Waadtland in Frauenhand

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Reisen bedeutet für mich: Orte besuchen und dort Menschen kennen lernen. Insbesondere, wenn ich in Erfahrung bringe, wie Menschen vor Ort arbeiten, bekomme ich eine Beziehung zum besuchten Ort, zu seiner Geschichte, seiner Gegenwart und zu seiner Einzigartigkeit.

Im Fokus hatte ich diesmal die Genfersee Region – aus weiblicher Sicht.

Sie waren die ersten Schweizerinnen, die das Frauenstimmrecht erhielten – zwölf Jahre vor dem Rest der weiblichen Bevölkerung der Schweiz. Heute wird der
Westschweizer Kanton mehrheitlich von Frauen regiert: fünf Sitze der Waadtländer Exekutive sind in weiblicher und zwei in männlicher Hand. Die innovativen Waadtländerinnen haben Vorbildfunktion, anders als die Appenzellerinnen oder die Innerschweizerinnen. Woran das wohl liegt?

Hat man am Genfersee den weiteren Horizont als am Vierwaldstättersee?

Hier wächst der Chasselas überall auf den Bäumen. Kein Wunder, denn…

Hier gibt es super Winzerinnen. Beispielsweise Christine und Stéphanie Delarze von der Domaine de la Baudelière in Aigle.

Stéphanie Delarze wollte vor der Matura nicht Winzerin werden, obwohl sie einer Winzerfamilie entstammt. Sie wollte Sprachen oder Philosophie studieren. Der Tod eines Onkels 1994 gab ihrem Leben aber eine Wende. Sie war damals gerade mal 16 Jahre alt.

Ihr Grossvater litt sehr unter dem Tod seines Sohnes. Die Zukunft des Weingutes La Baudelière, das aus einem prächtigen Herrenhaus und 3,2 Hektar Rebland in den Appellationen Aigle und Yvorne bestand, war nicht mehr gesichert.

Stéphanies Mutter Christine arbeitete damals als Krankenschwester. Sie beschloss, das Weingut zu übernehmen und es zu führen, bis die Tochter nach sechs Jahren ihr Oenologiestudium in Changins abgeschlossen hatte.  Im Jahr 2000 übergab der Grossvater das Weingut seiner Enkelin, die es seither erfolgreich mit ihrer Mutter zusammen führt. Mutter und Tochter haben ihre Aufgaben geteilt. Christine kümmert sich um die Reben, Stéphanie um die Vinifizierung. Es werden traditionell auch Weine in Amphoren ausgebaut.

Stéphanie ist mit einem Winzer mit einem eigenen Weingut in Villeneuve verheiratet.  Ihre beiden Kinder kommen bald ins Berufswahlalter – bestimmt geht damit die Geschichte der Winzerfamilie weiter.
Das Paar arbeitet zusammen, aber die beiden Domaines halten sie auseinander.

Stéphanie Delarze hat nicht das Gefühl, dass sie als Frau in einer Welt zu kämpfen hatte, die immer noch weitgehend von Männern dominiert wird. Sie und ihre Mutter sind aber Mitglieder des Vereins “Les Artisanes de la vigne et du vin”, der weinproduzierende Frauen. Ich liebe diesen französischen Ausdruck:  Weinkünstlerinnen.  Hier können sie sich mit bekannten Weinproduzentinnen wie Marie-Thérèse Chappaz oder Marie-Bernard Gillioz austauschen.

Neben Aigle und Yvorne (Chasselas) bietet das Weingut auch Riesling, Dornfelder, einen Süsswein und drei Cuvées an: Pinot Noir-Gamay-Mondeuse, Syrah-Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon-Merlot.

Die Weinbaugebiete am Lac Léman und am unteren Rhonetal sind bekannt für Weissweise, vor allem für Chasselas, der früher unter dem Namen Fendant eher zu den Billigweinen zählte. Zwei Drittel der Waadtländer Produktion sind Weiss-, ein Drittel Rotweine.

Das Waadtländer Weingebiet an der Westseite des Lac Léman und im untersten Rhonetal unterteilt man in drei Regionen. La Côte, mit Féchy und Mont-sur-Rolle im Zentrum, und Bezeichnungen wie Vinzel, Perroy und Aubonne zu beiden Seiten. Das Gebiet von Lavaux, das sich von Lausanne bis Vevey und Montreux erstreckt, schliesst den bekanntesten Rebberg des Kantons ein, Dézaley, der sich zwischen Epesses und St. Saphorin auf steilen, terrassierten Hängen oberhalb des Sees erhebt. Mit den Rebflächen von Villeneuve am östlichen Ende des Sees beginnt das Chablais, das bis Yvorne und Aigle und bis zu den Rebbergen Richtung Bex reicht.

