Simmentaler Bauernhäuser

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Die Schweiz mit ihren regional-typischen Bauernhäusern zu erforschen, macht Spass.

Vom Reichtum und dem Alltagsleben der Simmentaler erzählen die stattlichen Häuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

Wer einige der schönsten Häuser sehen will, begibt sich auf den Simmentaler Hausweg, der als erster der drei Hauswege 1992 geschaffen wurde.

1995 folgte der «Obersimmentaler Hausweg» und 2001 der «Diemtigtaler Hausweg». Die drei Simmentaler Hauswege führen an über 100 stattlichen Bauernhäusern mit höchster Zimmermannskunst und farbiger Fassadenmalerei vorbei.

Als ich meine Ausbildung als Zürcher Primarlehrerin abschloss, wurde ich auch im Fach Geografie geprüft. Wir bekamen alle ein Bild eines traditionellen Schweizer Hauses, mussten dessen Standort bestimmen und die typische Bauweise dieser Region erklären. Keine leichte Aufgabe! Ich erinnere mich genau, ich hatte ein Haus am Walensee. Und heute, rund ein halbes Jahrhundert später, denke ich am Walensee noch immer an dieses Haus. Nachhaltige Bildung.

Die Vielfalt der Schweizer Haustypen ist erstaunlich. Wer kennt nicht die Engadinerhäuser mit den Rundbogentüren und der Sgraffitomalerei oder die typischen Tessinerhäuser mit ihren Steindächern.
Mir gefallen die Zürcher Flarzhäuser.

Unser Haus im Säuliamt (Knonauer Amt) ist erst 40 Jahre alt, weist aber traditionelle Elemente dieser Region auf. Es ist ein Ständerbau und es gibt ein Klebdach über den Fenstern gegen Süden. Ein Klebdach ist ein regional verbreitetes Schutzdach oberhalb der Fenster entlang der Giebelfront eines Gebäudes. Sie schützen die teuren Fenster vor Regen.

Simmentaler Häuser haben keine Klebdächer, die ganze, reich verzierte Fassade ist vom weit vorspringenden Hausdach geschützt.

Beim Simmentaler Haus ist die unterste Etage meist aus Stein, die oberen Stockwerke aus Tannenholz. Man schlug das Bauholz im Februar, wenn jeweils wenig Saft im Holz ist.

Rund 300 Tannen braucht man für 1000 Kubikmeter des Agensteinhauses, das für eine Grossfamilie gebaut wurde.

Zwei Eingänge führen in je einen Hausteil der beiden Generationen.

Dieses Haus wurde vom bekannten Simmentaler Zimmermann Hans Messerli (1718-1806) im Jahr 1766 in Erlenbach erbaut. Es heisst Agensteinhaus und beherbergt das Talmuseum, das “Museum der alten Landschaft Niedersimmental”, und präsentiert in 16 Räumen neben der Zimmermannskunst und dem Alltagsleben vergangener Zeiten auch den Themen Fleckvieh- und Pferdezucht, Alpwirtschaft, Geologie, Urgeschichte und Simmentaler Käser in den Diensten russischer Fürsten.

Alte Handwerker wie Küfer, Drechsler oder Schindler werden ebenfalls vorgestellt.

Zudem werden temporäre Ausstellungen organisiert, als wir dort waren zu Trachten.

Agenstein ist ein seltener Familienname, der erstmals in Diemtigen, einer Nachbargemeinde von Erlenbach, auftauchte. Agenstein bedeutet vor allem Bernstein, seltener auch Magneteisenstein.

Die Gemeinde Erlenbach ist mit 37 Quadratkilometern Fläche so gross ist wie der Kanton Baselstadt und verfügt über 85 Kilometer Wanderwege auf Gemeindegebiet.

Hans Hofer, Lokalhistoriker und Organist, führte uns durch das Haus und vermittelte uns eine Menge Wissen. Er erzählte vom verheerenden Dorfbrand 1765, dem 15 Häuser und 9 Scheunen zum Opfer fielen – während die Kirche verschont blieb. Glück im Unglück war die Tatsache, dass das Dorf zu dieser Zeit wegen der florierenden Pferde- und Viehzucht wohlhabend war und die Häuser schnell, qualitativ hervorragend und reich verziert wieder aufgebaut wurden.

Neben dem Agensteinhaus tragen drei weitere ähnliche Bauten an der Hauptstrasse von Erlenbach die Handschrift von Hans Messerli. Sie fallen auch in die Phase des Wiederaufbaus nach dem Brand. Messerli richtete in seinen 86 Lebensjahren mehr als 285 Firste in der Umgebung auf.

Das „Agensteinhaus“ verkörpert den gängigen Typ des dreistubenbreiten Zweigenerationenhauses. Es wurde in der Simmentaler Bauweise erstellt, die Ständer- und Blockbau harmonisch vereinigt.

