Reisanbau im Reusstal

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Es regnet und regnet… Die Reuss, in deren Nähe ich wohne, führt viel Wasser. Ich erinnere mich, dass sie immer mal wieder über die Ufer getreten ist und Felder und Äcker überschwemmt hat. Dann witzelte man: “Reisfelder!”

Ernst nahm man dies in der Schweiz bis vor wenigen Jahren nicht.

Man weiss, dass in der Südschweiz Reis angebaut wird und geniesst gern in einem Tessiner Grotto Risotto. Tessiner Reis wird trocken angebaut. Das heisst: Dieser Reis wird – im Gegensatz zum üblichen Bild von Reisanbau mit im Wasser stehenden Pflanzen – nicht dauerhaft geflutet, sondern steht im „Trockenen“ und wird nur bei Bedarf bewässert. Trockenreis kann in einer Höhe bis zu 2000 Meter angebaut werden.

Weltweit werden etwa 80 Prozent des Reises «nass» angebaut, und nur etwa 20 Prozent «trocken». Trockenreis wird in Regionen mit wenig Niederschlag oder im Gebirge angebaut. Diese Art, Reis anzubauen, ist sehr aufwendig, denn Schädlinge und Unkraut werden nicht durch das Wasser ferngehalten.

Für die Welternährung hat Reis eine grosse Bedeutung. Er dient für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung als Hauptnahrungsmittel. In den vergangenen Jahren ist die Menge der globalen Reisernte kontinuierlich angestiegen. Für das Erntejahr 2022/2023 prognostiziert die USDA, das Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten, eine Erntemenge von rund 514,8 Millionen Tonnen Reis. Die führenden Anbauländer sind China und Indien. Der Reisanbau prägt mit der Terrassierung der Felder weite Landstriche Asiens.

Foto: Eugen Staab, Quelle Wikipedia

Auch Weizen zählt zu den wichtigsten Grundpfeilern der Welternährung. Als Vergleich: Nach einer Prognose der USDA wird für das Erntejahr 2022/2023 mit einer globalen Weizenernte von rund 783,92 Millionen Tonnen gerechnet – in Zukunft steigend.

Foto Quelle: Wikipedia

Und in der Schweiz? Wie steht es da mit dem Nassreisanbau? Der Anbau von Nassreis ist eigentlich nur für Regionen mit Grund-, Hang- oder Staunässe und der Nähe zu Seen oder Flüssen geeignet, deren Wasser zum Fluten der Felder genutzt werden kann.
Viele zeitweise überflutete Flächen wurden mittels Bodenaufschüttungen sowie Entwässerungs-Anlagen melioriert, «aufgewertet». Dies galt für die Zeit, als Hans Conrad Escher von der Linth im 19. Jahrhundert die Linthebene meliorierte, gesundheitsschädigendes Sumpfland in Acker- und Weideland verwandelte. Die erfolgreiche Verbesserung der Lebensbedingungen in der Linthregion machten Escher zu einer wichtigen Schweizer Symbolfigur.

Die “Verbesserungen” galten damals dem Menschen und der Landwirtschaft – aus heutiger Sicht wird mit der Trockenlegung von Sumpf- und Moorlandschaften vielen Pflanzen und Tieren der Lebensraum genommen.

Viele Anlagen zur Trockenhaltung sind heute sanierungsbedürftig. Neue Lösungen sind gesucht. Eine umweltfreundliche Möglichkeit, das Wasser in den nicht oder nicht mehr drainierten Feuchtäckern zu nutzen, kann Reisanbau sein.

Im Reusstal gibt es bereits zwei Bauernbetriebe, die erfolgreich Reis anbauen, in der ganzen Schweiz 14.

Ich habe den Mattenhof der Familie Rüttimann in Jonen im Kelleramt besucht. Familie Rüttimann-Stohler betreibt auf ihrem Hof in der dritten Generation Milchwirtschaft, seit zwei Jahren baut sie zudem Reis an. Der Reis aus dem Kelleramt wird als Premium-Produkt erfolgreich vermarktet.

Familie Rüttimann siedelte 1969 in der Reussebene in Jonen, unterhalb von Oberlunkhofen.

Seither erlebte die Bauernfamilie alle fünf bis sieben Jahre Staunässe auf ihren Feldern. Kartoffeln und Rüben lieben dies nicht. Also wurde Viehwirtschaft – und wenig Getreidebau – betrieben.

Jungbauer Michael Rüttimann geht nun neue Wege: Er nutzt den vermeintlichen Nachteil und baut auf einem 75 Aren grossen Feld Reis an. Dank der Nähe zur Reuss und den dichten Böden ist die Grundlage im Reusstal bestens für den Nassreisanbau geeignet.

Der Reispionier erwartet diesen Herbst, im zweiten Jahr des Reisanbaus, drei Tonnen Reis ernten zu können. Noch immer aber bleibt die Viehwirtschaft mit 95 Prozent die Haupteinnahmequelle der Familie, «Und so wird es auch bleiben», meint Michael Rüttimann.