Die Gemeinde Aigle zeigt den “Aigle”, Adler, auch im Wappen.  Sie umfasst 16.4 Quadratkilometer und liegt 415 m.ü.M.

Ein Spaziergang durch das Städtchen lohnt sich – insbesondere im Spätherbst.

Die Pfarrkirche Saint-Maurice befindet sich im Quartier du Cloître.

Bedeutendster Bau von Aigle ist das am östlichen Rand von Le Cloître stehende Schloss Aigle. Es wurde wahrscheinlich zu Beginn des 13. Jahrhunderts erbaut. Es besitzt eine Mauer mit drei Rundtürmen und einem Wehrgang. Ältester Teil ist der viereckige Bergfried, dem später mehrere Türmchen mit Wehrgängen hinzugefügt wurden. Seit 1804 gehörte das Schloss der Gemeinde und diente als Gerichtshof, Gefängnis und teilweise als Spital.  Heute beherbergt es zwei Museen: das Musée de la vigne et du vin und das Musée de l’étiquette.

Aigle ist ein Westschweizer Städtchen, das seinen Charme behalten hat.

Wenn man aufmerksam ein Städtchen durchstreift, entdeckt man kleine Geschichten, die einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Bei Sonnenuntergang spielte ein Flugzeug mit den Wolken.

Die Zahnradbahn klettert grün wie ein Laubfrosch von Aigle nach Leysin hinauf auf 1450 Meter Höhe.

Kleine, unbeachtete Ecken können idyllisch sein.

Es ist ein gutes Gefühl, endlich den Eingang zum Paradies entdeckt zu haben.

Paradiesisch geht es weiter. Vom Weinkeller ins Restaurant, von Aigle nach Bex.

Wir trafen wiederum eine starke Frau. Mit 21 Jahren eröffnete die gelernte Köchin Marie Robert vor elf Jahren ihr Restaurant. Das gemütliche Dorfcafé in Bex wurde in ein modernes Restaurant verwandelt.

Den Namen Café Suisse hat es behalten, auch wenn man es nicht zu Kaffee und Kuchen besucht, sondern beispielsweise zu einem Menu Surprise.

Heute kann die “Köchin des Jahres 2019” 16 Gault&Millau-Punkte und einen Michelin-Stern ausweisen. Und sie erhielt 2020 den Michelin Young Chef Award.

Ihre Küchenbrigade ist komplett weiblich, im Speisesaal arbeiten ausschliesslich Männer im Service.

Das Restaurant wird jedes Jahr von Graffitikünstlern neu bemalt und dekoriert.  Daraus entsteht das Leitthema.

Von den Dekorationen lässt sie sich zu passenden kulinarischen Kreationen verleiten. Während des Jahres wechselt sie dann mehrmals das Unterthema.

Ihre Küche ist kreativ, verspielt, originell und farbig. Sie ist frechmutig anders als andere: Je polarisierender, desto besser.

In einem Interview in der Zeitschrift Marmite sagt die Spitzenköchin: “Ich träume nicht. Wenn ich eine Idee habe, setze ich sie um.” Ein Satz, über den nachzudenken sich lohnt.

Das Wort Kunsthandwerk gibt es in den lateinischen Sprachen nicht, da sind auch Winzerinnen und Köchinnen Künstlerinnen.

Auf Marie Robert trifft das bestimmt zu.

Ein opulentes Käsebuffet rundet das Menu ab. Wer das Waadtland bereist, muss sich unbedingt – neben den Weinen – mit den regionalen Käsesorten befassen.

Die nächste interessante Frau ist eine Hotelière im Hotel Bon Rivage am See.
Tief beeindruckt hat mich Marie Forestier, junge Mutter von zwei Kindern, Directrice des Hotels „Hotel Bon Rivage“ in La Tour-de-Peilz und Vorstandsmitglied von HotellerieSuisse.

Mit 31 Jahren übernahm sie die Führung des geschichtsträchtigen Hotels. Besitzer ist ein französischer Frauenorden.

Das „Hotel Bon Rivage“ bietet eine einzigartige Lage am Ufer des Genfer Sees in La Tour-de-Peilz, fünf Kilometer von Montreux und zwei Kilometer von Vevey entfernt.