Obwohl es nicht mehr in der kurz zurückliegenden barocken Manier bemalt und beschriftet ist, gilt seine nach Süden ausgerichtete vollsymmetrische, stark gegliederte und verzierte Hauptfassade als ein Meisterwerk.

Zuerst schauten wir uns den Barock-Garten an. Der mit einem Ringzaun umfasste Garten trägt wesentlich zum abgerundeten Gesamteindruck bei. Vom Garten aus sahen wir uns die beeindruckende Fassade an.

Um den Garten weideten Schafe.

Heute wie früher galt: Das Haus ist eigentlich eine dritte Haut. Zuerst kommt die unseres Körpers, dann Kleider, danach Haus oder Wohnung. Die Körperhaut ist gegeben, aber Kleider und Wohnung decken die Grundbedürfnisse nach Schutz und Wärme ab  – und vor allem zeigte man mit ihnen, wer man ist und was man hat – dies spätestens, seit die Menschen sesshaft geworden sind.

Die Simmentaler Häuser gehören mit ihrem reichen Formenschatz der Dekorationsmalerei und der Schriftbänder sowie mit ihrer einmaligen architektonischen Gestaltung zu den prachtvollsten Gebäuden im gesamten Alpengebiet.

Durch die Berneroberländer Täler führten vor Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecken mehr oder weniger wichtige Saumstrassen, auch durch das Simmental über den Jaunpass in die Westschweiz.

Eine Folge der Lage an einer Saumstrasse war die Pferdezucht – und die Viehzucht, die Simmentaler Kühe kennt man nicht nur in der Schweiz.

Viele der behäbigen und schön geschmückten Häuser der Dörfer im Simmental sind nicht Bauernhäuser, sondern Häuser von Leuten, die mit Säumerei oder Viehhandel zu Wohlstand gekommen waren. Auch Kaufleute und Handwerker wie Hufschmiede und Sattler, deren Gewerbe in Zusammenhang mit der Säumerei stand, schafften es zu Wohlstand.

Zimmerleute brachten es mit dem Bau der typischen Simmentaler Häusern zu Ruhm und Reichtum.

Hans Messerli schuf besonders schöne Fassaden. Unter „Fassade“ versteht man die giebelseitige Schaufront eines Gebäudes, die meist talwärts oder zur Strasse hin gerichtet ist. Durch ihre exponierte Lage bietet sie eine ideale Fläche, um das handwerkliche Können des Zimmermeisters und die gesellschaftliche Position des Besitzers zur Schau zu stellen.

Die Fassade eines traditionellen Simmentaler Hauses setzt sich aus gemauertem und getünchtem Sockel, Stuben- und Gadenwand, Giebeldreieck und Vordach zusammen.

Zusätzliche Elemente können Lauben, Treppen oder Stubenanbauten sein.

Im Simmental wurden die Häuser vorwiegend als Mischkonstruktionen errichtet.

Das Stubengeschoss wurde als Ständerkonstruktion erbaut, die übrigen Geschosse in Blockbauweise.

In der Fassade zeigen sich die funktionalen, die konstruktiven und die gestalterischen Ebenen. Konstruktive Bauteile wie der Schwellenkranz, die Fensterbänke, die Blockvorstösse oder die Blockkonsolen bieten die Grundlage für die verschiedenen Zierelemente der Schnitz- und Malkunst.

Schwellen- und Wandvorkragen verleihen der Fassade zusätzlich Plastizität. Als Vorkragung bezeichnet man im Bauwesen das Vorspringen oder Hinausragen eines Bauteils über die Baufluchtlinie des Gebäudes hinaus.

Die Zierelemente entwickelten sich von einfachen Muster wie Rauten- und Blendbogenfriesen zu immer reicheren und komplexeren Schnitzereien.

Pflanzliche Mustern wie Tulpen- oder Rankenfriese und geometrische wie Würfel- oder Bibliotheksfries Motiven erweiterten die Palette der Formen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verlor die Fassadengestaltung mit Schwellen- und Wandvorkragen allmählich an Bedeutung. Es blieben der reiche Formenschatz und der Gebrauch virtuoser Zierfriese.

In der Küche wurde gekocht und es wurde Käse hergestellt.

Zahlreiche Küchengeräte erzählen von alten Zeiten.

Keramik war bunt. In den Töpfen wurde auch Butter aufbewahrt.

Die Küche wird vom mächtigen Bretterkamin überspannt.

Man kann sich den Alltag hier gut vorstellen.

Die Menschen waren damals deutlich kleiner.

Die Frauen widmeten sich der Herstellung und Bearbeitung von Textilien.

Sie woben traditionelle Muster.

