Musikdosen und Musikautomaten erinnern mich an meine Kindheit und lassen mich auch heute noch staunen.
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Wunderwerke der Feinmechanik, die sich bewegen und klingen, kann man in Sainte-Croix und im Nachbardorf L’Auberson im Jura bewundern.
Die Lust am Tüfteln wurde dort über Jahrhunderte perfektioniert.
Als Kind drückte ich meine Nase an der Scheibe platt, wenn wir die Volière in der Enge am See besuchten und mein Vater einen “Batzen” in den Automaten eingeworfen hatte. Die Tänzerinnen fand ich wunderschön.
Solche Automaten verkürzten auch die Wartezeit auf Bahnhöfen.
Solche Wunderwerke der Mechanik erzählten ganze Geschichten.
Heute schiebt man oft der Technik den Schwarzen Peter an den aktuellen Umweltproblemen zu.
Falsch – Probleme verursachend ist die verantwortungslose Anwendung von Technik durch Menschen.
Technik ist nicht per se schlecht. Sie kann auch Freude bereiten. Dies erlebt man im Waadtländer Jura auf der Spur der Musikdosen und Musikautomaten.
In der Region von Sainte-Croix bestimmte die Feinmechanik über Jahrhunderte das Leben der Menschen.
Im 18. Jahrhundert hat hier der Uhrmacher Antoine Favre-Salomon die Musikdose mit Zungenkamm und Stachelrad erfunden.
Ich habe zwei Museen in und um Sainte-Croix besucht: Centre International de Mécanique d’Art (CIMA), Atelier du Docteur Wyss, Musée Baud in l’Auberson.
Beginnend mit Glockenspielen im Mittelalter führte die Entwicklung über Spieldosen, Musikautomaten, mechanische Singvögel, Jahrmarktsorgeln und Orchestrien schliesslich in die heutige elektronische Musikindustrie. Im Centre International de Mécanique (CIMA) kann man diese Entwicklung sehen und hören.
Die mechanischen Singvögel waren aus unzähligen kleinen Teilen zusammengesetzt.
Sogar eine Seele, l’ame, besitzen diese Vögel (Liste rechts, 6. von oben).
Spieldosen funktionieren mittels Stahlzungen, die mit Stahlstiften einer sich drehenden Walze kurz zum Schwingen gebracht werden.
Zu Beginn musste jede Tonzunge einzeln angefertigt, abgestimmt und dann auf den Zungenbalken aufgeschraubt werden, eine mühselige Arbeit.
Wenige Jahre später gelang es, vier bis fünf Tonzungen in einem Stück Stahlblech vereint anzufertigen. Diese Musikdosen bezeichnet man als Segmentmusikdosen.
Durch die Entwicklung von speziellen Fräsanlagen gelang es einem Genfer Fabrikanten 1810, einen kompletten Spielkamm aus einem Stück Stahlblech herzustellen.
Viele Musikdosen kamen in opulent gestaltete Behälter, beispielsweise kunstvoll mit Intarsien geschmückte Holzschachteln, die als Resonanzkörper dienten.
Später wurden die Walzen durch Scheiben ersetzt, in die Haken gestanzt wurden. Scheiben konnte man leicht auswechseln.
Le ranz des vaches 🙂
Liebevoll sind die Details gestaltet.
Man kann sich vorstellen, wie die Menschen im letzten Jahrhundert diese Musik genossen haben.
Mehrstimmig!
Zwei Scheiben nacheinander.
Die Scheibenspieldose war die Urgrossmutter des Grammophons.
Man konnte im eigenen Heim zu Musik tanzen.
Musik für romantische Stunden.
Als Kind berührte mich das Bild des Hundes, welcher der Stimme seines verstorbenen Herrn lauschte, immer tief.
Doch zurück zu den Lochkarten.
Hier eine Form, wie die Informationen auf Holzbrettern von Hand aufgelegt und mittels Kurbel bewegt wurden.
Lochkarten erlaubten eine längere Spieldauer als die Walzen mit den Nägeln.
