Zwei Schlösser in der Heimat von Toulouse-Lautrec

In Frankreich werden zurzeit Schlösser von innovativen Privatpersonen vor dem Zerfall bewahrt. Zwei habe ich auf meiner Reise auf den Spuren von Toulouse-Lautrec besucht, als ich von Toulouse über Albi nach Lautrec – und wieder nach Toulouse zurückfuhr.

Ich startete am Morgen in Albi und besuchte Lautrec. Danach wollte ich zu meinem Hotel, dem Schloss Salettes, fahren und von dort aus um 17.00 Uhr noch ein anderes Schloss, Mauriac, besuchen – beide Schlösser haben einen Bezug zur Familie Toulouse-Lautrec.

Das erste Ziel war also das Château de Salettes****, ein ehemaliger Besitz der Familie Toulouse-Lautrec – und heute ein Hotel. Hier würde ich meine Nacht verbringen – gegen Abend aber nochmals zu Schloss Mauriac fahren.

Die beiden Schlösser liegen in der “kleinen französischen Toskana” mit Weinbergen, Hügeln, Zypressen und einem verwirrenden Strassennetz.

Nächster Punkt auf meinem Programm: Das Château de Mauriac. Diese ehemalige Festung war das Anwesen von Alexis Tapié de Celeyan, dem Cousin von Toulouse-Lautrec. Hier wohnt die Familie des Malers Bernard Bistes, der in den letzten 50 Jahren das Schloss restauriert hat.

Zuversichtlich folgte ich meinem GPS Richtung Schlosshotel Salettes – bis es ausstieg. Die Frau in meinem Navy schwieg beharrlich.

Ich war mitten in der Pampa und ausgeschildert waren die kleinen Strassen sehr schlecht. Gefühlte zwei Stunden kreiste ich durch die schöne Landschaft. Ich kam auch am Château de Mauriac vorbei, wendete dort, ohne zu realisieren, dass ich das zweitnächste Ziel bereits erreicht hatte.
Schliesslich war ich nah an meinem Ziel: Baustelle, Strasse gesperrt. Wie beim Leiterlispiel: Zurück auf Feld Eins.

Auch das ist Reisen!

Als ich endlich im Schloss ankam, sagte ich entschieden: “Hier gehe ich heute nicht mehr weg. Ich bleibe hier.” Nochmals eine solche Irrfahrt wollte ich vermeiden.

Bleiben und geniessen wollte ich erst recht, als ich mein Zimmer bezog, zuoberst im trutzigen Hauptgebäude. Alle sechs Fenster mein Zimmer, meine Aussicht!

 

Ich nehme Euch mit auf einen Spaziergang durch mein “Zimmer”.

Als ich der freundlichen Hoteliere erklärte, dass ich meinen Termin im Château de Mauriac nicht wahrnehmen wolle, weil ich befürchtete, mich wieder hoffnungslos zu verirren, erklärte sie resolut: “Sie gehen hin, das lohnt sich und wenn sie aus den Fenstern ihres Zimmers schauen, sehen sie das Schloss.”

Tatsächlich – das sollte machbar sein! Ein Blick aus dem Fenster bewies es. Ich machte mich also nach dem ereignisreichen Tag in Albi und Lautrec nochmals auf.

Im Schlosshof sass eine gepflegte Dame. Ich sprach sie wegen meinem Termin an. Sie wisse von nichts. Ich zeigte meinen Reiseplan von Tourismus Tarn. Doch, den Herrn vom Tourismusbüro kenne sie. Sie rufe ihren Sohn an, ob er Zeit für mich habe. Ich dürfe unterdessen die Gemälde ihres Mannes anschauen. Also ist sie die Schlossherrin, schloss ich.

“Sehr gern, danke!” sagte ich. “Nein danke”, dachte ich. Denn als Lokaljournalistin muss ich zu oft über Kunstausstellungen von selbsternannten Künstlern schreiben.
Ich begab mich also in die Kellerräume.

