Es gibt architektonische Wahrzeichen der Stadt Lübeck: Die Marienkirche, das Holstentor, das Buddenbrookhaus.
Das geheime und süsseste Wahrzeichen Lübecks aber ist das Marzipan.
Es gibt sie, die Stadt aus Marzipan. Zu sehen im Museum des bekannten Marzipanproduzenten Niederegger.
Obwohl man weiss, dass das Marzipan im Orient erfunden wurde, erzählen die Lübecker gern folgende Legende: Im Jahre 1407 gab es eine Hungersnot, nur noch Zucker und Mandeln waren vorrätig. So wurde dieses “Brot” erfunden. Se non è vero è ben trovato. 🙂
Nach dem Tod des Konditors Johann Gerhard Maret 1804 führte sein langjähriger Geselle Johann Georg Niederegger die Konditorei weiter. 1822 gründete er seine eigene Firma.
In den folgenden Jahrzehnten wurden in Lübeck etwa ein Dutzend Marzipan-Fabriken gegründet, die den Grundstein für die heutige weltweite Verbreitung der Süssigkeit legten.
Nun aber Lübeck: beginnend beim Bahnhof und das Marzipan zum Schluss.
Der lübsche Bahnhof ist in ortsüblicher Backsteinarchitektur gebaut.
Vom Bahnhof aus überquerten wir eine Brücke zum Stadtzentrum. Bismarck streng preussisch. Eine wohlbeleibte Dame in griechischer Montur auf eine Säule gelehnt. Und…
… die breite Palette von Lübeck kennen zu lernen macht Spass!
Lübecks Wahrzeichen ist das Holstentor.
Mit ihren Backsteinbauten mit reichen Portalen und Treppenfassaden vor dem “Fast-Nichts” wollten die Lübecker Bürger ihren Reichtum demonstrieren.
Ich liebe die Farbnuancen von Backstein an den hansischen Giebelhäusern.
Die Backsteinarchitektur entlang der norddeutschen Nord- und Ostseeküste zeigt sich ganz besonders in Lübeck, seit 1987 erstes Stadtensemble in Deutschland, das zum Weltkulturerbe der UNESCO ernannt wurde.
Die Backsteinmauern haben oft eine wunderschöne Patina.
Lübeck, die ehemalige „Königin der Hanse“, repräsentiert mit ihrer Backsteinarchitektur die Werte der Hansestädte: Bürgerstolz, faire Wahrung des gegenseitigen Vorteils, Austausch von Waren, Kultur und Wissen, gegenseitiges Lernen, Zusammenarbeit und Respekt über Grenzen hinweg… eigentlich eine Vorwegnahme der Ziele der EU.
Wir Binnenländer kennen das Wort Hansestadt von den Autoschildern HH, HB und HL, Hamburg, Bremen und Lübeck.
Hansestädte sind Städte, die sich dem mittelalterlichen Kaufmanns- und Städtebund der Hanse angeschlossen hatten. Darunter waren vor allem Hafenstädte in den Küstenregionen, aber auch Städte im Binnenland, vor allem an bedeutenden Flüssen. Durch Freihandel und ein geschäftstüchtiges Bürgertum gelangten viele Hansestädte zu Wohlstand, was noch heute an historischen Bauwerken zu erkennen ist.
Unter einem “Hanseaten” verstand man ein Mitglied der Oberschicht der drei Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck.
Ihren Ausgangspunkt nahm die Hanse Mitte des 12. Jahrhunderts in Lübeck, das als „Mutter der Hanse“ gilt. Zuerst war der Verbund der bis zu 200 Städte in der Hanse lose und wurde mit keinem Vertrag schriftlich geregelt. Die Hanse selbst wollte Anzahl und Namen ihrer Städte nie festlegen. So weigerte sie sich gegenüber dem König von England, eine detaillierte Liste mit Städtenamen vorzulegen.
Beim letzten Hansetag 1669 in Lübeck waren nur noch neun Städte vertreten: Lübeck, Hamburg, Bremen, Braunschweig, Danzig, Hildesheim, Köln, Osnabrück und Rostock.