Seit 1864 ist das Hotel Bon Rivage ein Ort der Inspiration und Kontemplation. Viele Künstler wurden hier inspiriert, beispielsweise 1865 Richard Wagner, der in der von Nonnen geführten Pension logierte.

Der französische Maler Gustave Courbert verlebte hier seine letzten Jahre,

1904 wurde die Bon Rivage Society und die erfolgreiche Schule für junge Mädchen durch die Schwestern von St. Joseph gegründet. Während des 2. Weltkrieges fehlten die Schülerinnen aus aller Welt, die Schule geschlossen.

Nach dem Krieg machten die Schwestern das heutige Hotel zu einem Internat für junge Mädchen und ältere Menschen – eine moderne Idee.

Im Jahr 2000 wurden die Gebäude sanft renoviert und das Hotel eröffnet.

Diese Mitbringsel brachte ich meinen Kindern von der nächsten Station meiner Waadtland Reise heim. Welche Erinnerungen tauchen da auf?

Nicht das Schloss Chillon war mein nächstes Ziel zu starken Frauen im Waadtland.

Wir überquerten die Strasse vor dem bekannten Schloss.

Im Modell bezeichnen rote und schwarze Tafeln das Museum gegenüber dem Wasserschloss. Von aussen sieht man nichts, ausser einem Eingang.

Das Fort Chillon vermittelt unter der Erde einen Teil der Geschichte der Schweiz rund um den 2. Weltkrieg. Bis jetzt ist die Rolle der Schweiz zu dieser Zeit nicht aufgearbeitet.

 

Die ältere Generation erinnert sich, was Väter und Grossväter vom Aktivdienst erzählten.

 

Für mich waren die Geschichten meines Vaters (Sanitätsmotorfahrer) positiv gefärbt: Männerfreundschaften, Gemeinsamkeitsgefühle, aber auch Jungenstreiche, Pfadfinder-Atmosphäre. Und ein klein wenig Heldentum, wenn er die winterlichen Fahrten in den Lastwagen beschrieb.

 

Er fühlte sich als Teil des kleinen neutralen Staates und dessen politische, soziale und kulturelle Unabhängigkeit – und vergötterte General Guisan.

Ich erfuhr mehr über das “Schweizer Réduit”. den Verteidigungsplan, der von der Schweiz ab den 1880er Jahren entwickelt wurde, um auf eine ausländische Invasion zu reagieren.

Das war die Schweiz meiner Kindheit und meiner Jugend.

Das Bild der Schweiz mit ihrer hoch entwickelten Industrie, die eng mit den Achsenmächten verbunden war, lernte ich erst viel später kennen. Die Haltung des Bundesrates zur Asyl- und Zurückweisungspolitik, von der Schweiz als Wirtschaftszentrum, von der Zwangsarbeit in den Tochtergesellschaften von Schweizer Unternehmen in Deutschland, vom SBB-Transit durch die Schweiz von Waffen und Gefangenen, von der Nationalbank und der unethischen Bereicherung und von der Schweiz als Geheimdienstzentrum erfuhr ich viel später.

Beide Aspekte der Geschichte haben Wahrheitsgehalt – und wie auch immer, es ist ein – verdientes oder unverdientes Glück – dass die Schweiz nicht in direkte Kriegshandlungen involviert war.

Der Besuch im Fort Chillon warf mich direkt auf die Geschichte meines Landes zurück und beschäftigt mich noch immer.

Realität und Fiktion? Sie gehen manchmal ineinander über.

Wie hätte ich mich gefühlt, auf engem Raum mit Menschen, die ich mir nicht ausgelesen habe.

Wie tolerant hätte ich sein müssen?

Welche Entscheide hätte ich treffen müssen – oder nicht treffen dürfen?

Auch Tabellen und Zahlen können Emotionen auslösen.

Neue Technologien, eine spielerische Herangehensweise und Interaktivität durchdringen die drei Ausstellungen.
Eva, eine eigentlich friedliche Journalistenkollegin, ballerte wie wild in einer fiktiven Welt herum. Was macht es mit Menschen, wenn sie in einem anderen Kontext stehen?

Wechselt man die persönlichen Werte, wenn man “uniform” wird?

Zum ersten Mal in der Schweizer Geschichte lagen die Schlüssel zur Festung in der Hand einer Frau. Die gebürtige Tessinerin und heutige Freiburger Grossrätin Luana Menoud-Baldi (rechts) führte uns durch das Fort, das sie massgeblich mitgestaltet und am 17. Dezember 2020 – zu Coronazeiten – eröffnet hat.

