Kulinarisches Engadin

Oft sind es Bücher, welche die Sehnsucht nach einer Region wecken und nähren. Ich mag die Reiseführer, die Touristentrampelpfade punktuell mit Blitzlichtern ausleuchten nicht besonders. So und so viele Orte, die man gesehen haben muss, oder ähnliche Titel mag ich nicht, es sind illustrierte Punkte, die man abhaken kann.

Ich mag Bücher, die Geschichten aus dem Alltagsleben erzählen, wie und was man da arbeitet, wie man sich ernährt und wie man zusammenlebt.

Ich habe mich von Rezepten inspirieren lassen und Früchtebrot, Pizokel und Bündnerfleisch-Carpaccio gemacht – weiter unten berichte ich darüber. Aber zuerst ein paar Infos zum Engadin.

Das Engadin lebt seit vielen Jahrzehnten von Tourismus. Hier arbeiten die Menschen im Tourismus, vom Skilehrer bis zur Hotelière.

Das Engadin hat immer wieder auch bekannte Persönlichkeiten angelockt. Und solvente Leute, die Villen oder mondäne Hotels bauten.

Kurz zusammengefasste Facts: Das Engadin ist ein 57 Kilometer langes Hochtal auf 1.800 Meter über Meer und mit einer Fläche von 764 Quadratkilometern. Rätoromanisch und Deutsch zählen zu den Amtssprachen – hören kann man Sprachen aus aller Welt. Im Oberengadin, von Sils bis S-chanf, wird der rätoromanische Dialekt «Puter» gesprochen, in Maloja neben Deutsch auch Italienisch. Die sprachliche Mischung trägt zu dem besonderen Charme des Engadins bei. Das weltoffene Hochtal bietet weit über 10’000 Betten in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen in 12 verschiedenen Gemeinden.

Beispiel St. Moritz: Wirtschaft und Wohlstand von St. Moritz sind eng mit dem Tourismus verbunden und von ihm abhängig. Bei rund 5’500 Einwohnern und rund 2’500 saisonalen Mitarbeitern gibt es in St. Moritz 4’500 Arbeitsplätze, die vorwiegend touristisch basiert sind.

In einem guten Jahr weist St. Moritz bis 1,1 Millionen Logiernächte auf, die von ca. 250’000 Gästen erbracht werden – etwa 140’000 im Sommer und 110’000 im Winter. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer eines Hotelgastes beträgt im Sommer knapp drei Tage, im Winter gut fünf Tage.

Im Winter wie im Sommer ist das Hochtal ein beliebter Ferienort. Dazu tragen seine idyllischen Seen bei. Allen voran die grossen vier: Silsersee, Silvaplanersee, Champfèrersee und St. Moritzersee.

Interessant ist das Engadin auch wegen der vielen illustren Gäste in den letzten zwei Jahrhunderten.

In diesem Haus in Sils verbrachte beispielsweise Friedrich Nietzsche sieben Sommer. Thomas Mann und Hermann Hesse, Alberto Moravia und Carl Gustav Jung, Erich Kästner und Friedrich Dürrenmatt zählten zu den vielen illustren Waldhaus-Gästen. Anne Frank verbrachte 1935 und 1936 ihre Ferien im Oberengadin.

Dirigenten wie Bruno Walter, Otto Klemperer und Georg Solti erholten sich hier von Konzerten und Tourneen. Claudio Abbado machte immer wieder im Fextal Ferien und pflegte auf demFlügel im Waldhaus zu üben. Er fand auch seine letzte Ruhe im Engadin. Interpreten wie Wilhelm Backhaus, Clara Haskil, Wilhelm Kempf und Dinu Lipatti gaben hier Konzerte und Komponisten wie Richard Strauss und Arthur Honegger verbrachten hier hier die Sommerfrische. Rod Stewart und David Bowie suchten hier Erholung, auch Charlie Chaplin, Albert Einstein, Reiseführer-Verleger Baedeker, Philosoph Karl Jaspers, Rainer Maria Rilke, Arthur Schnitzler, Max Frisch, Carl Zuckmayer und Annemarie Schwarzenbach, deren bewegtes Leben mich bereits in jungen Jahren fasziniert hatte. Sie ist auf dem empfehlenswerten literarischen Wanderführer abgebildet.


Die Engadiner Bergwelt mit ihrem besonderen Licht hat Künstler Giovanni Segantini und Giovanni Giacometti, die ihre Ateliers im Engadin hatten, Ferdinand Hodler kam zum Malen. Weitere Gäste waren Max Liebermann, Oskar Kokoschka, Emil Nolde, Max Ernst, Joseph Beuys und Marc Chagall.