Die vielen Bilder von Bernard Bistes füllten die Wände mehrerer Räume. Zeichnen und malen kann der Mann!

Ich schaute mir Blumen und Schuhe und viel mehr an.

Und liess die Räumlichkeiten auf mich wirken.

Endlich kam der Sohn. Voller Stolz zeigte er mir die Werke seines Vaters und erzählte mir die Geschichte von Schloss Mauriac.

Sein Vater Bernard Bistes wuchs in Albi, der Geburtsstadt von Toulouse-Lautrec auf. Er verbrachte viel Zeit im Museum und liess sich von den Bildern des bekannten Künstlers motivieren, selbst zu zeichnen und zu malen.

Er war ein Meister des französischen Klassizismus. Sein klarer und bescheidener Blick auf die Realität zeigte seine Grundeinstellung: gewöhnliche Themen der täglichen Intimität ohne Angst vor Banalität und mit viel Humor.
So hat er sich auch immer wieder selbst in seinen Bildern porträtiert. Hier auf dem Bett sitzend.

Bernard Bistes hat viele Jahre Generationen von Schülern für Kohle und Pinsel begeistert – dies in seiner unangepassten, oft skurrilen Art.
Mit viel sozialem Engagement hatte er junge Menschen in Laos und Uruguay unterrichtet.

Vor vielen Jahren kaufte er die Ruine des Schlosses Mauriac aus dem 15. Jahrhundert und begann, Raum für Raum zu renovieren.

Verkaufte er ein Bild, so erstand er ein antikes Möbelstück, renovierte einen Raum, den Wehrgang oder verschönerte den Garten.

Der Sohn zeigte mir voller Stolz eine Kassettendecke, die er zusammen mit seinem Vater mit botanischen Darstellungen bemalt hatte.

Nach der Besichtigungstour, die auch Touristen absolvieren, fragte der Sohn mich spontan: “Wollen Sie meinen Vater sehen?” Oups, ich wollte ja zurück in mein Traum-Hotelzimmer und sagte “Ja, sehr gern”, während ich dachte: “Nicht auch noch!”

Wir stiegen eine enge Treppe hoch. Blisters Sohn klopfte an eine Türe, öffnete sie einen Spalt und sagte: “Papa, Besuch für Dich!” Ich wartete auf eine Reaktion. Die kam in Form eines Pinsels, der von hinter der Türe direkt vor mein Gesicht schoss. “Wenn schon, dann lieber Blau”, stotterte ich.

Die Türe ging auf, ein Mann, der seine Augen wie Salvador Dalí rollte, erschien im Türspalt.

Irgendwie fanden wir schnell gemeinsame Themen. Ich – weiss nicht mehr warum – erwähnte ich den Volksstamm der Hmong, und er war begeistert, dass ich einiges über dieses asiatische Bergvolk und Laos, wo er gewirkt hatte, wusste. Nichts als Zufall, ich habe mehrmals über ein Schweizer Spitalprojekt in Laos geschrieben.

Bernard Bistes nahm sich viel Zeit für mich, zeigte mir seine Privatgemächer.

Er legte seine eigene Totenmaske in sein Bett, ich sollte sie fotografieren. Speziell!

Im Badezimmer bekam ich Mani Matters metaphysisches Gruseln – Spiegel, die Spiegel spiegelten, in den sich bereits Spiegel mehrfach spiegelten.

Er zeigte mir seine Küche, das Wohnzimmer… und ab und zu kam seine Frau. Ich verstand ihre Botschaft sehr gut und sagte, ich müsse nun zurück zum Hotel. Er aber wollte, dass ich blieb und sie sagte zu mir: “Er soll doch machen, was er will.” Na denn!

Bistes zeigte mir den Wehrgang.

Und die Zimmer, die man zum Übernachten mieten kann.

Hier kann man auch heiraten.