Lübeck, Hamburg und Bremen waren bereits auf den Hansetagen 1629 und 1641 damit beauftragt worden, das Beste zum Wohle der Hanse zu wahren. Diese drei reichsunmittelbaren Städte blieben durch vertragliche Beziehungen verbunden und betrieben gemeinsame konsularische Vertretungen.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Zusatz „Freie“, mit dem Verlust jeglicher Eigenstaatlichkeit, abgeschafft. Mit der Gründung der Bundesrepublik nahmen Bremen und Hamburg wieder beide Titel als Bezeichnung in ihren Landesnamen auf. Lübeck war durch das Gross-Hamburg-Gesetz seit 1937 nur noch kreisfreie Stadt in Schleswig-Holstein und konnte ausser dem Titel „Hansestadt“ den Zusatz „Freie“ nach dem Krieg nicht wiedererlangen.
Die Farben der Hanseflaggen sind Weiss und Rot – wie die der freiheitsliebenden Schweizer.
Ich glaube aber nicht wirklich, dass damals die Kaufleute in ihrem wirtschaftlichen Verhalten besser waren als heute. Gier ist ein urmenschliches Laster.
Damit kommen wir zur Kirche, zur Marienkirche, zur “Mutter der Backsteingotik” mit den weissen Dekorationselementen. Die Lübecker Bürger- und Marktkirche ist von jeher ein Symbol für Macht und Wohlstand der alten Hansestadt. Sie ist die drittgrösste Kirche Deutschlands mit dem höchsten Backsteingewölbe der Welt.
Ihr gegenüber steht das Buddenbrookhaus.
Hier wohnten einst die Grosseltern von Thomas und Heinrich Mann. Das prachtvolle Stadthaus von 1758, nach Thomas Manns nobelpreisgekröntem Werk “Buddenbrookhaus” benannt, beherbergt zwei Dauerausstellungen. Im Erdgeschoss zeichnen zahlreiche Bild-, Ton- und Filmdokumente die Herkunft und Lebenswege der Künstlerfamilie Mann nach.
In der ersten Etage erlebt man die berühmte Geschichte der Buddenbrooks “live”.
Kleine Zettel am Mobiliar verweisen auf Textstellen des Romans.
Wo immer man aus den vielen Fenstern des Wohnzimmers rausschaut – man sieht die Marienkirche.
Ganz bedrohlich schaut die Marienkirche zu den Fenstern rein.
Die Buddenbrookkinder hatten ein Spieltheater.
Und auch im Garten konnten sie spielen, der Besitz erstreckte sich von der Fassade an der Strasse weit nach hinten.
Schön ist auch die Geschichte von Thomas Manns Schränken. Man muss sich bewusst sein, dass der vielgelesene Schriftsteller, 1875 in Lübeck geboren und 1955 in Zürich gestorben, von den Nazis existenziell betroffen war.
Im Frühling suchte ich in Sanary-sur-mer Wohnungen von Dichtern im Exil und fand Orte, wo auch Mitglieder der Familie Mann gelebt hatten.
1933 zogen Thomas und Katia Mann in die Schweiz, 1938 ins Exil in die USA.
Ich verliess die Welt der Buddenbrooks nach einer hervorragenden Führung durch das Haus, denn es wartete ein ganz besonderer Stadtrundgang, eine Lübecker “Kulttour” mit Geschichten um aktuell lebende Personen und Gaumenfreuden auf mich.
Christoph Rode führt auf Schleichwege durch die Lübecker Altstadt zu besonderen Orten und Läden. Nichts von Holsteintor und Marienkirche, sondern Begegnungen mit Menschen, die in Lübeck ihre Träume realisiert haben.
So beispielsweise Angelika Fernandes Costa, die ihren Traum einer eigenen Manufaktur kulinarisch-scharfer Köstlichkeiten mit „Lübecks schärfster Adresse“ wahr gemacht hat.
Hier findet man von würzig bis höllisch scharfe Pasten, Vinaigretten, Chutneys und Öle. Wir durften auch probieren, beispielsweise Chili-Aprikosen-Knoblauch-Grappa-Honig-Paste.
Dann trafen wir Moritz Holst, studierter und weit gereister Sinologe, der uns sein “Schifferhaus” zeigte, das er in langen Jahren vor allem mit Eigenleistungen restauriert – und dabei immer wieder auf Malereien stösst.
Das Haus wurde 1504 erbaut, seine frühgotischen Brandmauern haben die Jahrhunderte überdauert. Es war das Wohnhaus wohlhabender Schiffer. Fast das ganze 20. Jahrhundert stand das Haus leer. In den 1980-er Jahren diente es als Lager für ein Elektro-Fachgeschäft.
Im Inneren zeugen Wand- und Deckenmalereien, Herd und Kamin, Paneele, Türen und Wandschränke von der für seine damaligen Bewohner typischen Ausstattung und deren Wohnkultur.
