Eine Stadt als Fotogalerie

Baden bei Wien ist aus vielen Gründen eine ausserordentliche historische Kleinstadt. Es verfügt über eine der grössten Rosarien in Europa, war lange Zeit Bade-Kurort für Adel und Geldadel, zudem Wohnsitz von bedeutenden Menschen wie Mozart und Beethoven. Und seit vier Jahren beherbergt es mit dem Festival “La Gacilly–Baden Photo” eine Open-Air-Galerie von sieben Kilometern Länge.

Die Geschichte der Fotoausstellung begann in der bretonischen Kleinstadt La Gacilly. Jacques Rocher, heute Vorsitzender der Fondation Yves Rocher, rief 2004 in seinem Geburtsort La Gacilly ein Fotofestival ins Leben, das dem Thema Mensch und Umwelt gewidmet ist.

Die Plätze, Gässchen und Gärten von La Gacilly verwandeln sich jeden Sommer in ein „Bilderdorf“. Der Ort mit seinen historisch geprägten Bauten bietet eine Bühne, auf der die unterschiedlichen Fotos in einer hervorragend kuratierten Ausstellung optimal zur Geltung kommen. Ein Fotokunsterlebnis für alle Interessierten – ohne Eintritt bezahlen zu müssen.

Die Bürger von Baden bei Wien machen begeistert mit und leben den Sommer über in verdunkelten Räumen, wenn überdimensionale Fotos vor die Fenster montiert wurden.

Das Festival greift jedes Jahr zwei gesellschaftliche Themen aus den Bereichen Geografie und Umwelt künstlerisch auf. Zum einen rückt die moderne Fotokunst ein Land oder einen Kontinent in den Fokus, wie beispielsweise 2017 Afrika südlich der Sahara, 2016 Japan und 2015 Italien. Zum anderen werden umweltbezogene Probleme fokussiert wie 2017 Beziehung Mensch & Tier, 2016 Die Weltmeere, 2015 Den Planeten ernähren.

Das grösste Fotofestival Europas kam nun 2021 zum vierten Mal nach Baden.

Baden bekommt die Fotoausstellung von Frankreich quasi second hand, ein Jahr nach der dortigen Präsentation, fügt aber nochmals 30 Prozent mehr Werke mit Bezug zur Region hinzu.

Die Gründe des Erfolges des Festival La Gacilly Photo definieren auch den Rahmen für das Festival in Baden:
– Das Thema: die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt
– Die Inszenierung der Ausstellungen im öffentlichen Raum
– Die hohe Qualität der ausgestellten internationalen Fotografen
– Die Tatsache, dass das Festival bei freiem Eintritt Tag und Nacht besucht werden kann.

Themen 2021 “VIVA LATINA!” und Biodiversität. Dauer: 18. Juni bis 17. Oktober 2021.

Hier nun eine kleine Auswahl aus den rund 1’500Werken.

Besonders beeindruckt haben mich die Fotos von Sebastião Salgado aus dem Jahr 1986 mit dem schlichten Titel “Gold”.

„Als ich die Mine von Serra Pelada zum ersten Mal sah, war ich sprachlos. Vor mir öffnete sich eine gewaltige Grube, fast zweihundert Meter im Durchmesser und ebenso tief, in der zehntausende fast nackter Menschen herumwuselten, von denen die eine Hälfte auf wackligen Holzleitern schwere Säcke mit Erde nach oben schleppte und die andere Hälfte auf den schlammigen Hängen wieder in den Abgrund eilte. Sie alle suchten nach Gold.“ Sebastião Salgado

Ein weiterer beeindruckender Fotokünstler: Tomás Munita

Er erzählt die Geschichte von “Cowboys” in Patagonien, die wilde Stiere und Pferde einfangen. Diese Familien, die von Pferden und Hunden begleitet werden, verzichten bei der Jagd auf moderne Hilfsmittel und fangen Tiere ein, die noch nie ein Seil oder einen Zaun gesehen haben.

Wenn die Cowboys von Patagonien ihr Leben riskieren, um diese Tiere einzufangen und anschliessend zu verkaufen, tun sie das nicht nur, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, sondern auch, um die Traditionen ihrer Vorfahren zu bewahren. Dass die Tiere dabei leiden, ist kein Thema.

Faszinierend sind die Fotos aus den 1920-er Jahren von Emmanuel Honorato Vázquez.

Greg Lecoeur nimmt die Besucher mit zu einer Reise zum Mittelpunkt des Meeres. Die Fotos schwimmen auf dem Teich und bewegen sich im Wind.

Ulla Lohmann hat auf Madagaskar die Bemühungen jener Menschen festgehalten, die dort für den Erhalt der bedrohten Natur kämpfen.

Hier wütet die Entwaldung in katastrophalem Ausmass: Durch die Rodung von Edelhölzern und durch Buschfeuer hat die Insel in den vergangenen sechzig Jahren fast die Hälfte ihrer natürlichen Bewaldung verloren.

Luisa Dörr erzählt aus dem Leben der Flying Cholitas, von bolivianischen Frauen, welche eine ausgesprochen männliche Form des Erwerbslebens zelebrieren: Ringkampf, Wrestling. Es geht dabei nicht nur darum, die Emanzipation der Frauen voranzutreiben, sondern um die Sicherstellung des Einkommens der Familie.