Er zeigte mir den Garten und lud mich schlussendlich ein, gemeinsam etwas zu trinken. Ich habe die Gespräche mit ihm sehr genossen und wir haben viel gelacht.

Ich besuchte ein Schloss – und lernte viele Welten kennen.

Der Künstler begleitete mich zum Auto. Im Park kamen wir an einer Bronze-Büste vorbei. “Das war meine Frau, als sie noch jung war”, erklärte er. Er kratzte etwas Vogelkot weg und sagte – nicht lieblos, aber mit seiner speziellen Art von Humor: “Die scheissen ihr einfach auf den Kopf, und ich habe dies mein Leben lang nicht gewagt!”

Diese Begegnung mit Bernard Bistes war ein Geschenk, das typisch ist, wenn man als Journalistin allein reist. Dieser Schlossbesuch ist ein schillernder Klunker in der Perlenkette wunderbarer Erlebnisse als Bloggerin.

Während ich den Blog jetzt, über ein Jahr nach dem Besuch in Mauriac schreibe, habe ich selbstverständlich recherchiert. Der Maler war bei meinem Besuch 78 Jahre alt. Und tatsächlich, ich fand seine Todesanzeige vom November 2020, gestorben an Corona.
Bernard Bistes wurde auf dem kleinen Friedhof von Mauriac mit seiner Palette und seinem Pinsel beigesetzt. Kunst, Malerei, die Renovierung dieses einzigartigen Schlosses war die Geschichte seines Lebens.

Ich machte mich auf zurück zu meinem Hotel, noch ganz erfüllt von diesem Schlossbesuch. In der Ferne warteten meine sechs Fenster auf mich.

Wieder im Hotel, machte ich mich schnell auf, um noch vor dem Abendessen den Hotelpark zu erforschen.

Statt bunte Sonnenschirme schützen Netze den Rasen und Gäste. Die Stangen für diesen Sonnenschutz sind begrünt. Man stelle sich vor, hier würden bunte Sonnenschirme mit aufgedruckter Bierreklame stehen.

An den Stangen sind kleine Vasen befestigt, worin frische Blumen eingestellt sind. Ich schätze solche liebevollen Details sehr.

Ich genoss den weiten Blick in die “kleine Toscana” und auf das Schwimmbad.

Unter der Markise war bereits gedeckt.

Ich wählte den Tisch am Rand, mit Blick in die Reben. Der Hotelier ist ein bekannter Weinproduzent – entsprechend bekam ich zu jedem Gang neuen Wein kredenzt.

Wie viele Gänge es waren, weiss ich heute nicht mehr. Auch nicht mehr, wie viele Weinsorten ich degustierte. Ich genoss es einfach.

Das nennt man wohl “den Speck durchs Maul ziehen”. Das mache ich sonst nie – aber hier konnte ich es einfach nicht lassen.

Ich liess nichts aus!

Manchmal werde ich gefragt, ob es nicht trist sei, auf einer Reise allein essen zu müssen. Ich schätze es, mit mir allein das Essen bewusst zu geniessen und dabei den Tag Revue passieren zu lassen. Immer mit dabei ist mein Tagebuch. Hier sortiere ich meine Erlebnisse. An diesem Tag, der in Albi begann, mich nach Lautrec brachte und an dem ich zwei Schlösser unterschiedlich, aber auf wunderschöne Art kennenlernen durfte, gab es viel zu schreiben.

Trotz der umfassenden Weindegustation bewältigte ich die Treppen zu meinem Zimmer ohne grössere Zwischenfälle.

Vor dem Schlafengehen schaute ich noch lange Richtung Schloss Mauriac und dachte an die humorvolle Gastfreundschaft von Bernard Bistes – ich gebe es zu, mein Blick war nicht mehr ganz klar. Ich war nicht nur erfüllt von auserlesenen Speisen und Weinen, ich hatte zahllose Bilder in meinem Kopf gesammelt, bin wunderbaren Menschen begegnet, hatte mich über das Navy geärgert und auch über mich selbst gelacht.