Auch das ehemalige Kontor im Erdgeschoss des Vorderhauses weist eine Barockdecke auf.
Hier kredenzte uns Moritz Holst fachmännisch einen besonderen Tee. Wir durften alle Räume, eigentliche Langzeit-Baustellen, anschauen und Moritz Holst erzählte aus seinem interessanten Leben. So gefallen mir Stadtrundgänge – weit ab von Touristentrampelpfaden.
Nächste Station: typisch lübsches Mittagessen.
Der nächste Besuch galt einer Papierkünstlerin.
Sie malte gerade Quitten und beschenkte uns herz-lich.
Weiter ging es durch Lübeck. Mir gefallen die Ampelmännchen.
Oft lehnen sich die müden, alten Häuser an und müssen gestützt werden.
In den engen Gassen in der Altstadt fielen mir die vielen Durchgänge auf.
Sie sind Zeugen des mittelalterlichen lübschen Städtebaus. Noch heute sind sie bewohnt und zu Wohn-Oasen mitten in der Altstadt geworden.
Teilweise sind die Gänge so eng, wie es im Mittelalter als Mass in der Stadt Zürich galt: Mindestens so breit, dass ein Schwein sich wenden kann.
Irgendwie hat Lübeck eine Mäusearchitektur. Man kommt durch enge Gänge schnell quer durch die Stadt.
Die dicht bebauten Gassen entstanden, als erfolgreicher Handel Lübeck rasch wachsen liess. Es wurde schnell eng innerhalb der Mauern. Daher schaffte man Durchgänge durch die Vorderhäuser und baute in den Hinterhöfen so genannte „Buden“.
Die Buden waren einst einstöckig und hatten nur ein Zimmer. Von diesen hölzernen Buden ist keine mehr erhalten. Doch noch heute stehen hier viele der steinernen Nachfolger, einige mehr als 400 Jahre alte Gebäude – winzig wie Puppenhäuser.
Im Rosengang erwartete uns eine Überraschung.
Eine Frau erzählte über das heutige Leben in den klitzekleinen Häuschen und über das Zusammenleben der Leute im Gang.
Und beschenkte uns mit Marzipankonfekt.
Das Leben in der idyllischen Rosen-Gasse mitten in Lübeck hat etwas Romantisches.
Nun waren wir bei Frau Evers in einem alten Stadthaus zu einem Fisch 3-Gang-Menü eingeladen. Auf einem schön gedeckten Tisch erwarteten uns in kleinen Tellern je ein Schokoladenfisch mit drei verschiedenen Schokoladen von Kopf bis Schwanz. Besonders schön waren die kandierten Weihnachtsbäume im Teller.
Begeistern liess ich mich bei unserem Stadtbummel von den Türen.
Manche Türen wirken einladend, andere sehr verschlossen.
Die Natur malte Ende Oktober kräftig an den Türbildern mit.
Mit wenig Erde bietet der kleine Baum dem armen einrädrigen Fahrrad etwas Schutz.
Ich hätte ewig durch diese Stadt flanieren und kleine und grosse Schönheiten entdecken können.
Nun endlich führte uns Christoph Rode zu Niederegger.
Was man aus Marzipan alles formen kann.
Marzipanrohmasse besteht aus zwei Teilen gemahlenen Mandeln und einem Teil Zucker, die unter Rühren erhitzt werden, um den Wassergehalt zu verringern, maximal 17 Prozent.
– “Niederegger Marzipan“ besteht zu 100 Prozent aus Marzipanrohmasse.
– „Lübecker Edelmarzipan“ ist eine geschützte Herkunftsbezeichnung und darf nur von Marzipanerzeugnissen getragen werden, die in Lübeck oder bestimmten Orten in der Umgebung hergestellt wurden. Es enthält mindestens 90 Prozent Marzipanrohmasse und maximal 10 Prozent Zuckerzusatz.
– „Gewöhnliches“ Marzipan schliesslich enthält nur noch mindestens 50 Prozent Marzipanrohmasse, dafür maximal 50 Prozent Zuckerzusatz.
Auch eine Marzipan-Krippe ist zu sehen.
Danach wurde geschlemmt…
Sooo viel Marzipankuchen und -torten waren es aber nicht.
Die Abendsonne warf Schatten auf die Lübecker Fassaden.
Ende Oktober nachtete es früh ein.
Zeit, sich in die gemütliche, 1535 erbaute Schiffergesellschaft zurückzuziehen.
Gott schuf die Mandeln und der Mensch das Marzipan.
