Tierisch schöne Adventsgeschichte

Print Friendly, PDF & Email

23. Dezember, Adventskalender 2019

Heute erzähle ich vom Tag, an dem vor 10 Jahren Negroni verschwand.

Anfangs Dezember hatte sich die Nachbarin wieder einmal beklagt. Negroni markiere, wo er nicht solle, und er provoziere den Nachbarskater immer wieder zu harten, lautstarken Schlägereien. Negroni solle endlich kastriert werden. Noch vor Weihnachten.

Mitte Dezember kaufte ich abends eine neue Katzentransportkiste, um am Morgen den verbissen Widerstand leistenden Kater drin zu verfrachten. Ich brachte Kiste und Katze ins Auto und fuhr nach Affoltern zur Tierärztin. Negroni miaute laut und nervenaufreibend in seinem Gefängnis auf dem Rücksitz. Am Kronenplatz parkierte ich und marschierte zielbewusst zum Eingang der Tierklinik.

Einen Schritt vor dem Eingang krachte es, der Boden der Kiste fiel herunter – und wie ein geölter schwarzer Blitz verschwand Negroni um die Hausecke. Ein Mann lachte laut auf – bis er meinen Blick sah. Wenn Blicke töten könnten. Ich startete durch, flitzte auch um die Hausecke – nichts. Kein Kater war zu sehen, nur der geschlossene Eingang einer Tiefgarage, eine Baustelle und ein verwilderter Garten eines Mehrfamilienhauses, der an der Mauer zum Dorfbach endete.

Ich begann laut „Negroni“ zu brüllen und Passanten schauten mich mitleidig an. Auf Urlaub aus der Klinik?

Es gab tausend Möglichkeiten, wohin Negroni hätte verschwinden können. Bestimmt hatte er sich verstört irgendwo verkrochen – zudem war er die rege befahrenen Strassen hier am Kronenplatz nicht gewohnt. Nach dem Schrecken setzte nun langsam mein Hirn wieder ein.

Von nun an sollte ich Affoltern von einer ganz neuen Seite kennen lernen, eine neue Geografie lernen. Ich informierte die Tierärztin, dass es mit der Operation heute wohl nichts werde. Sie schnappte sich eine Dose, füllte Katzen-Trockenfutter hinein und begab sich rasselnd auf die Suche. Es war eisig kalt während der zwei Wochen vor Weihnachten 2009. Gemeinsam zogen wir mehrmals um den Block, rasselnd und „Negroni“ rufend – wenn man sich zu zweit auffällig benimmt, ist es viel weniger schlimm als alleine.

Nach einer Stunde gaben wir beide auf. Eine Tierarzt-Rechnung für diese Zeit bekam ich nie.

Ich fuhr nach Hause und produzierte ein Plakat: „Vermisst wird Kater Negroni. Er ist schwarz und hat eine weisse Krawatte, einen weissen Slip und eine kleine weisse Schwanzspitze“. Besser konnte ich Negroni nicht beschreiben. Dazu setzte ich ein Bild von Negroni mit seiner Schwester Sofie und meine Koordinaten dazu. Mit einem ganzen Stapel Plakaten und Klarsichthüllen zog ich durch Affoltern, hängte die Plakate an die Bushäuschen, an Laternenpfähle, Mauern und Gartenzäune.

Ich bat Ladenbesitzer, das Plakat gut sichtbar in ihre Schaufester zu hängen. Und hier erlebte ich wirkliche vorweihnachtliche Freude. Die Christbaumverkäufer auf dem Kronenplatz brachten gleich mehrere Plakate an ihrem Holzwagen an und anerboten sich, auch immer wieder unter den Tannen nachzuschauen – denn Bäume waren für Negroni ein Versteck, das er kannte. Die Bauarbeiter und Handwerker im Neubau wollten darauf achten, ob sich Negroni in einem Winkel verkrochen habe. Der Velohändler versprach, zusammen mit seinem Hund auf die Suche zu gehen. Die Coiffeusen brachten ein mehrstimmiges „Je, wie herzig“ hervor und beklebten Eingangstüre und Schaufenster mit Plakaten. In der Metzgerei musste man trotz der traurigen Situation lachen: Ein Metzger, der einen Negroni sucht! Dabei hatte der kleine Kater seinen Namen vom italienischen Apero-Mix – und nicht von der Salami. Ob beim Grossverteiler, im Blumenladen, in der Drogerie oder im Optikergeschäft, alle Menschen zeigten Mitgefühl. Nur die mürrische Frau in der Chemisch Reinigung legte das Plakat murrend auf die Theke – sie hat es nie aufgehängt. In dieses Geschäft werde ich keinen Fuss mehr setzen!

