Das Bedauern über Berufswahl und Laufbahnentscheide ist in der Fachwelt noch kaum erforscht. Und doch betrifft es viele Menschen.
Ich nehme das Thema im Blog auf, weil es mir wichtig erscheint.
Eine ernste Sache. Deshalb lockere ich den Text mit Fotos von Reisen auf, die Berufe zeigen.
Lösung des heiteren Beruferatens am Schluss. Wer erkennt alle Berufe?
Viele kennen diffus das Gefühl, sich beruflich in eine falsche Richtung zu entwickeln.
Wenn man das Gefühl hat, beruflich (noch) nicht an seinem richtigen Platz zu sein, noch nicht aus sich herausgeholt zu haben, was in einem steckt, schleicht sich oft eine kleine Unzufriedenheit ein. Sie kommt und geht wieder – und wächst vielleicht.
Eine Neigung für Tätigkeiten, besondere Begabungen und Talente zu haben, ist nach meiner Meinung nicht nur ein wunderbares Geschenk, sondern auch eine Verpflichtung, etwas damit zu tun.
Langdauernde berufliche Unzufriedenheit kann krank machen. Manchmal führt man das Unbehagen auf eine falsche Berufswahl oder einen falschen Laufbahnentscheid zurück. Und nun?
Über Berufsbedauern wurde noch nicht viel geforscht und der Begriff ist auch nicht geläufig.
Unter Berufsbedauern versteht man das Bedauern über eine Berufswahl oder einen beruflichen Laufbahnentscheid.
In der englischen Zeitschrift Elsevier, der Zeitschrift für berufliches Verhalten, veröffentlichten die beiden englischen Wissenschafter Alexandra Budjanovcanin und Chris Woodrow einen Artikel über eine Studie mit dem Titel: «Konstruktives Bedauern über den Beruf: Eine qualitative Studie über Berufswahl und berufliches Bedauern.»
Gestützt auf 51 karrierebasierten Interviews entwickelten sie ein Modell des beruflichen Bedauerns, das zeigt, wie Individuen diese Emotion im Laufe der Zeit erleben und damit umgehen.
«Dieses Modell zeigt, dass die Erfahrung des beruflichen Bedauerns episodischer Natur ist, Zyklen beinhaltet und sich je nach dem Weg durch Episoden unterschiedlich manifestiert», fassen die Forscher zusammen.
Aus ihrer Analyse ergaben sich fünf verschiedene Wege durch Bedauernsepisoden, die jeweils zu einem eindeutigen Bedauernsprofil führten. Diese Profile werden als Early Responder, Explorer, Stagnater, Reconciled Acceptors und Crystallisers bezeichnet. Man könnte etwa so übersetzen: Schnell Reagierer, Erforscher, Stagnierer, versöhnender Akzeptierer, lösungsfindender Auskristallisierer.
Bei Berufsbedauern kann man also – überspitzt formuliert – schnell reagieren, herausfinden weshalb, erstarren, annehmen was ist oder analysieren und eine Lösung herauskristallisieren.
Wer sich beispielsweise bewusst entscheidet, in einer Situation mit Stagnieren zu reagieren, macht nichts falsch, wenn er die Verantwortung für die Folgen seines Entscheides übernimmt und die Konsequenzen ohne Bedauern trägt. Vielleicht verschafft er sich damit mehr Freiraum für seine Hobbys. Dies beinhaltet aber ein gewisses Mass an Vermeidungsstrategien, die darauf abzielen, die Auswirkungen des Bedauerns zu mildern, anstatt sich mit seinen Ursachen zu befassen. Und damit wird das Bedauern immer wieder einmal auftauchen.
Versöhnende Akzeptierer schliessen wirklich Frieden mit ihrer Situation.
Diese fünf Modelle, wie auf Berufsbedauern reagiert werden kann, vermischen sich in der Realität und oft wechselt man auch beispielwese in verschiedenen Phasen vom Stagnierer zum lösungsfindenden Auskristallisierer.
Diese Typologie ist hilfreich für die «Selbstdiagnose» als ersten Schritt aus dem Berufsbedauern heraus.
Bedauern ist ein Gefühl, das oft Enttäuschung beinhaltet.
Beispiel Berufswahl: Im Alter, als man einen Beruf wählen musste, entschied man sich für die aktuell beste Lösung aufgrund des aktuellen Wissensstandes, vielleicht aus mangelnden Informationen oder genereller Unwissenheit über die unzähligen Berufe.
Vielleicht reagierte man auf die beständige Frage «Hast Du eine Lehrstelle» mit Flucht nach vorne: «Dann mache ich eben das KV.»
Entwicklungspsychologisch gesehen erreicht man die Berufswahlreife mit 18 Jahren.
Kein Wunder, dass die erste Berufswahl erst mal in eine Richtung gehen kann, die man ein paar Jahre später und um Erfahrungen in der Berufswelt reicher, nicht mehr anstreben würde. Jetzt zu stagnieren oder gar zu resignieren wäre fatal, denn es stehen noch viele Berufsjahre bevor.
