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“Der Stechlin” wurde als letztes Werk von Theodor Fontane bekannt. 2019 jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal.
Im November ist es hier am See ausgestorben und die Stimmung des Romans geht auf einen über. Ich mag solche Herbststimmungen – dabei darf man aber nicht vergessen, dass hier im Sommer ein sonniges Ferienparadies mit vielen fröhlichen Menschen ist. Fontane liess Dubslav von Stechlin, einen altersweisen, toleranten Menschen, über die sich verändernde Welt sinnieren. Handlung hat der Roman kaum – doch die Aussagen sind aktueller, als man vermutet.

Der sagenumwobene Stechlinsee war der nördlichste Punkt auf meiner Reise auf den Spuren von Fontane durch Brandenburg.

Quelle: Google Maps

Der See hat eine Fläche von 412 Hektaren und ist mit 70 Metern der tiefste See in Brandenburg.

Er liegt mitten in einer wenig besiedelten Seenlandschaft. Zum Vergleichen: Der Kanton Zürich hat 880 Einwohner auf einen Quadratkilometer, Brandenburg lediglich 85.
Eine Berufsfischerfamilie lebt heute noch von den Fängen aus dem See und einem kleinen Fischrestaurant an seinem Ufer. Der grosse Stechlin war lange Jahre für sein klares Wasser bekannt.

An seinem Ostufer liegt das Dorf Neuglobsow. Ich kam hier morgens eine Stunde zu früh an.

Ausser einer schweigenden Skulptur traf ich in dieser Stunde niemanden, beide Cafés und das Restaurant sind im November geschlossen, während im Sommer fröhliche Ferienstimmung herrscht.

Auch die Dorfkirche vom 300-Seelen-Dorf Neuglobsow stand völlig verschlossen da. Warum eigentlich das “neu”. Nichts scheint hier neu zu sein – und das macht den Ort so stimmungsvoll. Man kann sich leicht in frühere Zeiten zurückversetzen.

Ich spitzte meine visuellen Ohren und hörte zu, was die Häuser erzählen.

Vom ausgestorbenen Dorf machte ich mich auf an den einsamen See.

So sieht ein totes Strandbad aus. 🙂

 

An einem ausgestorbenen Ort schärft sich die Wahrnehmung. Sonst höre ich nicht dem sanften Plätschern von unspektakulären Wellen zu. Hier schon.

Ich lasse Fontane sprechen:
“Wie still er daliegt, der Stechlin”, hob unser Führer und Gastfreund an, “aber die Leute hier herum wissen von ihm zu erzählen. Er ist einer von den Vornehmen, die grosse Beziehungen unterhalten. Als das Lissabonner Erdbeben war, waren hier Strudel und Trichter, und staubende Wasserhosen tanzten zwischen den Ufern hin. Er geht 400 Fuss tief, und an mehr als einer Stelle findet das Senkblei keinen Grund. Und Launen hat er, und man muss ihn ausstudieren wie eine Frau.

Dies kann er leiden und jenes nicht und mitunter liegt das, was ihm schmeichelt, und das, was ihn ärgert, keine Handbreit auseinander. Die Fischer, selbstverständlich, kennen ihn am besten. Hier dürfen sie das Netz ziehen, und an seiner Oberfläche bleibt alles klar und heiter, aber zehn Schritte weiter will er’s nicht haben, aus blossem Eigensinn, und sein Antlitz runzelt und verdunkelt sich, und ein Murren klingt herauf. Dann ist es Zeit, ihn zu meiden und das Ufer aufzusuchen.

Ist aber ein Waghals im Boot, der’s ertrotzen will, so gibt’s ein Unglück, und der Hahn steigt herauf, rot und zornig, der Hahn, der unten auf dem Grunde des Stechlin sitzt, und schlägt den See mit seinen Flügeln, bis er schäumt und wogt, und greift das Boot an und kreischt und kräht, dass es die ganze Menzer Forst durchhallt von Dagow bis Roofen und bis Altglobsow hin.”