Nun aber zur Kulinarik. Ich habe mich von “Zu Gast im Engadin” aus dem Callwey Verlag inspirieren lassen. Das Buch ist wunderschön, ein Buch, das träumen lässt von idyllischen Landschaften und lukullischen Genüssen. Es ist aufgeteilt in fünf Regionen und stellt Gastronomen vor. Die Rezepte sind hauptsächlich Haute Cuisine – ich kochte und buk eigene Varianten von eher traditionellen Gerichten.

Bevor die Touristen kamen, war das Engadin arm, es wurde körperlich hart gearbeitet und entsprechend nahrhaft ist die traditionelle Küche. Heute verfeinern die Köchinnen und Köche die deftigen Gerichte. Engadiner wanderten auch als Zuckerbäcker nach Italien aus und brachten Rezeptideen nach Hause.

Früchtebrot

Teig gemäss Rezept zubereiten. Nüsse und Trockenfrüchte müssen eine Nacht lang im Alkohol vor sich hindämmern. Ich brauche jeweils geschenkte Alkoholika, die im Schrank lagern und die ich nicht trinke.

Passend ist “Röteli”, der traditionelle Bündner Likör einer in Ethanol eingelegte Gewürzmischung, Zuckersirup und Kirschensaft.
So habe ich für das Einweichen der Früchte einen Weihnachtslikör gebraucht. Für die Nüsse Nocino aus dem Tessin.

Obwohl süss, nennt man das gehaltvolle Gebäck Brot und nicht Kuchen oder Cake.

Ich bereitete die dreifache Menge zu, denn ich verschenkte Früchtebrot meinen Kindern. Es war im Nu weg!

Es kann sowohl zu Käse und Wein als auch zu Kaffee oder Tee genossen werden.

Dazu passen Traubensaft oder Rotwein.

Bündnerfleisch-Carpaccio

Im Buch gibt es gleich zwei Varianten.

Hier meine eigene Kreation. Bündner-Carpaccio eignet sich in unterschiedlichsten Varianten als Vorspeise oder als Zwischenmahlzeit.

Für die Präsentation liess ich mich von der Form eines Holzbrettchens inspirieren.

Pizokel, Luganighe und Kopfsalatgemüse

Dies ist ein Wintermenü aus den Bergregionen der Südlichen Schweiz.

Pizokel kocht man im Bündnerland, die Luganighe kommen aus dem Tessin und der Kopfsalat von überallher.

Die Würste enthalten Schweinefleisch und Gewürze wie Knoblauch, Muskat, Zimt, Salz, Pfeffer und Rotwein. Das leicht bittere Gemüse und der Kümmel unterstützt die Verdauung des gehaltvollen Menüs.

Das Rezept aus dem Buch musste ich anpassen. Die Hälfte der angegebenen Menge reicht für vier Personen. Dem Teig fehlte Flüssigkeit, ich habe Milch beigegeben, bis der Teig wirklich geschmeidig wurde.

Auf meinem Herd war einiges los, wenn Pizokel, Luganighe und Gemüse gleichzeitig angerichtet werden sollen.

Auf die Pizokel gab ich Zweibelringe, Eierschwämme (Pfifferlinge) und Schnittlauch.

Ich liebe es, zu kochen und zu backen und mich dabei an die Region, woher die Gerichte stammen, und an die Menschen, die für mich mit dieser Region verbunden sind, zu erinnern.

Kochen ist keine Kunst,
Genuss bereiten ist das Geheimnis.

Ruth W. Lingenfelser

Dank
Ich danke Paul und Theres für ihre Gastfreundschaft im Engadin.
Dem Callwey Verlag danke ich für das Rezensionsexemplar von “Zu Gast im Engadin” und dem Limmat Verlag für das neu erschienene Buch “Engadinerinnen”.
Maja danke ich für den Buchtipp “Zwischen Stall und Hotel”.

Informationen
Engadin Tourismus

Rezepte
Früchtebrot
Bündnerfleisch Carpaccio
Pizokel

Bündner Nusstorte
Rezeptsammlung_Nesa_Valentin

Musik
Vor Jahren hörte ich ein Konzert des Bündner Chors “La Compagnia Rossini”.
Libiamo (Verdi, Traviata)
Konzert
Claudio Abbado – Rossini- Ouverturen

Linard Bardill, Bündner Liedermacher, Autor und Geschichtenerzähler, Porträt
1987
Schellenursli Lied
Caffè Caflisch
Der Esel vom Martin

Bündner Volksmusik

Buchtipps

Zu Gast im Engadin
Sehnsuchtsort Engadin: das beliebte Hochtal im schweizerischen Kanton Graubünden ist für seine vielfältige, atemberaubende Natur und seine spannenden Unternehmensmöglichkeiten bekannt. Die Region ist sowohl Anlaufstelle für alle, die Ruhe und Erholung suchen als auch für jene, die eine sportliche Herausforderung lieben. Genauso abwechslungsreich ist auch ihre kulinarische Seite. Das Buch gibt Einblicke in die lokale Küche und stellt die köstlichsten Rezepte einheimischer Köch:innen vor. Exklusive Geheimtipps – von Bergtouren, über versteckte Seen, bis hin zu lokalen Manufakturen – machen das Buch zum Must-have für alle reisefreudigen Entdecker:innen.