Man erfand raffinierte Techniken, damit sich die Lochkarten richtig falteten.
Später wurden die Lochkarten durch “Lochrollen” ersetzt.
Solche Rollen kamen beispielsweise im Kunstklavier zum Einsatz. Diese setzte man beispielsweise beim Drehen eines Films ein, wobei der Schauspieler nicht Klavierspielen musste. Das Klavier tat es selbst.
Im Unterschied zum elektrischen Klavier gibt das Kunstklavier dem Benutzer die Möglichkeit, die Wiedergabe der Musik zu beeinflussen.
Kunstspielklaviere wurden pneumatisch betrieben. Die Musik wurde durch gelochte Papierbänder, die sogenannte „Klavierrolle“ oder „Notenrolle“ als Trägermedium übertragen.
Diese Notenbänder sind auswechselbar und waren im Musikalienhandel zu kaufen. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden alle Arten von mechanischen Klavieren häufig Player Piano oder Pianola genannt, ohne die Art des Instrumentes genauer zu bezeichnen. Im deutschen Sprachgebrauch wird auch der Markenname Phonola benutzt.
Das Kunstspielklavier ist meist auch als normales Klavier von Hand spielbar.
Manche Kunstspielklaviere wurden allerdings wie Orchestrien ohne Tastatur gebaut.
Als Vorläufer des Kunstspielklaviers gab es Vorsetzer, die die Tasten eines vorhandenen Klaviers pneumatisch spielen konnten.
Bald wurden in die Musikdosen Zusatzinstrumente eingebaut, beispielsweise ein Glockenwerk. Die Glocken wurden von einem separaten Kamm – auch über die Walzenstifte – gesteuert.
Erfolgreich war auch die Kombination mit der Technik der Flötenuhren, mit einer kleinen Orgel. Ein Beispiel für einfache Flötenuhren sind die Kuckucksuhren.
Dazu war ein spezielles Gebläse nötig, Schöpfbälge, das durch dasselbe Federwerk angetrieben wurde, das auch die Stiftwalze drehte.
Namhafte Komponisten haben für Spieldosen und Flötenuhren komponiert: Beethoven, Mozart, Salieri, Bach, Haydn und Händel.
Nicht nur Klaviere unterhielten die Zuhörer ohne Klavierspieler, auch Geigen wurden durch komplizierte technische Wunderwerke zum Klingen gebracht.
Anfangs des letzten Jahrhunderts stellte die Mills Novelty Company in Chicago, USA, das erste Orchestrion mit einer integrierten Geige vor. Dieses Instrument, die Automatic Virtuosa, hatte im Oberteil eine liegend eingebaute Geige, die Saiten wurden durch vier sich drehende Zelluloid-Scheiben gestrichen. Ab 1909 gab es ein verbessertes Modell, die Violano-Virtuoso. Sie wurde in verschiedenen Varianten bis etwa 1930 hergestellt.
Orchestrion nannte man die mechanischen Musikautomaten, die ein ganzes Orchester zu imitieren vermochten.
Das Konzert-Orchestrion war für das Spiel in den Salons der Hautevolee und den Hallen grosser Hotels konzipiert und spielte Musik wie Beethoven-Symphonien, Opern-Ouvertüren, aber auch Märsche und Tanzmusik.
Dieses Orchestrion kam bei Velorennen zum Einsatz, um die Stimmung anzuheizen.
Die “Chilbiorgeln”, Jahrmarktsorgeln, sind Orchestrien.
Dies ist ein rein mechanisches Orchester ohne Musik. Die Musiker tragen Masken, Affenmasken. Wir Covid-Masken.
Dieses Orchester ist das reinste Gruselkabinett.
Erstaunlich sind Automaten, die in Form von Menschen Bewegungen ausführen – eine Vorstufe von Robotern.
Dieser junge Mann hier hatte die Aufgabe, auf der Strasse stehend, Gäste mit Gesten, Lächeln und Augenrollen in ein Restaurant zu locken. Von “politisch korrekt” hatte man damals keine Ahnung und ass auch hemmungslos ……köpfe!