(Aus „Wanderungen durch die Mark Brandenburg” von Theodor Fontane)

Region Stechlin entdeckenDer rote Hahn ist das Wahrzeichen von Neuglobsow. Überall im Dorf entdeckt man Informationstafeln mit diesem Zeichen.
Die Fischersage um den roten Hahn geht auf das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 zurück, das beispielsweise Goethe als Kind erlebte – und später darüber schrieb.

Theodor Fontane besuchte Neuglobsow auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Von wegen Wandern – er fuhr in der Kutsche!

Damals muss es rund um den See so ruhig gewesen sein wie bei meinem Besuch im November.
Im Glasmacherdorf Neuglobsow muss aber Hochbetrieb geherrscht haben. Fontane schrieb: “Hütte neben Hütte; sonst nichts sichtbar als der Rauch, der über die Dächer zog.” Der Ort entstand 1780 als Glasmacherdorf. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier grünes Tafelglas hergestellt.

Die Farbe kam vom Quarzsand der Region, der dem Glas die grüne Farbe gibt.
Zur Glasherstellung braucht es Pottasche. Um drei Kilogramm Pottasche herzustellen, sind eine Tonne Buchen- und zwei Tonnen Eichen- oder eine Tonne Buchen- und vier Tonnen Pappelholz nötig. Pottasche brauchte man zu dieser Zeit nicht nur für die Herstellung von Glas, es wurde in der Pergamentherstellung und der Seifenproduktion verwendet, zudem ist es ein Back- und ein Bleichmittel.

Da die Wälder in dieser Region bei Adligen als Jagdgebiet beliebt war, verbot die Obrigkeit, der Alte Fritz, das Fällen der Bäume, kurz nachdem sich die Glasmacherfamilie Pirl wegen dem dichten Wald am Stechlin angesiedelt hatte.

Glashüttenchefin Mutter Pirl hatte zum Glück die Idee, dass man auch mit Torf und kleineren Schmelzgefässen Glas herstellen kann und rettete damit die Glashütte am Stechlin.

Theodor Fontane beschrieb die Glashütte im “Der Stechlin”: …”Das ist Kolonie Globsow. Da wohnen die Glasbläser. Und dahinter liegt die Glashütte. Sie ist noch unter dem Alten Fritzen entstanden und heisst die grüne Glashütte. Die grüne? Das klingt ja beinah wie aus’nem Märchen. Ist aber eher das Gegenteil davon. Sie heisst nämlich so, weil man da grünes Glas macht, allergewöhnlichstes Flaschenglas. An Rubinglas mit Goldrand dürfen Sie hier nicht denken. Das ist nichts für unsre Gegend”…

Das Museum im über 200 Jahre alten Glasmacherhaus erzählt von diesen Menschen, beispielsweise von den Kindern, die hart mitarbeiten mussten.

Im Glasmacherdorf wurde man nicht alt. Glasblasen beansprucht die Lungen stark. Die dicken Ballonflaschen konnten erst erstellt werden, nachdem ein Glasbläser die Idee hatte, mit der Luft auch einen Schluck Wasser hineinzublasen, das bei der grossen Hitze sofort verdampfte und dabei viel Raum beanspruchte.

Nachdem das Glasblasen aufgegeben wurde, schrumpfte die Bevölkerungszahl von Neuglobsow. Wäre da nicht Fontanes Roman gewesen, der einen Bauboom auslöste und reiche Leute motivierte, am Stechlin eine Sommervilla hinzubauen.
1928 erhielt das Dorf sogar einen Kleinbahn-Bahnhof. 1945 wurde er demontiert. Heute ist die Einwohnerzahl steigend. Berlin ist nah und obwohl ältere Leute das Ortsbild prägen, gibt es wieder mehr Kinder. Es ist aber kein “Schlafdorf” für Berliner. Es gibt zwei Vereine und eine “Rentnerbrigade”, deren Mitglieder sich im Dorf engagieren, Wege erstellen, Schilder wieder gerade richten und weitere Aufgaben ehrenamtlich übernehmen.

Als Fontane den See besuchte, gab es noch kein Fischerhaus an seinem Ufer.

Seit mehreren Generationen spannt Fischerfamilie Böttcher hier die Netze aus. Grossvater Böttcher kam nach dem Krieg hierher, nachdem der Vorgänger im Rahmen der “Entnazifizierung” verschwunden war.  “Es gibt Fangbücher von 1947”, erzählt Rainer Böttcher.

