Brescia

Norditalien ist ein Katzensprung von der Schweizergrenze entfernt, eine Industrieregion am oberen Ende des Nord-Süd Gefälles in Italien, das wir politisch nicht immer verstehen.

Trotz der Industrie findet man traumhafte Landschaften, beispielsweise am 30 Kilometer entfernten Gardasee.

In Brescia vereinigt sich die moderne industrialisierte Welt mit der Kultur aus verschiedenen historischen Epochen.

Brescia ist sowohl eine Stadt mit rund 200’000 Einwohnern als auch eine italienische Provinz in der Lombardei.

Ihr Einzugsbereich mit rund einer halben Million Einwohnern gilt als drittgrösste italienische Industrieregion.

Brescia ist wie ein Geschichtsbuch mit vielen neben- und hintereinander gestapelten Kapiteln.

Die Römer sind omnipräsent.

Ihre Bauten sind einfach in spätere Gebäude integriert worden. Haben hier schon Römerinnen ihre Wäsche waschen lassen?

Vor den Römern lebten hier Kelten, die den Ort Brixia nannten. 225 vor Christus wurde Brixia römisch.

Während der Völkerwanderung kamen Goten und Hunnen – und schliesslich machten sich die Langobarden breit, mit 36 Herzogtümern.
Brescia hatte sogar zwei Könige. Nachdem Karl der Grosse eine Langobarden-Königstochter zuerst geheiratet und dann verstossen hatte, eroberte er kurzerhand Italien. Auf die Zeit der Langobarden geht das Kloster San Salvatore zurück. Während der Karolingerzeit residierten adlige Äbtissinnen im Kloster San Salvatore im Zentrum der Stadt – heute der besuchenswerte Museumskomplex San Salvatore-Santa Giulia.

1222 zerstörte ein Erdbeben Teile der Stadt. Es folgten wechselnde Herrscher, Brescia, eine wohlhabende Stadt, gehörte zu Mailand und später zu Venedig- und damit zu Österreich. Die Bürger von Brescia wollten aber keine Österreicher sein – also wehrten sie sich tapfer, aber erfolglos und mit grossen Verlusten.
Weite Teile der Stadt wurden bereits 1769 beschädigt, als die San-Nazaro-Kirche von einem Blitz getroffen wurde. Dabei starben rund 3000 Menschen. Erstaunlich? Nein, denn in ihr wurde Schiesspulver gelagert. Zuvor hatte es die Gemeinde abgelehnt, einen Blitzableiter zu installieren, da Blitze göttlichen Ursprungs seien und daher keine Kirche zerstören würden. Das Gottvertrauen bekam einen Riss, wurde aber nicht zerstört: Es wurde zwar ein Blitzableiter installiert, aber man lagerte weiterhin Schiesspulver in der Kirche.

Brescia wird auch die Löwin Italiens genannt, dies aufgrund des tapferen Widerstandes, den die Stadt 1849 gegen die Habsburger leistete. 1858 zog Garribaldi in Brescia ein und vertrieb die Österreicher endgültig.

Am 28. Mai 1974 fand auf der Piazza della Loggia ein Anschlag von Neofaschisten statt, bei dem acht Menschen starben und 102 Menschen verwundet wurden.

Traurige Bedeutung bekam das Jahr 2020: Brescia zählte zur am stärksten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Region in Europa.

Wie gesagt, Geschichte begegnet man bei einem Stadtrundgang überall.

 

Einen ersten Überblick über die Stadt gewinnt man auf der Burg.

Das Castello ist eine der grössten Burganlagen Italiens.

Sie erzählt Festungsgeschichte von der Militärarchitektur des 16. Jahrhunderts unter der Herrschaft Venedigs bis ins 19. Jahrhundert zur Zeit der Besetzung durch die Österreicher.

An den Wänden wachsen Kapern.

Früher waren die Felsen kahl, man wollte den Feind ja frühzeitig erspähen.
Heute ist die Gegend um das Castello begrünt und ein kleines Naherholungsgebiet.

Das Zentrum der Altstadt kann man strukturieren, indem man sich an Plätzen orientiert: Die drei, die ich mit genauer angeschaut habe: Piazza Paolo VI (früher Domplatz), Piazza della Vittoria und Piazza della Loggia. Die drei Plätze liegen nur durch kleine Gassen getrennt voneinander.