Bisher bauen 13 Schweizer Landwirtschaftsbetriebe Nassreis an.
Innert kürzester Zeit entschieden Michael und Claudia Rüttimann im Frühling 2021, das Risiko auf sich zu nehmen und es mit dem Reisanbau zu versuchen. Die Reisbauern sind miteinander vernetzt und man hilft sich gegenseitig mit Maschinen und Wissensaustausch.

Zuerst musste das Feld in Jonen von einer Spezialmaschine zentimetergenau planiert werden. Für das Fluten wurde Drainagewasser, das sonst zurück in die Reuss gepumpt wurde, in das Reisfeld geleitet. Reissetzlinge der Sorte Lotto wurden angezogen und – ebenfalls mit einer Spezialmaschine – ins Wasser gesetzt.

Die kleinen Pflanzen gediehen im raunassen 2021 mässig – 2022 ist ein deutlich besseres Jahr wegen der hohen Temperaturen. Die Klimaerwärmung unterstützt den Reisanbau. Jonen ist aber dennoch «der Nordpol des Reisanbaus». Fachleute meinen, dass bis zum 47. Breitengrad Reis angepflanzt werden kann.

Michael Rüttimann ist die Umwelt wichtig. Nassreis hat wasserdichte Stängel und wird deshalb nicht von Pilz befallen – also keine Fungizide.

Als Unkraut überlebt nur die Hirse im Wasser – deshalb kein chemischer Unkrautvertilger. Auch Schädlinge finden sich kaum im gefluteten Feld – somit auch keine Pestizide.

Bewusst wurde das Reisfeld zwischen zwei bestehenden Naturschutzflächen angelegt, um optimal vom ökologischen Wert der Reisfläche zu profitieren.

Die zahlreichen Störche im Reusstal freuen sich über die Frösche und besonders viele Libellenarten entdeckt man über dem Reisfeld.

Auf dem Mattenhof wächst eine Generation heran, die bereits von Kindsbeinen an mit dem Reisanbau vertraut ist. Sohn Marc ist im Stall und auf dem Feld gern mit seinem Vater Michael unterwegs.

Für die Qualität des Reises spielt die Mühle eine grosse Rolle. Reis wird abgeschliffen, poliert. Je mehr von der Oberfläche der Reiskörner entfernt wird, desto feiner schmeckt der Risotto. Der Reis vom Mattenhof zeichnet sich genau durch diese Feinheit aus.

Dass dieser Reis auch als Bruchreis – es gibt nicht nur runde, perfekte Reiskörner – hervorragend schmeckt, bewiesen Rosmarie und Richard Denier auf dem Mattenhof.

Sie bereiteten über dem offenen Feuer für die Gäste ein herrliches Risotto zu.

Der Reisbauer aus Jonen ist gut vernetzt mit Abnehmern des hochwertigen Produktes. Und er will das Reisfeld der Öffentlichkeit bekannt machen. Dazu hat er viele Ideen, über die man aktuell auf seiner Webseite erfahren kann.

Beispielsweise empfangen Claudia und Michael grössere reis-interessierte Gruppen, die mit einem Menü mit hofeigenen Produkten bewirtet werden.

Es bereitet auch Freude, in die Ställe zu schauen.

Ich durfte den Mattenhof mit dem Convivium Albis der Schweizer Slow Food Bewegung besuchen.

Slow Food ist eine global aktive Bewegung mit Mitgliedern in 160 Ländern. Sie verbinden die Freude an guten Lebensmitteln mit Engagement für ihre Gemeinschaft und die Umwelt. Slow Food fordert dazu auf, Verantwortung für das Erbgut der Biodiversität, der Kultur und des Wissens wahrzunehmen.

In der Schweiz engagieren sich 20 lokale Convivien um biologische Vielfalt, fördern eine nachhaltige, umweltfreundliche Lebensmittelproduktion, betreiben Geschmacksbildung und bringen Erzeuger und Konsumenten von Qualitätslebensmitteln zusammen. Vive l’escargot!

Genuss ist das Vergnügen an der Langsamkeit.

Matthias Scharlach

Informationen
Slow Food Convivium Albis
Mattenhof Jonen
Rita war schon vor einem Jahr beim Risotto-Essen auf dem Mattenhof und hat Fotos geschickt. 2021.12.05. Risotto Essen in Jonen

Dank
Ich danke Michael und Claudia Rüttimann für ihre Gastfreundschaft und Rania und Richard Steiner vom Convivium Albis der Schweizer Slow Food Bewegung für die Organisation des Besuches auf dem Mattenhof. Hier mein Artikel zu ihrem Rebberg in Maschwanden.