Als ich traurig und durchgefroren zuhause ankam, klingelte das Telefon und hoffnungsvoll nahm ich den Hörer ab. Es war die Sprechstundenhilfe der Arztpraxis im Haus neben der Tierarztpraxis. Sie drückte ihr Mitgefühl aus, erklärte, am Hauptplatz zu wohnen und sich gleich am Mittag auf die Suche zu machen. Sie hätte auch zwei Katzen – und könne nachfühlen, wie es mir gehen würde. Mir kamen Tränen.

Immer wieder fuhren wir zur Stelle, wo ich Negroni zuletzt gesehen hatte, klapperten mit der Futterbüchse und riefen seinen Namen. Freundinnen fuhren hin und suchten. Meine kleinen Enkelinnen sassen mit vor Kälte roten Nasen im Kinderwagen und riefen quer durch Affoltern nach „Chroni“.

Am 23. Dezember hatten wir aufgegeben, es waren nun zwei eiskalte Wochen vergangen, seit Negroni verschwunden war. Abends um acht endlich der Anruf: „Wir haben Ihre Katze gefunden!“ Das Quartier, wo ich Negroni zehn Minuten später abholen konnte, heisst „Goldener Berg“ – jetzt weiss ich endlich weshalb. Negroni hatte bei diesen freundlichen Leuten tütenweise Futter verschlungen, hatte einen runden Bauch – sonst war er völlig abgemagert. Zecken in seinem Fell bewiesen, dass er auf seinen Irrwegen auch im Wald gewesen war. Er hatte keine Chance gehabt, die frisch eröffnete Autobahn zu überqueren, sie trennt Affoltern von Obfelden unüberwindbar.

Die hilfsbereite Frau erklärte, dass es das Plakat beim Velohändler am Kronenplatz gewesen sei, wo sie die Telefonnummer gefunden habe.

Während ich mit einem ganz stillen, dünnen Kater am Vorweihnachtsabend überglücklich heimfuhr, nahm ich mir vor, auch mein nächstes Velo beim Fahrradhändler am Hauptplatz zu kaufen.

Heute ist Negroni ein gesetzter Kater und auch Sofie geht es gut. Er prügelt sich seltener mit anderen Katern. Und sein Lieblingsplatz ist auf meinem Pult zwischen Bildschirm und meiner Nase – ich sehe jeweils nur noch schwarz¨.

Schon die kleinste Katze ist ein Meisterwerk.

Leonardo da Vinci, 1452 – 1519

Geschichten
Kater Murr von E.T.A. Hoffmann
E.A. Poe: Die schwarze Katze
3 Stunden Katzen Schnurren zum Einschlafen 🙂

Film
Bob der Streuner

Musik
Entspannungsmusik für Katzen

Adventskalender, 23. Dezember 2018
Adventskalender, 23. Dezember 2017
Adventskalender, 2016

Zurück

Zinnfiguren

Nächster Beitrag

Die Weihnachtsfrau

  1. Dori

    Guten Morgen
    ich kann mir ein Leben ohne Büsis mit ihren verschiedenen Macken gar nicht vorstellen. Die ganze Familie liebt Katzen über alles. Es gibt tausende Katzenfötelis in unserem Haushalt.
    Einen schönen Tag.
    lg

  2. Elfi

    Jetzt hab ich beim Lesen richtig mitgefiebert und freue mich über das vor Jahren gelungene Happy End. Die Fahrt in die Tierarztpraxis ist wohl für alle Katzen eine Zumutung, Camillo lässt grüssen!

  3. ritanna

    Herzzerreissend. Fast jede Katzenmutter erlebt Schreckensmomente, darum sind wir andern mitfühlend. Die Büssis wissens danach auszugleichen. Das Schlimmste passiert dann, wenn man einfach nie mehr was hört. Keine Nachricht bekommt. Denn das Schnurrlen, und sei es laut wie ein Traktor – kann man nirgends kaufen, das ist verdient.

Schreibe einen Kommentar

© Regula Zellweger | Alt werden kann ich später | Datenschutzerklärung| Impressum

Contact Us

Neue Beiträge abonnieren

Hier registrieren, um automatisch benachrichtigt zu werden.