Der Morgenspaziergang war nicht ganz freiwillig. Ich musste für einen Artikel im Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern für meine Serie “Orts- und Flurnamen im Knonauer Amt” Fotos vom Totenmösli machen.
Drei Stunden war ich mit einer Kollegin unterwegs, habe ein paar von Menschenhand gesetzte Steine gefunden und hätte – mit etwas Geduld durch Brombeerranken stapfend – noch mehr finden können.
Auf dem bewaldeten Hochplateau zwischen Mettmenstetten und Herferswil, westlich des Hombergs, findet man den Flurnamen Totenmösli. Darüber wollte ich mehr wissen.
Ich startete im Zentrum von Mettmenstetten und stieg den Berg hinauf zum Freudenberg und weiter zum Wohnheim Paradies, wo einst Albert Einstein gekurt hatte.
Nebel liegt über der Reuss, es herrscht, passend zum Thema, eine mystische Stimmung.
Ziel sind die Megalithen im Totenmösli. Oups, da gibt es den Flurnamen zwei Mal? Mit einem und mit zwei Ö. Es handelt sich um einen grenzüberschreitenden Flurnamen. Die Nomenklatur ist allerdings uneinheitlich. Jede Gemeinde hat eine andere Schreibweise: -mösli in Mettmenstetten und -möösli in Rifferswil.
Auf der Wildkarte von 1843-1851 ist nördlich des Hombergs noch ein Haus namens Todtenmösli verzeichnet; auf der aktuellen Landeskarte bezieht sich der Name nur noch auf ein Waldgebiet.
Von da an orientierte ich mich nach dem Plan aus dem Buch “Megalithe im Knonauer Amt” von Richard Walker.
Beim Waldrand auf der Buchstockstrasse blickte ich über Mettmenstetten Richtung Zugersee, Rigi und Pilatus.
Auf dem Pilatus hat es wenig Schnee – es ist Januar!
Doch zuerst einmal eine Klärung zum Begriff Megalith:
Der Begriff Megalith ist aus dem Griechischen abgeleitet und setzt sich aus «mega» für gross und «Lithos» für Stein zusammen.
Zeitlich dauerte die Megalith-Epoche von 4000 bis 1000 Jahre vor Christus. Aus dieser Zeit stammen die bekannten Steinkreise von Carnac und Stonehenge und beispielsweise auch Ötzi lebte in dieser Zeit.
Unterschiedlichste Völker haben weltweit Steine gesetzt, als Gräber, Grenzsteine, als Kultanlagen oder als astronomisch orientierte Anlagen. Schriftlich wurde wenig darüber überliefert, es gibt im Knonauer Amt keinen Megalith mit Zeichen. Deshalb basiert das Wissen über ihre Entstehung und ihre Funktionen noch immer weitgehend auf Vermutungen. Von der etwa gleichzeitigen ägyptischen Hochkultur ist beispielsweise viel mehr Wissen bekannt, da Fundstücke mit Hieroglyphen und bildnerisch gestaltete Zeitzeugen vorliegen.
Megalithe ist der Oberbegriff für von Menschenhand gesetzte Steine. Menhire sind lange Steine, die stehend – oft auch umgefallen – zu finden sind. Stelen sind eine Spezialform der Menhire. Ignoranten benutzen sie zum Befestigen von Wanderwegweisern, beispielsweise bei Menzingen.
Alignements nennt man Steinreihen, Steinkreise heissen auch Cromlech, was im Bretonischen «Bogenplatz» bedeutet. Dolmen sind meist überdeckte Gräber mit tischförmig gestapelten Menhiren.
Cairns oder Tumuli sind künstliche Hügel aus Steinen. In unserer Region findet man solche auf dem Müliberg, in Aeugst und Kappel. Schalensteine sind bearbeitet und weisen Vertiefungen auf. Zeichensteine oder Lachkreuze haben Symbole, Schriftzeichen oder Zeichnungen, die aber oft aus dem Mittelalter bis zur Neuzeit stammen.
Lochsteine sind Menhire mit künstlich geschaffenen Löchern, von denen es im Säuliamt mehrere gibt. Interessant sind so genannte Wackelsteine, Steine, die so aufgeschichtet sind, dass sie mit wenig Kraftaufwand zum Wackeln gebracht werden können.