Ein Pierrot zupft die Gitarre, was er da mit der Zunge macht, weiss ich nicht.
Ein anderer Pierrot schreibt seiner Geliebten einen Brief. So lange, bis das Gaslicht ausgeht.
Sie schreibt zurück – immer wieder das Gleiche! Bitte tief in den Ausschnitt schauen. Sie atmet. 🙂
Er füttert sein Schweinchen.
Es ist ziemlich gierig.
So wurden im letzten Jahrhundert Probleme in der Schule gelöst und so festigte man Rollenklischees.
Der Junge will seiner Grossmutter Konfitüre stehlen – und wird überrascht.
Wer technisch Genaueres über die Herstellung der Musikdosen wissen will, besucht die Werkstatt von Dr. Wyss in Sainte Croix.
Als während der Quarzkrise in den 1970er Jahren schweizweit zwei Drittel der Uhrenarbeitsplätze verloren ging, wurden Werkzeuge und Maschinen verschrottet.
Der Arzt Jürg Wyss eröffnete 1977 seine Allgemeinpraxis in Sainte-Croix und bekam die Auswirkungen der Krise hautnah mit.
Er erkannte den Wert dieser Zeitzeugen und sammelte Dokumente, Maschinen und Werkzeuge von Uhrmachern und Herstellern von Musikautomaten. Er mietete Räume, um dort Werkstätten wieder aufzubauen und sie der Nachwelt zu erhalten.
Bei Führungen erlebt man, wie die teils über hundertjährigen Maschinen funktionieren. Besucher erhalten Einblick in den Mechanismus der Spieldose und ihre historische Entwicklung. 2009 schenkte Dr. Wyss seine Sammlung dem Sainte-Croix Museum of Arts and Sciences.
Erstaunlich ist das Transmissionssystem. Die Transmission ist ein historisches Riemengetriebe. Ein zentrales Element bildet der Treibriemen oder Transmissionsriemen. Transmissionen wurden in der frühen Industrialisierung eingesetzt, die Wurzeln der Konstruktion reichen aber in die Antike zurück.
Fasziniert hat mich der Bau der Walzen für Spieluhren – nicht nur eine mechanische Herausforderung, sondern auch eine musikalische.
Mit einem komplexen Verfahren wurde die Notenschrift auf die Walze übertragen.
Von Spieldosen über Flötenuhren bis zu komplexen Musikautomaten werden langsam drehende, mit Stiften versehene Walzen verwendet, um die abzuspielenden Töne im zeitlichen Ablauf festzulegen. Die Stiftwalze stellt damit einen Informationsträger dar.
Zugleich kann die Stiftwalze die Kraft- und Energieübertragung zur Tonerzeugung enthalten, wenn beispielsweise federnde Zungen von Spieluhren durch Stifte angehoben und schlagartig zum Schwingen freigelassen werden.
Der Antrieb von Stiftwalzen erfolgt mit einer Handkurbel, von Uhrwerken mit Feder oder Gewicht, pneumatisch oder elektrisch.
Als Stiftwalze verwendet man ein Messingrohr.
Nach dem Markieren wurden die einzelnen Stiftlöcher gebohrt und die Stifte eingesetzt. Nach dem Einsetzen der Stifte wurde die Innenwand des Walzenrohres mit einer Masse aus Harz, Teer und Steinstaub überdeckt. So wurden die Stifte fixiert. Die Spieldose erreichte dadurch zudem einen volleren Klang.
Die Stiftwalzen konnten mittels mehreren Stiftreihen mit vier bis zwölf Melodien bestückt sein. Zum Wechseln der Melodie wurde die Walze mittels eines Spielstellers in axialer Richtung verschoben.
Um mehrere Melodien auf der Walze unterbringen zu können, wurden mehrere Stiftreihen gesetzt. Oft waren es acht bis zwölf Stiftreihen, mitunter sogar mehr. Nach einer axialen Verschiebung der Walze konnte eine andere Stiftreihe abgetastet und somit auch eine weitere Melodie gespielt werden.