Es gilt, die Energie, die im Bedauern steckt, umzupolen, hin, auf eine neue Lösung, auf ein attraktives Ziel.
Dazu steht zuerst eine Analyse, eine berufliche Standortbestimmung an.
Bedauern ist nicht per se negativ, denn im Moment reagiert man für den aktuellen Moment richtig. Bedauern ist ein hilfreicher Wegweiser in eine zufriedenere Zukunft – wenn man aktiv wird.
Noch nie war das Bildungssystem so durchlässig wie heute. Meistens finden sich Wege, um voller Elan in eine neue Berufswelt aufzubrechen.
Bedauern ist die Emotion, die man empfindet, wenn man erkennt oder sich vorstellt, dass die aktuelle Situation besser gewesen wäre, wenn man sich anders entschieden hätte.
Es ist ein unangenehmes Gefühl, oft gepaart mit Selbstvorwürfen. Hätte, täte, würde! Wenn meine Tante Räder hätte, wäre sie eine Kutsche.
Wenn berufliches Bedauern täglich gelebt wird, wenn Menschen in Berufen arbeiten, von denen sie sich wünschen, dass sie sie nie gewählt hätten, kann sich dies psychisch oder physisch manifestieren.
Deshalb zeugt es von echter Freundschaft oder von professioneller Vorgesetztenkompetenz, wenn man Menschen darauf anspricht.
Manchmal braucht es Ermutigung, um aus dem Berufsbedauern auszubrechen und aktiv zu werden.
Warum nicht einfach fragen: «Würden Sie bei günstigen Voraussetzungen einen Entscheid in Ihrem Berufsleben rückgängig machen?»
Diese Frage kann man sich auch selbst stellen.
Die Verfasser der Forschungsarbeit sind der Meinung, dass viele eine Antwort gäben, die aufzeigt, welche Wünsche und Träume noch nicht gelebt wurden.
Und – wie so oft – lassen sich die Gedanken zum Berufsbedauern auf das Bedauern von Entscheiden auf dem Lebensweg generell übertragen.
Was würde ich heute anders machen?
Womit beginne ich mit der Richtungskorrektur?
Es gilt, dranzubleiben.
Man kann ein Schiff nur steuern,
wenn es fährt.
Beim Suchen von Fotos wurde mir bewusst, wie bereichernd es ist, auf den Reisen Berufsleute kennen zu lernen. Sie sagen viel über ihre Region aus – oft viel mehr als Touristentrampelpfade.
Musik
Klassische Musik zum Arbeiten
Berufe
- Lehrerin
- Glaserin
- Fiakerfahrer
- Krimi-Autorin
- Bäckerin
- Holzschnitzer
- Küfer
- Floristin
- Gärtner, Baumschulist
- Käser
- Metzger
- Koch
- Fischer
- Salzproduzent
- Soldat
- Silberschmied
- Heuriger-Musikant
- Chocolatier
- Heilpraktikerin
- Pflegefachfrau
- Coiffeur, Friseur
- Schmied
- Bibliothekarin
- Perlmutterknopf-Produzent
- Sicherheitsbeamter beim Papst
- Tonnenleger
- Strassenmusiker
- Mechaniker
- Juwelier
- Astronaut
- Boule-Kugel-Produzent
- Pensionär
- Kaminfeger
- Krabbenfischer
- Bus-Chauffeur
- Leuchtturmwärterin
- Reisejournalistin
Rita
Ein Berufsbedauern habe ich nicht gekannt. Weiterentwicklung brachte interessante und wertvolle Bereicherung im Berufsleben Trotzdem geniesse ich jetzt dankbar das Rentnerdasein.
Ritanna
und manchmal löst nicht das Berufsbedauern das Bedauern aus, als vielmehr der “menschliche” “nichtmenschliche ” Umgang miteinander, sei es der der Vor- -gesetzten, sei es der der Mitarbeiter, Mitlernenden, sei es der Berufslehrperson.
Dies löst das tiefste “Berufsbedauern” aus. So erlebe ich es mit, heute mit den Enkeln und deren Kameraden, die jetzt mitten in der Lehre stehen. Und die Lehrmeister, die “Chefs” merken nicht, wie sie mit ihrer ständigen Unzufriedenheit, bei den Lernenden den Verleider herausfordern. Es gibt noch viel zu tun, an Unterstützung der Jugendlichen, damit sie sich im Beruf wohlfühlen.
Renate
Ein sehr interessanter Beitrag – herzlichen Dank. Ich habe mal Berufungsberatungen angeboten und wir konnten jeweils erfolgreich die Berufung herauskristallisieren – doch viele können und konnten sie dennoch nicht leben, da die meisten von uns Menschen voll von emotionalen Blockaden und Glaubessätzen sind! Das ist meine Erfahrung. Ich bin persönlich überzeugt, dass es nicht viel bringt, etwas zu bedauern, denn alles, was wir in unserem Leben erfahren, dient dazu, dass wir uns weiterentwickeln dürfen um DER zu sein, wie wir gedacht waren, nämlich um unsere Talente und Potentiale mit Freude zu leben! So bin ich überzeugt, dass es weniger darum geht, WAS wir tun, sondern, ob wir etwas mit Freude tun! Wenn wir keine Freude empfinden können, dann ist es vermutlich an der Zeit, sich zu fragen, WAS macht mir denn Freude? Wofür lohnt es sich zu leben? Was erfüllt mein Herz?
