt zwar “schmöcke”, aber auch das tun sie nicht.” Fehl-Folgerung: Die Deutschen riechen und wir schmecken.
Dahlien bekommen von ihren Züchtern fantasievolle Namen. Sie sind oft nach Persönlichkeiten oder Orten benannt. Beipielsweise: Black Madonna, Frau Luise Mayer, Charles de Gaulle…
Stefan Seifert hat eine Dahlie mit Namen Lindau gezüchtet. Es ist zu hoffen, dass sich Lindau dieser Ehre bewusst ist und entsprechend honoriert.
Und nun etwas Hintergrundwissen zu Dahlien:
Dahlien sind Korbblütler und ausdauernde, aber nicht winterharte, krautige Pflanzen. Einige wenige Sorten sollen eine Höhe von bis zu 10 Metern erreichen. (!)
Im Normalfall können – je nach Sorte – die Blüten einen Durchmesser von bis zu 30 Zentimeter und eine Wuchshöhe bis knapp zwei Meter erreichen. Es gibt aber auch zahlreiche kleine Sorten.
Die gegenständig oder in dreizähligen Wirteln, quirlartig, angeordneten Laubblätter sind einfach bis dreizählig fiedrig zusammengesetzt. Die runden, körbchenförmigen Blütenstände stehen an langen, schlanken und kahlen Blütenstandsschäften. Kaum eine andere Pflanzengattung kann mit einem solchen Formen- und Farbenreichtum aufwarten wie die Dahlie.
Dahlien gibt es in 13 Klassen: Einfach blühende, anemonenblütige, Halskrausen-Dahlien, Seerosen-Dahlien, dekorative Dahlien, Ball-Dahlien, Pompon-Dahlien, Kaktus-Dahlien, Semikaktus-Dahlien, diverse Dahlien, Hirschgeweih-Dahlien, orchideenblütige Dahlien einfach und orchideenblütige Dahlien gefüllt.
Insbesondere die offen blühenden Dahlien sind ein Eldorado für Insekten aller Art. Bienen, Hummeln, Falter und Schmetterlinge finden noch im lange im Herbst Nahrung.
Man kann sie über Samen, Stecklinge und ihre Knollen vermehren. Samen sind Wundertüten, Stecklinge und Knollen bringen das gewünschte Ergebnis. Ihre Knollen oder Rhizome könnten gegessen werden, sind aber nicht sehr schmackhaft und erinnern ein wenig an Topinambur oder stark wasserhaltige Kartoffeln. Mit ihnen gemeinsam haben sie ihre Heimat: Südamerika.
Die Azteken assen die Knollen, denn sie enthalten Stärke, Fett und Insulin. Die Blätter können als Salat genossen werden und die Blüten sind heute in der gehobenen Gastronomie für die Dekoration begehrt.
Dacopa, ein aus gerösteten Dahlienknollen hergestelltes Produkt mit intensivem Mokka-Geschmack, wurde als Kaffeeersatz verwendet.
Erste schriftliche Nachweise von Dahlien findet man im 16. Jahrhundert, als ein spanischer Arzt diese Pflanzen darstellte. Schon vor der Entdeckung Mexikos müssen Dahlien dort kultiviert worden sein. 1791 kamen die ersten Samen nach Europa.
Und heute sind sie in Lindau und in vielen Gärten in ganz Europa beliebte Garten- und Topfpflanzen.
Während meines Besuches regnete es sintflutartig und in Lindau kam es zu Überschwemmungen. Wochen zuvor war es aber weit überdurchschnittlich trocken.
Die Dahlien litten und hielten sich eher klein, während Un- oder Wildkräuter wie Gräser, Giersch und vor allem Portulak auf dem Vormarsch waren.
Stefan Seufert hat generell bei seinen Arbeiten, nicht nur beim Jäten, Unterstützung durch Jugendliche und junge Erwachsene, denen es Freude bereitet.
Sie berichten: “Nach der Schule, im Praktikum, am Wochenende, in unserer Freizeit eben. Wie die vielen Gäste, die uns jedes Jahr besuchen, kommen auch wir aus der ganzen Welt: aus dem Kosovo, aus Syrien, aus Italien, aus der Türkei, aus Afghanistan, aus Brandenburg – ach ja, das ist ja schon Deutschland – und natürlich hier aus Bayern. Wir kennen uns meistens aus der Schule und einer bringt den anderen mit. Es gibt aber auch noch die „namenlosen“ Erwachsenen, die uns einfach, weil es ihnen Spass macht, helfen, die Dahlienschau in Ordnung zu halten.”
Als Gegenleistung gibt es gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsame Ausflüge und sogar zum Skifahren nimmt Stefan Seufert “seine Jugendlichen” mit.