Aber ehrlich, ich hatte mir nie viel dabei gedacht, wenn ich Steine im Wald herumliegen sah!
Und nun zum Flurnamen “Totenmösli”. Hier sind wir mitten im Totenmösli, rechts und links des Weges gibt es Megalithe zu entdecken.
Der erste Teil des Namens könnte auf einen Friedhof hinweisen. Friedhöfe sind organisierte, gestaltete Grabstätten verstorbener Menschen. Auch heute noch stehen geordnete Steine auf Friedhöfen. Und oftmals waren und sind Friedhöfe an Orten angelegt, von denen man einen schönen Ausblick hat.
Der zweite Teil des Wortes, -mösli, ist das Diminutiv von Moos: Möösli bezeichnet ein kleines Feuchtgebiet. Wir befinden uns aber eher auf einer Kuppe als in einer Senke – da hat es selten Moore.
Die Vermutung, dass es sich um Grabstätten handelt, scheint wahrscheinlich zu sein. Welche Wortwindung! Beim Schreiben von Dingen, die in der prähistorischen Zeit liegen, muss man sich des Konjunktivs, der Möglichkeitsform, bedienen.
Richard Walker schreibt: „Acht grosse Blöcke bilden hier einen klar erkennbaren Kreis mit rund acht Metern Durchmesser. Er ist der Ursprung von zahlreichen Alignements, Steine in Linienform gesetzt, die aber nicht alle auf das Zentrum, sondern auch auf die Innenkreisblöcke oder tangential zum Kreis ausgerichtet sind.“
Zudem beschreibt Walker im Totenmösli eine Blockformation, bei der er eine „mögliche Grabstelle“ vermutet. Von weiteren Megalithe-Anlagen weiss man, dass solche gesetzten Steine archäoastronomische Bedeutung haben können, dass sie quasi Sternwarten der Vergangenheit sein könnten. Die Archäoastronomie beschäftigt sich auf wissenschaftlicher Basis mit archäologischen Ausgrabungen, Baudenkmalen und Artefakten sowie deren astronomischer Deutung und Interpretation.
Richard Walker erwähnt zwei Menhire ohne archäoastronomische Relevanz. „Neben dem westlichen Menhir steht ein Kleinblock mit abgebrochenem Lachkreuz. Dies könnte auf eine mindestens temporäre Verwendung als Grenzstein deuten.“ Ein Lachkreuz ist eine Grenzmarke aus der alemannischen Zeit.
Damit stehen Interpretationen von Archäoastronomie, Friedhof oder Grenzbezeichnung im Raum.
Könnte man doch mit Grabungen bei den Ämtler Megalithen wissenschaftlich fundiert erforschen, ob sich unter den Steinen Gebeine oder Grabbeigaben finden lassen?
Eine andere Geschichte zum Flurnamen „Totenmösli“ findet man in der Broschüre „Mättmi*Wäg Route Herferswil“: „In Mettmenstetten fiel der Pest in den Jahren 1611 bis 1634 die Hälfte der Einwohner zum Opfer. Aus einem früheren Pestzug, von 1493 oder 1503, stammt vermutlich die mündlich überlieferte Geschichte, die diesem Ort den schaurigen Namen Totenmösli gab. Da Aeugst damals noch zur Kirchgemeinde Mettmenstetten gehörte, mussten die Pesttoten hierhin zum Friedhof gebracht werden. Ein mit Leichnamen beladener Wagen soll auf der Fahrt von Aeugst her an dieser Stelle ein Rad verloren haben. Dadurch kippte die traurige Ladung ins dortige Bachtobel.
Die Fuhrleute, entnervt durch die täglichen Leichentransporte, verzichteten auf die Bergung der Toten. Sie liessen sie liegen, wo sie waren, deckten sie notdürftig mit Reisig zu und kehrten darauf eiligst in ihr Dorf zurück, wo sie den Vorfall verschwiegen. Nachdem die stinkende «Deponie» einige Zeit später entdeckt worden war, getraute sich jahrelang niemand mehr in die Nähe des verruchten Ortes, der bis heute «Totenmösli» genannt wird, wie es schon im Jahr 1504 urkundlich als Todten Mössli erwähnt wurde.“ Diese Geschichte geht auf Hans Huber-Hegglin zurück.