Beginnen wir mit der Piazza Paolo VI, dem eigentlichen Mittelpunkt der Altstadt. Der ursprüngliche Name, Piazza del Duomo, Domplatz, wurde nach dem Tod von Papst Paul VI., dem Papst aus der Provinz Brescia, geändert.

Der Brolettopalast (rechts) ist heute Sitz der Stadtverwaltung. Er ist ein Sammelsurium verschiedener Bauten.

Auch der Turm gehört dazu.

An den Gebäudekomplex des Brolettopalastes schliessen zuerst der neue Dom, dann der alte Dom an.

Der neue Dom wurde ab 1604 auf den Überresten der antiken Basilika San Pietro erbaut. Betreffend Bauverzögerung schlägt diese Kirche den Flughafen Berlin Brandenburg um ein Vielfaches. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wurde die Kathedrale erst 1825 fertiggestellt. Sie hat die dritthöchste Kuppel Italiens.

Der Neue Dom ist einschiffig und wurde mit dem Grundriss des griechischen Kreuzes errichtet. Im Innern birgt er eine Menge erstaunlicher Kulturgüter.

Der alte, runde Dom hat die Form einer zweistöckigen Torte, die in den Boden gesunken zu sein scheint: Das geräumige, runde Gebäude mit Einzelbogenfenstern hat einen kegelförmigen Aufbau. Eine Ausgrabung im Freien zeigt die ursprüngliche Ebene des antiken Einganges, der 1571 beseitigt und von dem ersetzt wurde, der noch heute in der Wand des Turmes besteht.

Die lebendige Atmosphäre des Platzes wird mit durch die umliegenden Cafés und Restaurants bestimmt. Neben den Touristen treffen sich hier auch gestylte, schöne Italiener zu einem Feierabend-Drink.

Den nächsten Platz, die Piazza della Loggia, erreichen wir von unserem Hotel Albergo Orologio aus in wenigen Schritten und entdecken die astronomische Uhr von hinten.

Die beiden Männer, die mit ihren Hämmern die Glocke schlagen, stammen aus dem Jahr 1581 und werden “Stundennarren” genannt. Sie schlagen bei jeder ganzen Stunde die Glocke.

Das astronomische Zifferblatt wurde von mehreren Künstlern verziert.

Dieser Platz lädt mit Bars und Restaurants zum Verweilen ein. Insbesondere schätzen Gäste und Einheimische das Flanieren unter den Arkaden.

Die Loggia, Sitz des Stadtrats von Brescia, dominiert den Platz, der auf dem Höhepunkt der Renaissance entworfen wurde.

Viele Geschäfte der Stadt befinden sich in den Strassen rund um die Piazza della Loggia, nach dem Shoppen kann man sich hier in den zahlreichen Bars und Strassencafés erholen.


Auf der Südseite des Platzes befindet sich das alte Monte di Piet Gebäude mit einer kleinen venezianischen Loggia.

Rund um den Platz befinden sich Gebäude aus dem 16. Jahrhundert im venezianischen Stil.

Bei Sonnenuntergang herrscht hier eine besondere Feierabendstimmung.

Der nächste Platz, die Piazza della Vittoria, der Siegesplatz, gefällt mir nicht, er erzählt von einer düsteren Zeit in Italien. Während des Faschismus in den ersten Jahren des letzten Jahrhunderts gestattete die Regierung den Abriss eines mittelalterlichen Viertels, womit viele historisch wertvolle Zeitzeugen rücksichtslos zerstört wurden: Das Handels- und Handwerksviertel der Stadt, „Le Pescherie“, aus dem 15. Jahrhundert sowie bedeutende Überreste der Römer und der Langobarden, die hier den Dogenpalast, die Curia Ducis, später „Cordusio“ genannt, errichtet hatten.

Die alte Post ist ein typisches Beispiel italienischer rationaler Architektur.

Mussolini, der Duce, hat den Platz am 1. 11. 1932 eingeweiht. Der Siegesplatz ist ein Spiegel der breit ausgeübten Unterwerfung in jener Zeit, politisch, sozial, kulturell, architektonisch.

Er zeugt vom Streben nach Macht, was in Brescia bereits die Römer zelebrierten.

Das archäologische Areal um das römische Forum und der Klosterkomplex von San Salvatore und Santa Giulia gehören zum Unesco Welterbe “Langobarden in Italien, Die Orte der Macht”.

Der archäologische Komplex ist einer der grössten und besser erhaltenen öffentlichen Bauten aus der römischen Antike.