Er formuliert es so: “Manchmal gibt es neben der Arbeit und gemeinsamen Ausflügen auch ziemlich ernsthafte Dinge zu tun: zusammen für die Schule, den Schulabschluss oder den Führerschein lernen, Referate erarbeiten, Bewerbungen schreiben oder die Lehrstellenbörse besuchen. Und manchmal kraxeln wir eben auch auf 3.000 Meter hohe Gipfel. Von da oben schauen wir stolz in die Ferne und wissen ganz genau: Zusammen schaffen wir einfach alles!”
Stefan Seufert zeigt einen Ordner, gefüllt mit Dokumenten über einen jugendlichen Migranten, die er für dessen psychisches und physisches Überleben ausgefüllt, erhalten und gesammelt hat.
Die Dahlienschau ist also mehr als ein professionell geführter “Dahlienpark”, sie ist auch ein soziales Projekt.
Stefan Seufert will dies aber nicht prominent kommunizieren. Soziales Engagement ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er hatte deshalb auch 2015 seinen Beruf als Grafiker in einem renommierten Unternehmen an den Nagel gehängt und verfügt heute zwar über ein signifikant tieferes Einkommen, aber eine voll befriedigende Lebensqualität mit vielen sinnstiftenden Anteilen und beglückenden Begegnungen mit Menschen “aller Couleur”.
Noch ist August, und es bleibt viel Zeit für einen Besuch der Dahlienschau. Mit Bahn, Schiff und Bus oder mit einer kleinen Wanderung kombiniert kommt man mit einem Tagesausflug zum Reich von Stefan Seufert.
Vor Ort kann man sich beispielsweise einen Strauss Schnittblumen zusammenstellen lassen.
Auch junge Pflanzen kann man für wenig Geld erstehen, Wundertüten, solche aus Samen, bei denen man nicht weiss, was daraus erblühen wird.
Sie werden – im August gesetzt, noch bis in den Herbst hinein blühen.
In der Dahlienschau kann man verweilen und mit dem Ticket den ganzen Tag auch wieder zurückkehren. Überall stehen Tische und Stühle, auch das Verpflegen aus dem Rucksack ist erlaubt.
Wer mag, reserviert sich Dahlienknollen. Die Dahlienpflanze, in die man sich verliebt hat, wird vor Ort bezeichnet. Nach dem ersten Frost werden die Knollen ausgegraben und man kann sie bei Stefan Seifert vor Ort abholen und in einem dunklen, trockenen Keller bei vier bis acht Grad frostfrei lagern. Dabei werden die Knollen in mit Zeitungspapier ausgelegten Holzkisten mit wenig angefeuchtetem Sand abgedeckt. Sie können so weder schimmeln noch eintrocknen.
Die Pflanzen können ab März auch vorgetrieben werden. Die Knollen kommen Ende April bis Anfang Mai, nach den Eisheiligen, in den Boden.
Egal wie das Wetter ist, Sintflut oder Wüstenhitze – ein Ausflug nach Lindau lohnt sich!
In meinem Strauss aus meinem Garten sind zwei Dahlien. Beide gesehen?
Narren hasten. Kluge warten.
Weise gehen (bei jedem Wetter) in den Garten.
Chinesisches Sprichwort (aber ohne Einschiebung)
Informationen
Tourismus Lindau
Die Lindauer Dahlienschau ist ab Mitte August bis zum Frostbeginn – meist Ende Oktober – täglich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang geöffnet. Eintritt: 8 Euro.
Sven Baumeister, Mitgründer der Dahlienschau, Blumenhaus
Lindenhofpark
Bodenseegärten
Für Gartenfreunde empfehle ich den Besuch von Bodensee-Gärten. Ich habe bereits einige beschrieben. Beiträge im Blog finden: Suchen: “Gärten” oder “Bodensee” eingeben. Ich freue mich noch immer, dass mein Blog 2021 den Medienpreis der Bodenseegärten erhielt.
Bereits vor meiner Zeit als Bloggerin, als Chefredaktorin, besuchte ich einen Naturgarten in Radolfzell. Daraus entstand eine wunderbare Freundschaft. Ich habe anschliessend an die Dahlienschau und den Lindenhofpark Sabine Christ besucht. Ihr Naturgarten ist immer ein Besuch wert.
Dank
Danke, lieber Stefan Seufert, für die Zeit in der Dahlienschau und den Transport durch den Regen zum Lindenhofpark.
Mein Dank geht ganz besonders an Ines Nickenig von Lindau Tourismus, die meine Medienreise nach Lindau hervorragend organisiert und mich liebevoll begleitet hat. Initiiert wurden die zwei Tage Lindau von Martin Wiedenmann von der Agentur Tourmark.
Musik
Raindrops are falling
Regen: ‘Sechs Fantasiestücke für Violine und Orgel’ opus 79 by Margaretha Christina de Jong.