Das Fort de Chillon ist in Privatbesitz und gehört der Familie Clément-Jost. Grace Jost (links) hat viel Energie und Begeisterung für das Projekt in das interaktive Museum investiert.

Wenn Frauen die männliche Welt des Schweizer Militärs inszenieren, ist das Hauptthema ist eine allgegenwärtige Emotion, die durch akustische und visuelle Atmosphären verkörpert wird. Es ist ein Museum, das nicht nur Schweizer Männer nostalgisch werden lässt, es kommen immer wieder Männer, die hier noch Dienst geleistet haben. Es ist vor allem ein Museum, das motiviert, die jüngste Generation in die Welt ihrer Gross- und Urgrossväter eintauchen zulassen.

Gern dreht man nach diesem Besuch eine Runde auf dem Lac Léman, beispielsweise mit dem Belle-Epoque-Schiffe.

Mit etwas Glück trifft man hier eine weitere starke Frau: Sophie Aymon, Kapitänin der CGN-Flotte. CGN, Compagnie Générale de Navigation sur le Lac Léman, bewahrt und betreibt die prestigeträchtigste Belle Epoque-Flotte der Welt.

Meine Reise – mit ÖV – am oberen Ende des Lac Léman umfasste nicht viele Kilometer.

Beim Reisen kommt es nicht auf die zurückgelegten Kilometer an, sondern auf den Fokus, die Intensität der Wahrnehmung und die Bereitschaft, sich auf Regionen und Menschen auch emotional einzulassen.

In dieser Region besucht man auch gern das Chaplin-Museum.

Wir denken zu viel
und fühlen zu wenig.

Charles Chaplin

Informationen
Waadtland Tourismus
Chablais
Tourismus Montreux Riviera
Aigle Tourismus
Weingut La Baudelière
Café Suisse in Bex
Salzbergwerk in Bex
Hotel Bon-Rivage
Fort Chillon
CGN
Chaplin Museum in Vevey

Dank
Ich danke Ursula Krebs von Gretz Communications AG und Waadtland Tourismus für diese Reise.

Musik
Die ehemalige Direktorin des Fort Chillon, Luana Menoud-Baldi, ist Präsidentin des Schweizer Blasmusikverbandes. Immerhin!
Aber wo bleiben die Komponistinnen? Das habe ich mich einmal mehr gefragt und rechechiert. Gustav Mahler hat mit seiner Frau Alma einen Ehevertrag abgeschlossen, der besagt, dass sie nicht komponieren dürfe. Und Schumann hat seiner Clara verboten, als Pianistin auf Tournee zu gehen. Ich habe im 19. Jahrhundert aber doch Komponistinnen gefunden.
Clémence de Grandval, Valse mélancholique und Air Slave
Mel Bonis, Fünf Stücke für Klavier und Septuor Fantaisie ou Concerto
Cécile Chaminade, Serenade und Callirhoe Suite
Lili Boulanger, Nocturne
Auguste Holmes, La Nuit et l’amour (mega schön!)

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  1. Ritanna

    “starke Frauen träumen nicht nur, sie setzen die Träume um.” Danke für das Wort. Das mache ich auch und immer mehr Frauen überall. Gerade in dieser “Corona Zeit”: Die Wirtin vom Schindeli in Unterlunkhofen lässt sich nicht unterkriegen.
    In Jonen hat eine Frau aus der Reisebranche die Taverne mit Roger wieder eröffnet. Dienstag und Mittwoch, die Gäste, Handwerker, Pensionierte danken es ihnen. Im gleichen Dorf hat eine junge Landwirtin mit ihrem Mann das Risiko übernommen, auf Oberlunkhofer Boden in der Reussebene Reis anzubauen. Der Verkauf des Reises verbunden mit einem Risottoessen, hat die Leute zusammen gebracht und bestätigt, dass der Konsument sich interessiert, bereit ist, die Arbeit, das Risiko zu honorieren. – Danke für den Blick zurück zu unserer wechselseitigen
    Neutralität in der Politik und Wirtschaft.
    Dies ist ein wundervoller Beitrag mit dem Blick über den Röstigraben, da dort der Tourismus regional und International aufs optimalste genutzt wird.

  2. anna frick

    das isch wieder mega schön und interessant die gagend würd mich au sehr interessiere und s museum von chaplin ghöri viel guet und natürli wii degustiere i dere wunderes höni gagend👍👍🥂danke regula das du ois a so vili orte mitnimsch😁👍❤️

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