Ein absolutes Muss ist der Besuch des Stadtmuseums Santa Giulia Museums mit einer Ausstellungsfläche von 14.000 Quadratmetern und mit über 12.000 Exponaten. Das Museum zur Stadtgeschichte bietet eine umfangreiche Sammlung – von der Bronzezeit bis ins Mittelalter.

Neben der Ausstellung sind auch die historischen Gebäude einen Besuch wert.

Hier kann man sich in die Zeit der Römer zurückversetzen.

Perfekt gestaltet sind die Villenreste mit den Mosaiken.

Die Fussböden zeigen eine fröhliche Farbigkeit.

In Norditalien hat die Mosaikkunst Tradition. Noch heute besuchen angehende Mosaik-Künstler auch aus der Schweiz die Scuola Mosaicisti del Friuli.

Am liebsten würde man selbst versuchen, ein Mosaik zu gestalten.

Solche Muster legen ist bestimmt eine meditative Arbeit.

Ich liebe aber auch die kleinen, verspielten Deko-Malereien.

Zum Schmunzeln ist die Malerei in der römischen Badeanlage.

Was man zum Museumsbesuch mitbringen sollte: VIEL Zeit.

Überhaupt: In Brescia kann man locker eine Woche bleiben und jeden Tag Neues entdecken. Nicht zuletzt das Lebensgefühl “Italianità“. Mit Kaffee, Drinks und der Kulinarik. Zudem ist Brescia ein guter Ausgangspunkt für den Besuch der norditalienischen Städte und des Gardasees.

Wie immer sind es die kleinen Geschichten, die mich begeistern und nachdenken lassen. Der Vogel rechts beschreibt meine Situation als Reisejournalistin in der Corona-Zeit: Belastet und absolut festgenagelt – obwohl man doch Flügel hätte.

Auch das eine kleine Geschichte!

Und da stand ich vor einer süssen kleinen Kapelle und konnte angesichts der Skulpturen eine wichtige Frage nicht beantworten: Wie werden Engel gezeugt und wie werden sie geboren? Schlüpfen sie wie hier ersichtlich aus einem Ei? Sie haben doch Flügel wie Vögel?

Dann lache ich über mich: Solche Fragen stellen sich andere wahrscheinlich nicht. Oder hast Du schon mal… und weisst Du die Antwort?

Es gibt nur zwei Weisen die Welt zu betrachten:
Entweder man glaubt,
dass nichts auf der Welt ein Wunder sei,
oder aber, dass es nichts als Wunder gibt.

Albert Einstein

Informationen
Visit Brescia
Gardasee
Hotel Orologio
Brescia Tourismus
Brescia
Museen

Dank
Ich danke Visit Brescia für die wunderschöne Reise an den Gardasee. Roberto Maggioni danke ich für die kompetente Organisation und die herzliche Begleitung. Mein besonderer Dank geht an Luisa Botticini. Sie hat uns mit viel Wissen, Charme und Humor Brescia ans Herz gelegt.

Musik
Italien und Opern gehören zusammen.
1 Hour of instrumental opera masterpieces – by Vincenzo Bellini e Gioacchino Rossini
1 Hour of the Best Instrumental opera music – by Gaetano Donizetti
Cecilia Bartoli – Bellini – Norma – Casta diva…
Italienische Opernmusik Klarinette und Klavier

Toto Cutugno – L’Italiano (1983)
Adriano Celentano – Il Tempo Se Ne Va
Azurro
Adriano Celentano

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Ein Buch weckt Erinnerungen und Sehnsucht

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Eingelegtes Gemüse, eingelegte Oliven

  1. ritanna

    Ich bin der Überzeugung, dass wir von lauter Wunder umgeben sind.
    Diese Bilder, Deine Erzählungen rühren an Fernweh/Heimweh, nach Geschichten und deren anzufassenden Bilder. Dank dem Blick der warmen Gemäuer spüre ich die Wärme af der Haut. Wunderbar all dies in Linse und Worte zu fassen.

  2. Rita

    “Herkunft der Engel”
    … nein ich kenne die Antwort nicht. Ist aber eine sehr interessante Frage.

    Liebe Regula, mit deinem wunderbaren Artikel machst du mich gluschtig auf das Reisen; ich sollte mich möglichst schnell impfen lassen…

  3. Proch

    Oh, könnte man doch wieder einmal unbeschwert reisen. Du machst uns so so viel Lust darauf.
    Katharina und Uwe

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