Chopin, Regentropfen-Prélude
Vivaldi “Der Regen”
Vivaldi – A Rain of Tears
Simon Steinböck spielt “Regen” von Viktor Kossenko
Bücher
In Hülle und Fülle
Sie ist vielseitig, beliebt und aus dem Blumenbeet gar nicht mehr wegzudenken: die Dahlie, im Norden auch bekannt als Georgine. In diesem Album ist die aus Südamerika stammende Schönheit in all ihrer Farben- und Formenfülle zu sehen: Von Tiefrot über zarte Violett- und Rosatöne bis hin zu strahlendem Orange und Gelb; mal gefüllt, mal ungefüllt; mit Blüten, die an Pompons, Kakteen, Seerosen oder Anemonen erinnern. Genauso unglaublich sind die Möglichkeiten ihrer Verwendung, z. B. als Kartoffel- oder Kaffeealternative und für medizinische Zwecke. Lernen Sie auf unterhaltsame Weise diese Lieblingsblume von allen Seiten kennen!
Faszinierende Dahlien
Während die Dahlie lange Zeit als kitschig und unmodern galt, erlebt sie nun bei professionellen Planzenzüchtern, Floristen und passionierten Gärtnern ein großartiges Comeback. Denn sie beeindruckt wie kaum eine andere Pflanze durch ihre zahlreichen Blütenformen und -farben und setzt faszinierende Akzente im Garten, auf der Terrasse oder im Strauss. Mit hinreißenden Aufnahmen der renommierten Fotografin Georgianna Lane präsentiert dieses Buch mehr als 65 Dahliensorten, von der duftigen Café au Lait und der zarten Platinum Blonde über die hübsch gerüschte Jomanda und die markante Black Narcissus. Ergänzt wird diese gekonnt zusammengestellte Auswahl von Klassikern und den schönsten neueren Sorten von leicht verständlichen Informationen zur Pflanzung und Pflege.
Dahlienchips & Berberitzen
von Judith Gmür-Stalder, Kathrin Fritz, Maurice K. Grünig
Köstliches aus Wiese, Wald und Garten. 90 raffinierte Rezepte und 30 Pflanzenporträts • Gänseblümchen essen, Zucchiniblüten zubereiten, Wiesensalbei kochen – bunte Kochideen für die Naturküche.
Maurice ist eine begnadete Fotografin. Früher, als Redaktorin von Berufsinformationsmedien, habe ich sehr gern mit ihr zusammengearbeitet!
Grow and arrange breathtaking dahlias to enhance every occasion. In this luxe compendium, world-renowned flower farmer and floral designer Erin Benzakein reveals all the secrets to cultivating gorgeous dahlias. These coveted floral treasures come in a dazzling range of colors, sizes, and forms, with enough variety for virtually every garden space and personal preference, making them one of the most beloved flowers for arrangements.
Rita
Herzlichen Dank für den blumigen Ausflug nach Lindau. Gefühlsmässig war ich stundenlang im Dahlien-Garten am Staunen.
Rita
Dahlien erinnern mich an unseren Garten in meiner Jugend. Mein Grossvater, der bei uns wohnte, war Gärtner und pflanzte jedes Jahr verschiedene Dahlien.
Sabine Christ
Liebe Regula, vorgestern hat es in Lindau und bei uns am Westlichsten Teil des Bodensees noch in strömen geregnet. Heute strahlt die Sonne!
Danke für die herrlichen Bilder der Dahlien und die Beschreibung des fantastischen Projektes von Stefan Seufert und seinen Freunden. … und wieder habe ich was neues von Dir gelernt. Ich wusste nicht, das man die Dahlien Rhizome essen kann.
Dein lebendiger Bericht motiviert mein Mann Klaus und mich die wunderbare Schiffsfahrt von Konstanz nach Lindau zu starten und die Dahlienschau zu besuchen. Natürlich sende ich den Beitrag gleich unseren Freunden in Bludenz. Vielleicht wird es ein Freundschaftstreffen an einem wunderschönen Plätzli in unserer Bodenseeregion der Bodenseegärten “Familie”
Das schön liegt einfach immer so nah.
Vielen Dank Regula!
Sabine Christ
Ritanna
Mit Deinen Dahlienbildern und Berichten, wachen Erinnerungen auf: die Dahlienschau in Engstringen ZH war doch sicher bis 1960/1970 jeden Herbst ein Muss, ja ein tausendfaches farbliches Erlebnis, grad so – wie Du es schilderst.
Heutiges Problem ist, die Keller sind heute (die meisten) einfach zu warm 15 – 18 Grad, deshalb zu trocken trotz angefeuchteten Sand.
Also herzlichen Dank für diese wundervolle Blütenpracht.
Heute war ich im Stadtmuseum Aarau; Zeitgeschichte 1900 bis 2018. Mich hat es so gefreut, dass ich merken durfte; ich bin wach durchs Leben gegangen. Ich durfte dem Referenten Patrick Zehner, das eine und andere Mal ergänzen.
Maria
Wunderschöne Dahlien. Hab gar nicht gewusst das es so viele Arten gibt. Wirklich ein Traum. Danke für die schönen Bilder. Tausend liebe Grüße aus München. Maria