Engadinerinnen
Ein Panorama weiblicher Lebensentwürfe
Die Geschichten der 18 Frauen, die Angelika Overath porträtiert, sind ganz unterschiedlich, aber eines verbindet sie: die Liebe zum Engadin, wo sie alle leben, wobei manche zugezogen sind, andere ihr Heimatdorf nie verlassen haben.
Von der 25-jährigen Studentin bis zur 83-jährigen Journalistin wird ein breites Spektrum an Lebensentwürfen aufgezeigt, die alle einzigartig sind. Sie bilden ein Panorama des weiblichen Teils der Engadiner Bevölkerung und zeigen für einmal nicht berühmte Personen, die Aussergewöhnliches geleistet haben, sondern diejenigen, deren Wirken zum Engadiner Alltag beiträgt: eine Kindergärtnerin, eine Hüttenwartin, eine Bäuerin oder eine Reinigungskraft beispielsweise. Inspirierend, berührend und zugänglich sind diese Porträts von Engadiner Alltagsheldinnen.

Zwischen Stall und Hotel (Buchtipp Maja)

Nietzsche, Rilke, Thomas Mann und zahlreiche weitere grosse Namen haben dem zwischen St.Moritz und dem Bergell gelegenen Dorf Sils i. E. / Segl und seiner Landschaft eine beinahe magische Ausstrahlung verliehen. Und noch heute begegnet sich während der Saison Prominenz aus aller Welt auf der Dorfstrasse. Doch wer sind die Silser? Der gelernte Hochbauzeichner bewirtschaftet den letzten Kuhstall im Dorf, die einstige Hotelbesitzerin hat als Kind mit Anne Frank gespielt, der ehemalige Pistenchef ist 840-mal mit dem Kanadierschlitten ausgerückt: Fünfzehn Personen, die in Sils i.E. /Segl aufgewachsen sind und dort ihr Leben verbracht haben, erzählen Geschichten aus einem vergangenen Sils, erlauben einen untouristischen Blick hinter die Kulissen des Dorfes.

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Die Stare sind da

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Florenz

  1. Lisbeth

    sehr liebevoll beschrieben, unser Hochtal. Es ist wirklich einzigartig schön – aber auch sehr teuer. Leider!
    …..und Pizokel Rezepte gibt es soviele wie es Täler gibt und jede Bündnerin sagt, dass ihr Rezept das Richtige ist 😉 .
    ……und Röteli wurde nur richtig gut, wenn die Kirschen von diesem bestimmten Wildkirschenbaum kamen – aber die hiengen doch sooo hoch. Wir brauchten den Röteli, wenn die Leute vom Dorf am 1. Januar kamen, um ein gutes neues Jahr zu wünschen – und bis am Abend war man überzeugt, dass es sicher ein ganz tolles Jahr wird 😵‍💫

    • Regula Zellweger

      Liebe Popa, liebe Cousine
      “Popa” nennt man Lisbeth in der Familie, es ist der Bündner Begriff für “Mädchen”. Ich dachte als Kind immer, das sei Dein Taufname. 🙂 Obwohl Du die Kindheit in Zürich (Mutterstadt) verbracht hattest, pflegt Ihr drei Geschwister Eure Wurzeln in Graubünden (Vaterland). Ich möchte gern noch ganz viel davon erfahren. Wir Zürcher mögen die Bündner generell. Ich liebe die unterschiedlichen Dialekte. Gern möchte ich der Bündner Geschichte nachgehen – ein freiheitsliebendes, eigenwilliges, starkes Bergvolk. So wie Du auch eine starke, liebenswerte Frau bist.
      Bis bald
      Regula

  2. Dori

    Sehr schöner Bericht!

  3. Hildegard

    Mmmmmmmh, das Früchtebrot kommt für nächste Weihnachten auf die Backliste. Freue mich jetzt schon auf den köstlichen Genuss und aufs Verschenken. Wie immer tolle Berichte, Fotos und Ideen. Herzlichen Dank.

    Vorfrühlingsgrüsse
    Hildegard

    • Regula Zellweger

      Liebe Hildegard
      Deine Kommentare bewirken immer wieder, dass ich am Bloggen dranbleibe. Danke!
      Nun sollten wir Nägel mit Köpfen machen. Gern besuche ich Dich in der Nordschweiz. Lass uns Nägel mit Köpfen machen. Wann, wo?
      Liebe Grüsse
      Regula

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