An langen Winterabenden wurden Handarbeiten gemacht. Der Wechsel der Jahreszeiten bestimmte die Arbeiten, die erledigt wurden.

Das Waschen für die vielköpfige Familie und die Knechte und Mägde muss eine Heidenarbeit gewesen sein.

Betagte und kranke Familienmitglieder wurden gepflegt.

Gewisse Hausmittel halten es hartnäckig bis in die Gegenwart.

Und auch damals wollte man gut aussehen.

1973 wehrten sich die Erlenbacher mit Erfolg gegen einen geplanten Abbruch und Wiederaufbau des Hauses in Gstaad. 1981 entstand aus einem im Jahre 1974 gegründeten Initiativkomitee die „Stiftung Agensteinhaus“.

Diese erwarb das Kulturdenkmal und wandelte es innerhalb von sechs Jahren mit viel Herzblut und dank grosser Spenden zum Dorf- und Regionalmuseum um. Seit 1987 betreibt der Verein „Freunde des Agensteinhauses“ das Museum.

Engagierte Leute in ehrenamtlichen Funktionen – wie Hans Hofer – helfen, das Haus mit Ausstellungen und Anlässen zu beleben und als Ort für Begegnungen anzubieten.

Männer bauen ein Haus,
Frauen schaffen ein Zuhause.

Unbekannt

Informationen
Lenk-Simmental Tourismus
Talmuseum Agenstein

Der Simmentaler Hausweg ist ein Kulturwanderweg des Berner Heimatschutzes, einer Kantonalsektion des Schweizer Heimatschutzes, im Simmental. Die vom Berner Heimatschutz eröffneten Hauswege sollen die meist abseits der Hauptverkehrswege gelegenen Zeugen der Baukultur, die den Charakter der Siedlungslandschaft prägen, einer breiteren Bevölkerung zugänglich machen.

Tipps
Das Simmental verfügt neu über einen Jodelweg. Darüber und über die Simmentaler Kühe werde ich in einem nächsten Beitrag schreiben.

Dank
Marianne Tschanz von Lenk-Simmental Tourismus hat uns eine wunderbare Reise zusammengestellt. Herzlichen Dank. Ich danke auch Hans Hofer, der uns die Simmentaler Zimmermannskunst nähergebracht hat.
Danke, liebe Rita, mit Dir reisen ist wunderbar!

Hoteltipp
Wir waren begeistert vom Gästehaus B&B am Bühlberg, Lenk. Interessante, herzliche Gastgeber, superschön eingerichtete Räume, exquisites Essen.

Musik
Simmentaler Schwyzerörgeli

Buchtipps

Sagen und Sagengeschichten aus dem Simmenthal
Sagen und Sagengeschichten aus dem Simmenthal – Erster Band ist ein unveränderter, hochwertiger Nachdruck der Originalausgabe aus dem Jahr 1883.

Die Krankheit Im Volksglauben Des Simmenthals
Ethnographie Des Berner Oberlandes (1898). Dieses seltene antiquarische Buch ist ein Faksimile-Nachdruck des Originals. Aufgrund seines Alters kann es Unvollkommenheiten wie Markierungen, Notizen, Marginalien und fehlerhafte Seiten enthalten.“

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Uhrmacherstadt La-Chaux-de-Fonds und Le Corbusier

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Eine Geschichte aus Öland

  1. Bernie Betnhard

    Unglaublich deine Sichtweise liebe Regula… dein Blick selbst fürs kleinste Detail. Mit grossem Wissen, liebevoll beschrieben: einfach unglaublich spannend zu lesen! 👍😍- eine wahre Schreibkünstlerin😍

  2. ritanna

    Das ist jetzt eine ganz besondere Freude; die Dächer, Häuser, Balken, Fassaden der Schweizer, Simmentaler Häuser, erst noch die Bauerngärten mit den Buchseinrahmungen davor.
    Es macht wirklich Freude diese noch vorhandenen und belebten Kulturgüter beschaulich zu erleben.

    Und auf Murmelikräutersalbe Marke “Edelweiss” vom Apotheker selbst herge-stellt, vertraue ich noch heute. Half sie mich doch den hartnäckigen Sommerhusten wegzubringen, durch einschmieren von Brust, Rücken und Hals.
    Es heisst ja: “Wer hustet, bleibt zuhause!”

    • Lis Rohner

      Regula, danke dir vielmal für deine Erklärungen und die schönen Bilder.
      Diese Häuser sind unglaublich schön und die Details, das schöne Schnitzkunstwerk und das Handwerk aus früheren Zeiten sind sehr interessant von dir vermittelt worden.
      Die schönen Bauerngärten und der farbenfrohe Wiesenblumenstrauss sind auch eine wahre Freude.
      Schmunzeln musste ich über das Schild ” Come In /Open “, irgendwie passt
      dies nicht zu diesen Häusern.

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