Ganz unbefangen begegnet die Kaiserstadt Baden bei Wien den südamerikanischen Frauen, die das ganze Jahr über ihre Festkleidung vorbereiten, um sie dann während der Festlichkeiten zu tragen.

Marcos López dokumentiert die Wirklichkeit, indem er sie inszeniert. Er präsentiert eine originelle und surreale Auffassung unserer Lebenswelt, eine heitere und beissende Kritik unserer Konsumgesellschaft und der Moderne.

Gern stelle ich die Fotos in einen Bezug. Oben ein Foto aus der Frauenkirche in Baden bei Wien, unten ein Werk von Marcos López. Gleiches Thema – andere Herangehensweise!

Ich durfte auch an einer Pressekonferenz teilnehmen. Eine besondere Geschichte mit Exzellenzen, der Landeshauptfrau und anderen erlauchten Persönlichkeiten.

Für die Journalisten standen Stühle mit Namenstafeln bereit – aber nur ich setzte mich hin.

Hier macht man Interviews, schiesst Fotos und dreht Filmchen – noch bevor die Reden gehalten werden. Ein richtiges Journalistenballett, wo man hin- und herrennt, wenn gerade jemand bedeutende Worte formuliert.

Ich lasse hier Fotos sprechen.

Und dann wurden Bänder gespannt und Frau Landesoberhauptmann und seine Exzellenz, der Französische Botschafter, schnitten das Band durch.

Dieser Medienanlass war für mich wie bei den russischen Matroschka-Puppen, wenn in einer Geschichte eine andere steckt. Ich liebe es, solche Geschichten in den Geschichten zu beobachten. Und hier hat es nun viele Fotos auf den Fotos – auch Matruschkas.

Diese Fotoausstellung ist für Liebhaber der kunstvollen Fotografie ein Muss – ich habe noch nirgends auf der Welt etwas so Beeindruckendes gesehen!

Und noch eine kleine Geschichte in der Geschichte: Ich bekam eine Torte und habe sie im Koffer im Flugzeug heil nach Hause gebracht!

Ein Foto, unabhängig von Kultur und Sprache,
ist in seiner Bedeutung offen,
das Wort ist festgelegt.
Anders ausgedrückt:
Das Bild ist konkret und das Wort bleibt abstrakt.

Wolfgang Beinert

Es folgen weitere Beträge zu meiner Reise nach Baden bei Wien – das Rosarium mit 800 Rosensorten beispielsweise ist für Gartenfreunde ein einmaliges Erlebnis.

Informationen
Baden bei Wien
Fotoausstellung: Festival La Gacilly – Baden Photo

Dank
Ich wurde in Baden bei Wien sehr verwöhnt. Es ist wunderschön, auf Reisen Menschen kennen zu lernen, die man unbedingt wiedersehen will!

Ich danke Martina Prischmann und Klaus Lorenz von der GG Tourismus der Stadtgemeinde Baden. Die Begleitung von Tourismusdirektor Klaus Lorenz habe ich wegen der guten Gespräche besonders geschätzt.
Bereits eine kleine Freundschaft verbindet mich mit Christine Triebnig Löffler. Sie hat mir die Stadt Baden bei Wien mit all ihren Facetten sympathisch und kompetent nähergebracht. Danke, liebe Christine!
Wie immer, wenn es Richtung Österreich geht, darf ich auf die Unterstützung von Daniel Predota von Österreich Werbung zählen: DANKE Daniel!

Musik
Noch nicht die 9. Sinfonie von Beethoven, die in Baden bei Wien komponiert wurde 🙂
Südamerikanische Musik

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  1. Rita

    Danke herzlich fürs Teilen.

  2. Rita

    Zum Glück hat auch noch das Wetter gepasst! Jedenfalls verraten das mir deine interessanten Fotos!

    • Eva

      Deine Bilder von der Journalistengeschichte in der Titelgeschichte finde ich absolut faszinierend und perfekt in Szene gesetzt. Reiche sie doch bei der Kulturkommission ein; vielleicht werden sie in zwei Jahren ebenfalls in Baden bei Wien öffentlich ausgestellt.
      Frage: wie kam es zu der „ Kulturpartnerschaft“ zwischen Frankreich und Baden b. W.?

      • Regula Zellweger

        Danke für Deinen lieben Kommentar. Der Kontakt kam über einen Badner Fotografen zustande. Den mag ich -ehrlich gesagt – nicht besonders. Deshalb habe ich ihn nicht erwähnt. Sein Engagement ist bestimmt verdienstvoll. Er weiss es aber und zeigt es für mich zu stark. Es haben sich auch andere für dieses Projekt sehr engagiert. Das ist das Schöne am Bloggen. Hätte ich als Printjournalistin kommumiziert, hätte ich ihn nennen müssen. Seine Fotos und das Kuratieren sind hervorragend, aber… Als Bloggerin kann ich weglassen, was ich will.

  3. martina

    sagenhaft schöne bilder! das macht wirklich lust auf die ausstellung … aber baden bei wien ist halt schon ein stückchen von münchen weg …

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