Wurde während des Spiels eine Tonzunge von einem Stift “angeschlagen”, so führte diese bestimmungsgemäss Schwingungen aus. Nun konnte es bei zwei aufeinanderfolgenden gleichen Noten vorkommen, dass sich kurz nach dem ersten Stift ein zweiter Stift der noch schwingenden Tonzunge näherte.
Beim Zusammentreffen von schwingender Tonzunge und Stift kam es zu einem kratzenden Geräusch. Dieses unangenehme Kratzgeräusch liess sich vermeiden, wenn man bei Annäherung des zweiten Stiftes an die noch schwingende Tonzunge diese erst einmal auf sanfte Weise stillsetzte. Dazu wurden auch Vogelfedern eingesetzt.
Spezialisten komponierten bekannte und unbekannte Melodien für Spieluhren und deren Möglichkeiten (Spieldauer, Tonumfang) um. Dazu wurde eine spezielle Notenschrift entwickelt, die als Vorlage für das Stecken der Stifte in die Walze diente.
Unzählige helle Köpfe hatten raffinierte Ideen – so erst konnten diese Musikdosen und Automaten entstehen.
Die Ausstattung der Musikautomaten zeigte oft auch die sinnlichen Aspekte, welche musikalisch übermittelt wurden. Meist stimmt mich Musik von alten Musikautomaten fröhlich.
Ein Ausflug in die Welt der Musikautomaten ist sowohl für technisch interessierte Erwachsene als auch für Kinder geeignet.
Ich habe immer gesagt,
die Mechaniker gedeihen am besten,
wenn man sie auf junge Stämme von Uhrmachern pfropft.
Georg Christoph Lichtenberg, 1742 – 1799
Informationen
Das Musikdosen- und Automatenmuseum CIMA (Centre International de Mécanique d’Art) zeigt eine einzigartige Sammlung von Musikdosen und gibt Einblick in eine Tradition und ein Know-how, die für Sainte-Croix typisch sind.
Nur wenige Kilometer von der Musikdosenhauptstadt Sainte-Croix entfernt birgt das Museum Baud in L’Auberson wahre Schätze.
Die beiden Museen werden in naher Zukunft zusammengelegt.
Gleich beim CIMA findet man das Atelier du Docteur Wyss.
Vallée de Joux Tourisme
Jura Tourismus
Region Yverdon les Bains
Vaud Promotion
Genferseegebiet
Dank
Ich danke Aurélie Kleiner von Vallée de Joux Tourisme und Nadia Werro von der Association pour le Développement du Nord Vaudois / Yverdon-les-Bains Région für die Organisation dieser Reise. Danke auch Ursula Krebs von der Gretz Communications AG. Sie hatte die Fäden in der Hand!
Herzlich danke ich den beiden Damen, die mich durch die beiden Museen geführt haben und dem Ingenieur Theodor Hatt, der eine Menge Geduld zeigte, während er mir technische Aspekte im Atelier du Docteur Wyss erklärte. Ohne seiner Freiwilligenarbeit und des Vereins könnte das Atelier kaum in dieser Form weiter existieren.
Empfohlen sei hier auch das Musikautomatenmuseum des Landesmuseums in Seewen.
Musik
Musik Musikautomaten
Wunderwelt der Musikautomaten
Spieluhrenmusik Klassik
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Spieluhrenmusik für Babys
Film
Musikautomaten
ritanna
einfach fantastisch!!!!! mitzuerleben wie diese “Musik-Halb, und -Ganzautomaten enstehen konnten. Es ist ungemein spannend. Ich denke, ich könnte Stundenlang verweilen um den Werdegang zu begreifen und eben den Klängen zuhören, dabei vergangenen Zeiten hörerinnern.
Ja, das ist eine Excursion wert, gerade in dieser schiefen nassen Regenperiode.
Vilen Dank für die Führungen, Erklärungen.
Du hast recht, da kann man nicht einfach durchrennen. Es lohnt sich, sich Zeit nehmen zu geniessen.