Musik
Slow, langsam, sind Adagios. Hier eine Auswahl:
Adagios from Romantic Piano Concertos Passen zum aktuellen Herbst-Regenwetter!
Romantische Adagios Mix

Buchtipps
Reis ist das Grundnahrungsmittel für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Auf ausgedehnten Reisen und nach jahrelangen Recherchen hat Sri Owen mehr als 140 Rezepte zusammengetragen für Biryanis, Risottos, Pilaws und Paellas aus Indonesien, Thailand, Japan, Korea, Russland, Afghanistan, Spanien, Italien, Brasilien und darüber hinaus.
»Das Reis-Buch« erschien 1993 zum ersten Mal und wurde schnell zu einem Klassiker. Die überarbeitete Ausgabe präsentiert sich nun mit einer umfassend aktualisierten kulturgeschichtlichen Einführung zum Thema Reis. Die leckeren und einfach zuzubereitenden Rezepte werden von prächtigen Fotos begleitet.
»Das Reis-Buch« ist ein Standardwerk von fast 400 Seiten, ein Muss für jede Küche, jede Köchin, jeden Koch. (Buch lieferbar ab Spätsommer 2023)


Das Geräusch einer Schnecke beim Essen
Dieses Buch ist eines meiner Lieblingsbücher und ich habe es bereits früher einmal im Blog empfohlen: Ein leises, achtsames Buch übers Innehalten, Wahrnehmen und die heilende Kraft der Langsamkeit.

Reis ist eine Pflanze – und für über mehr als die Hälfte der Menschen das Hauptnahrungsmittel. Noch sind die Pflanzen viel zu wenig erforscht.

Die Kommunikation der Pflanzen beispielsweise ist faszinierend. Darüber berichten Bücher von Florianne Koechlin.

PflanzenPalaver
Lange galten Pflanzen als eine Art natürliche Automaten mit eingebauten Programmen, die ihr Dasein bestimmen. Aber das ändert sich. Die Biologin Florianne Koechlin hat sich auf die Reise gemacht zu denen, die sich in die Geheimnisse von Pflanzen vertiefen: Bauern in Österreich und Indien, die dank einzigartiger Vielfalt üppige Erträge erwirtschaften; Forschende in Universitätslabors, die mit modernsten Methoden die Sprache der Pflanzen untersuchen und bei den Gewächsen sogar nervenähnliche Strukturen orten; intuitiv Wissende und Künstlerinnen, die sich Pflanzen auf ganz unterschiedliche Weise annähern und neue Zugänge finden.

Pflanzen endlich verstehen
Dieses Buch fand ich heute in meinem Briefkasten. Es will dazu motivieren, die Pflanzen im Garten besser zu verstehen und ihre Bedürfnisse mehr zu berücksichtigen.
Pflanzen zeigen beispielsweise an, wie ihr Wasserbedarf ist – und ob sie Wasser speichern können. Auch ihre Namen verraten viel. Die Sumpfschwertlilie braucht mehr Wasser als ihre Schwester, die Steppeniris.

Wasser fliesst immer nach unten. Wie pumpen die Pflanzen das Wasser hoch in die Blätter? Pflanzen nutzen Wasser für ihre Stabilität. Ja, und wie “essen” Pflanzen eigentlich? Auch Pflanzen brauchen beispielsweise bestimmte Mineralien. Fehlt eines davon, werden die Pflanzen krank. Brennnesseln bieten übrigens oft erste Hilfe.

Wie funktionieren die grünen Solarfabriken? Woher wissen Pflanzen, wann sie blühen müssen? Es sind diese “Kinderfragen”, die mich faszinieren.
Die Texte sind kurz, leicht verständlich und anschaulich illustriert. Das Buch macht klar, dass die Frage nicht darin besteht, wie man möglichst viel aus den Pflanzen herausholt. Sie lautet: “Wie erreiche ich, dass sich meinen Pflanzen wohlfühlen?”
Die Pflanzen danken es!

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Kürbis-Herbstdekorationen

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Zell am See

  1. Rolf

    Reis oft täglich in verschiedenen Formen genossen, anschaulich
    näher gebracht. Habe die Bilder meinem Reisverständnis zugeordnet
    und damit erweitert.

  2. Ritanna

    Mich freut dieser Bilderrapport über den Reis auf Oberlunkhofer Boden sehr!
    Ich danke herzlich. Fast täglich begrüsse ich das Reisfeld morgens vom Frühling bis in Herbst. Jetzt im Oktober findet die Reis Ernte statt und später das Risotto Essen auf dem Hof, da alle Reisabnehmer und andere Interessierte eingeladen sind. Ich habe im Frühling 4 Kg bestellt. Dieser Reis gilt auch als Notvorrat.
    Ich freue mich sehr, dass auf unserer “Streumatte” wie sie immer genannt wurde, sowas Köstliches nun wächst.
    In den 1950er Jahren mussten wir Schüler in den Sommer Ferien, etwas weiter der Reuss entgegen, zerbröckelte alte nicht mehr brauchbare Backsteine in den nassen Boden einarbeiten.

  3. Susanne Baer

    Vielen Dank für diesen interessanten Artikel zum Reisanbau ganz in unserer Nähe! Auch die schönen Fotos laden ein, bald einmal persönlich dort vorbei zu schauen (für einen geführten Rundgang ist die Zeit jetzt etwas knapp). Und sonst im nächsten Jahr -.

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