So wünsche ich auch allen jungen Menschen, dass sie sich nicht in Firmen aufhalten, wo man die Freude nicht spürt, nicht kultiviert und sie nicht motiviert und fördert, sondern dass sie sich schleunigst nach einer anderen Lehrstelle umsehen, wo das Setting stimmt. Die andere Variante ist, dass sie sogar ihre Lehrmeister ansprechen, weshalb sie denn so unzufrieden sind. Ich erlebe viele, bewusste junge Menschen, die das Flair haben, ein Bewusstsein für die Freude in unsere alte Welt zu bringen.
Ritanna
Vielen Dank, Renate für das “Bewusst werden” wo es im Beruf, beruflichem Umfeld Freude macht. Ganz so einfach ist das Wechseln nicht, zu anderem Lehrbetrieb. Die jungen Leute möchten mal von zu Hause unabhängig sein; geht nur mit dem Lehrbrief im Sack, wenn man am Ende der Welt wohnt in der Schweiz. Ich motiviere und unterstütze zu freudigem Ausgleich ausserhalb der Lehre.
Die andere heutige 25jährige hat mit meiner Hilfe, damals gewechselt, da sie von der Chefin drangsaliert wurde, in der Stadt ZH geht das.
Lieben herzlichen Dank Dir, dass Du mir geantwortet hast. Ich werde mich um die Freude für die Jungen kümmern.
Alex
Zu diesem Thema könnte ich aus Eigner Erfahrung ein ganzes Buch schreiben.
Als ehemaliger selbst Betroffener kann ich sagen, dass man darüber viel mehr in der Öffentlichkeit aufklären sollte.
Wer sich über seine Arbeit beschwert, wird schnell als faul hingestellt.
Alleine schon die Weisheiten: “Handwerk hat goldenen Boden” und “Lehrjahre sind keine Herrenjahre”, die einem als jugendlicher immer gepredigt wurden, zeigen, dass eine Unzufriedenheit mit der Arbeit keine Akzeptanz im Umfeld, besonders bei Eltern und älteren Verwandten hatte.
Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich mit der Wahl meiner Lehrstelle einen absoluten Fehlgriff getätigt hatte.
Doch um meinem Umfeld zu gefallen habe ich es, wenn auch absolut lustlos, durchgezogen.
Mit bestandener Prüfung wurde es auch nicht besser.
Ich habe meinen Beruf richtiggehend gehasst.
Mit 28 Jahren habe ich einen radikalen Wechsel in einen Beruf gemacht, der wenig Anerkennung hatte und zudem auch noch nicht ganz ungefährlich war.
Doch ich persönlich war endlich angekommen.
Mit der Zeit wurde dieses Gewerbe leider durch den Wettbewerb immer unattraktiver.
Unternehmen meldeten Insolvenz an und machten mit neuem Namen, aber den gleichen Leuten zu immer schlechteren Bedingungen weiter.
Am Ende war der Markt so “bereinigt”, dass von den ehemaligen Top-Unternehmen kein einziges mehr existiert.
Mit 42 Jahren war ich dann wieder damit konfrontiert, berufliche Entscheidungen zu treffen.
Drei Jahre habe ich mich mit Kompromissen abgefunden, hatte aber ein Ziel vor Augen.
Eigentlich ein absolut unrealistisches Ziel, für das ich hart kämpfen musste.
Am Ende war die Überraschung groß.
Das Ziel habe ich erreicht, es wurde aber noch übertroffen, da sich zeitgleich eine andere Chance aufgetan hat, an die ich selbst im Traum niemals gedacht hätte.
Mit 45 Jahren bin ich noch im öffentlichen Dienst untergekommen und das an einer ganz anderen Stelle, als ich ursprünglich vorhatte.
Das es solche Möglichkeiten überhaupt gibt, wusste ich überhaupt nicht. Ich bin immer davon ausgegangen, dass bei bestimmten Bereichen im öffentlichen Dienst ab 28 – 30 Jahren kein Einstieg mehr möglich ist.
Doch wer suche, der findet, auch wenn es wie bei mir Jahrzehnte gedauert hat.
Ich bin jetzt absolut zufrieden, rückwirkend ist es natürlich schade, dass ich viele Jahre meines Lebens mit der falschen Tätigkeit verschwendet habe.
Doch trotz allen absoluten Tiefpunkten hat es sich gelohnt nicht aufzugeben und nach vorne zu schauen.
Wenn man erkannt hat, was nicht richtig läuft und man sein Ziel kennt, ist das Ankommen dort nur eine Zeitfrage, egal wie alt man ist.