“Zum Glück gründete mein Vater zu Zeiten der Zwangskollektivierung in der DDR mit zwei befreundeten Fischern 1958 sofort eine Genossenschaft, sonst wäre die Fischerhütte am Stechlin ein volkseigener Betrieb geworden”, erzählte Rainer Böttcher.

Nach dem Mauerfall strebte sein Vater 1990 wieder aus der Genossenschaft hinaus. Er kombinierte die Fischerei mit einem kleinen Gastrobetrieb: “Vom Fischfang alleine kann man nicht leben.”

2014 schied der Vater aus und Sohn Rainer übernahm den Betrieb.
Am Ufer vor dem Fischerhaus befindet sich heute eine Aquakultur, aus der Forellen, Saiblinge und Welse gefischt werden. Maränen (Felchen), Aale und Barsche holen Böttchers aus dem See.

Sohn Martin lernte nach dem Abitur Fischerwirt, bei uns Berufsfischer. Er könnte weitermachen zum Fischwirtschaftsmeister. Im Moment gefällt ihm die Freiheit als Berufsfischer und er hat eine Menge neue Ideen, die er in den Betrieb einbringen möchte. Nicht immer zur Freude seines Vaters. So propagiert er das Fischen mit Strom. So könne man Fischarten wie den Steinbeisser finden, die man mit dem Netz nicht fischen könne. Und man könne gezielt so selektionieren, dass die Artenvielfalt im See gewährleistet sei. E-Fischen? Tiere werden für kurze Zeit betäubt und schwimmen auf der Oberfläche. Wenn sie wieder zu sich kommen, verschwinden sie schnell wieder in der Tiefe. “Wenn wir den See abfischen würden, wären wir blöd”, meint der Sohn. Er will am Stechlin bleiben, schätzt trotz der strengen Arbeit die Freiheit als Fischer und das Leben am See. Er probiert auch neue Rezepte für Fischgerichte und Fischkonserven aus.

Seine Mutter führt das Restaurant und seine Schwester betreut die familieneigenen Ferienwohnungen.
Tipp für Angler: Mal in einer solchen Wohnung zu sehr moderaten Kosten am ruhigen Stechlin Ferien machen, angeln – und wenn man nichts gefangen hat, bei der sympathischen Mutter Böttcher Fisch essen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass der mystische Stechlin insbesondere im Winter ein Ort ist, wo man wandern und Ruhe finden kann.

Friede ist Freiheit in Ruhe.

Marcus Tullius Cicero, 106 – 43 v. Chr.

Informationen
Brandenburg
Stechlin
Neuglobsow
Glasmacherhaus
Fischerei Böttcher, inkl. Ferienwohnungen

Zusammenfassung des Buches “Der Stechlin”

Geschichte “Der rote Hahn” als PDF

Filme
Der Stechlin
Wanderung durch Brandenburg

Hörbuch
Der Stechlin

Musik
Glasmusik
Bolero von Ravel auf Glasharfe
Zu dieser Novemberlandschaft passt für mich Schubert:
Schubert’s Fantasy in F minor for Piano Four Hands, D940
Schubert: Arpeggione Sonata (Rostropovich / Britten)
Insbesondere zu den Fischen:
Forellenquintett
von Schubert
Die Forelle, Lied, Schubert
Der mystische See erinnert mich auch an Antonín Dvořáks lyrisches Märchen “Undine”, im Speziellen an das “Lied an den Mond”

Dank
Mein Dank für die herzliche Gastfreundschaft und die interessanten Gespräche geht an die Fischerfamilie Böttcher und an Susen Liepner von der Tourist-Information Stechlin im Glasmacherhaus.
Ich danke Christian Terzic von der Deutschen Zentrale für Tourismus, DZT, Schweiz, der die Reise ermöglichte. Ein grosses Dankeschön auch an Regina Zibell von der TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH. Sie hat die ganze Reise organisiert.
Ein weiterer Dank geht an Ursula Zeller, ÖBB-Personenverkehr AG, Produktmanagement Nachtreisezüge.