Nicht ohne Grund ist der Flurnamen Totenmösli gruselig – und dass der nahegelegene Bauernhof „Flädermus“ heisst, macht die Sache nicht besser. Die Seelen verstorbener alter Frauen und alter Junggesellen werden als Fledermäuse bezeichnet, schreibt das Schweizerdeutsche Wörterbuch. Schon früh wurden Teufel und andere Dämonen mit Fledermausflügeln dargestellt. Und auch Vampire verwandeln sich in Fledermäuse, um sich nachts unauffällig fortzubewegen.
Wer sich also im schaurigen Totenmösli auf Megalithensuche begibt, darf nicht abergläubisch sein.
Wir wanderten weiter und entdeckten per Zufall den Megalithen beim Homberg, direkt an einer Wegkreuzung.
Beim Wandern mit Hinkelsteinen denkt man vielleicht an Obelix, den starken Freund von Asterix, der immer einen Hinkelstein mitschleppte. Vorgeschichtliche, hochragende Steinblöcke, Menhire, werden auch Hinkelsteine genannt. Wandern von Menhiren zu Menhiren kann man im Säuliamt besonders gut, weil hier besonders viele dicht beieinander zu finden sind.
Eigentlich wollten wir zurück nach Mettmenstetten, verirrten uns aber immer weiter Richtung Rifferswil.
Mit den Megalithen im Hinterkopf sieht man plötzlich seltsame Dinge. Was bedeutet dieser Baumkreis?
Die Natur hat ein Efeu-Tor geschaffen.
Und was ist denn das? Ein prähistorisches Krematorium mit Kamin?
Und warum ist diese Hütte im Boden versunken?
Am Horizont entdecke ich den Bauernhof der Familie meiner Cousine – und komme in die Gegenwart zurück.
Schon blühen die Weiden.
Und bereits am 4. Januar trotzen Blümchen dem Winter.
In diesem Garten wächst Wintergemüse und die Bienen schlafen hoffentlich noch.
Die Holzvorräte wurden wegen der Angst vor Energiemangel reduziert.
Mettmenstetten ist ein schönes Ämtler Dorf. Hier tragen sogar Vogelhäuschen Strassennummern.
Engel sitzen auf Simsen und Enten bevölkern ein Fenster – es gibt viel zu sehen – wenn man sehen will.
Es bleiben schöne Erinnerungen an diese drei Stunden wandern im Knonauer Amt. Ich nehme mir vor, öfters in meine Umgebung loszuziehen.
Wandern gibt mehr Verstand als hinterm Ofen sitzen.
Paracelsus, 1493 – 1541
Information
Das Buch „Megalithe im Knonauer Amt“ von Richard Walker ist bei der Buchhandlung Scheidegger in Affoltern erhältlich.
Mättmi*Wäg
1. Dorf
2. Rossau Auch hier findet man Megalithe
3. Dachlissen Auch hier findet man Megalithe
4. Grossholz Lochstein
5. Herferswil Totenmösli
Musik
Keltische Harfenmusik
Keltische Harfenmusik Adrian von Ziegler
Ritanna
Wow. so gut und schön Aufschlussreich in die prähistorische Zeit in unsere Umgebung und die Megalithen als Führung.
Zugleich mit der Erkundung unserer Brunnen und Feuerwehr Weiher, werde ich unsere Megalithen wieder aufsuchen im Kelleramt.
Vielen Dank für den Anreiz.
anna frick
einfach supper was du gschribe hasch mit dazu sehr schöni bilder 👍soooo spannend das ich das buech sicher bsorge schön so gschichte vo dem ort womer dahai isch list danke regula ❤️isch immer alles so interessant was du im blog schribsch👍
Richard Walker
Exzellenter Text und Fotografien mit viel Feingefühl und Poesie – eine willkommene Ergänzung zu meiner wissenschaftlich- technisch geprägten Sichtweise auf diese Steinsetzungen! Habe auch einiges gelernt – so neue Aspekte zum Flurnamen Totenmöösli… Werde mir sehr gerne auch die bemerkenswerten, nicht megalithischen Objekte mal ansehen.
Herzlichen Dank, Richard Walker
Samuel Rom
Diese alten Zeugen haben mich auch beeindruckt – und überrascht: ich wusste nicht, dass so nah von Zürich solche zu finden sind. Danke für die schöne Beschreibung und die ganz tollen Bilder!