Damit hat der Mensch die göttliche Schöpfung zweifellos übertroffen.
Waltraud Puzicha
Informationen
Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein GmbH
Lübeck und Travemünde Marketing GmbH
Schleswig-Holstein allgemein
Buddenbrookhaus
Lübecker Kulttouren Christoph Rode
Niederegger
Stadtplan Lübeck
Evers und Tochter, Schokolade
Moritz Holst Tea
Dank
Ich danke Christian Terzic von der Deutsche Zentrale für Tourismus.
Mein besonderer Dank geht an Jana Denker, Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein GmbH.
Musik
Der dänisch-deutsche Barockmusiker Dieterich Buxtehude starb in Lübeck.
Im Nordosten Schleswig-Holsteins, in Eutin, wurde Carl Maria von Weber geboren.
Ich habe in Dresden sein Museum und sein Grab besucht.
Ich liebe sein Klavierkonzert Nr. 1 und das Klarinettenkonzert Nr. 1.
Literatur
Hörbuch Buddenbrooks
Film Buddenbrooks
Tilmann Lahmes
Die Manns: Geschichte einer Familie
Acht Menschen, acht Blickwinkel: So wurde die Geschichte der Manns noch nicht erzählt. Thomas Manns literarisches Werk überragt die Konkurrenz – und es beherrscht die Familie. Seine Frau Katia hält ihm den Rücken frei und die Kinder vom Hals. Ihre scharfe Zunge ist gefürchtet. Der schöne Sohn Klaus will als Schriftsteller so berühmt sein wie der Vater. Erika, die älteste Tochter, liebt so leidenschaftlich, wie sie hasst. Der scheue Golo sucht sein Glück fern der Familie. Michael will ein großer Musiker werden und kämpft gegen seinen Jähzorn und die hohen Ansprüche der Familie. Der Liebling des Vaters, Elisabeth, redet mit Tieren und rettet die Welt. Und alle lästern über Monika. Die Geschwister experimentieren in der Liebe und mit Drogen, verschleudern das Geld der Eltern – und werden zu ernsthaften Gegnern Hitlers. Wohin das Schicksal sie auch trägt: Die Manns halten zusammen. Und sie verraten einander. Tilmann Lahme erzählt anhand zahlloser bisher nicht zugänglicher Quellen das aufregende Leben der Familie Mann.
Alle unglücklichen Familien sind auf ihre Art unglücklich, heisst es bei Tolstoi.
Artikel zum Buch
Manfred Bosch (Herausgeber)
„Sie gehören zum literarischen Familien-Phänomen Mann dazu“. Der Briefwechsel zwischen Viktor Mann und seinem Verleger.
1949 vollendete Viktor Mann, der jüngere Bruder Heinrich und Thomas Manns, sein auto- wie familienbiografisches Erinnerungsbuch „Wir waren fünf“, die erste Geschichte der Familie Mann. Die Entstehung des Werks begleitet ein reger, geistreicher Briefwechsel zwischen dem Autor, der sich selbst als literarischen Quereinsteiger sieht, und seinem Verleger Johannes Weyl.
Rita
Ein grosses Kompliment und herzlichen Dank an die Schreiberin. Die “Entführung” nach Lübeck habe ich sehr genossen. Ab heute steht Lübeck auf meiner Bucketlist.
Regula Zellweger
Rita H. schaffte es nicht, ihren Kommentar “aufzuladen”. Das mache ich jetzt gern.
IhrText war:
Liebe Regula, schöne Beschreibung und tolle Fotos! Da kommt grad etwas Heimweh auf! Ich war vor 2 Jahren in Lübeck – und habe natürlich im Niederegger eingekauft.
Liebe Grüsse Rita
Rolf
Wieder ist Dir ein lebendiger, vielseitiger und kunstvoller
Bericht gelungen.
Hatte erst unlängst Die Buddenbrooks erneut gelesen
Deine photografische Untermalung kam daher sehr gut
bei mir an
Danke
Rolf
Rita
Grad sofort würde ich gern wieder nach Lübeck fahren! So sehr mag ich diese einzigartige Stadt mit der Backsteingotik, den Buddenbrocks, dem Marzipan undundund.. Wunderbarer Bericht, Regula!
Sophie
Lübecks reiches Marzipan-Erbe ist wirklich faszinierend! Von den historischen Ursprüngen bis zur modernen, weltweiten Anziehungskraft ist die Reise vom Bahnhof bis zum Marzipan ein köstliches Erlebnis.
https://thingsfrommars.de/