Menschen mit Humor
nehmen das Leben
mit einem Augenzwinkern ernst.

Helga Schäferling

Musik
Die Verbindung von Bild und Musik fasziniert mich, deshalb mag ich Filmmusik.
Ennio Morricone – Gabriel´s Oboe (clarinet version)
Filmmusik Mix

Hier die vorhergehenden Beiträge zu dieser Reise:
Toulouse, die rosa Stadt
Luftfahrtstadt Toulouse
Auf den Spuren von Toulouse-Lautrec
Von Toulouse nach Lautrec

Informationen
Tourismus Lautrec
Tourismus Tarn
Chocolat

Dank
Mein Dank geht an Caroline Ducasse und an Christian Riviere vom Comité Regional du Tourisme Occitanie für die Organisation dieser Reise.

Hoteltipps
Alchimy Albi
Château de Mauriac
Château de Salettes

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Ein Chalet in den Bergen

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Ein Buch weckt Erinnerungen und Sehnsucht

  1. Rita

    Liebe Bloggerin

    Danke für die Reise in und zwischen den Schlössern. Sprache und Bild lassen mich nah am Geschehen sein. Danke fürs Teilen.

    • Cordula

      Liebe Regula
      Eine wunderbare Reisegeschichte! Zwei Häuser mit viel Geschichte und im Besitz besonderer Menschen! Schön, dass du dort warst.

  2. Helena Neuhaus

    Liebe Regula, ganz herzlichen Dank für diesen wunderbaren Beitrag! Am liebsten würde ich gleich nach Toulouse und Albi fahren und die beiden fabelhaften Schlösser besuchen, die du so liebevoll und informativ beschreibst. Und: du bist nicht nur eine begabte Schreiberin, sondern auch eine fantastische Fotografin mit geübtem Blick für Details. Auf jeden Fall werde ich mir deinen Rat holen, sollte ich die Chance haben, im laufenden Jahr in diese Gegend zu reisen. Alles Gute dir, bleibe gesund und verwöhne uns noch lange mit deinem sympathischen Blog
    Helena

  3. ritanna

    Einen grandiosen Schatz hast Du besucht, wahrlich ausgegraben, nicht einfach für Dich behalten, sondern liebevoll uns mitgebracht, als Genuss des Lebens.

    So schön stimmungsvoll hast du Regula, den Künstler, sein Leben, seine künstlerische Schaffenskraft, sein vollendetes Werk uns näher gebracht. Er freut sich sicher auch jetzt von oben darüber! so schön und eindrücklich. Danke.

  4. Edda Neitz

    Liebe Regula,
    in der Tat – deine Fotos und Geschichten ermuntern einen dorthin zu reisen. Leider müssen wir damit noch warten! .Da ich auch als Reisejournalistin unterwegs bin, habe ich mich über deine Erfahrungen auch köstlich amüsiert. In der Landschaft herum fahren und das Ziel nicht finden, kenne ich. Auch unverhoffte Begegnungen, die auf dem allerersten Eindruck uninteressant erscheinen und dann doch zu einem unvergesslichen Gespräch führen, sind die schönen Erfahrungen der Einzelrecherche. Hast du noch so eine schöne Geschichte :-)) . Viele Grüße Edda

  5. Rita

    Beim Lesen der fröhlichen Texte und Betrachten der schönen Fotos wird mir bewusst, wie gern ich endlich wieder einmal in Frankreich herum reisen möchte.

  6. Maja

    Liebe Regula
    Wunderbar, wie du uns in diese von dir real erlebte farbige und die Sinne ansprechende Traumwelt entführst. Berührend auch, dass du diesen Künstler in seiner adligen nichtalltäglichen Umgebung portraitieren durftest, kurz vor seinem Tod. Schön, dass wir durch dich Gelegenheit haben für Momente in südlichen und aktuell “luxuriösen” Entdeckungsreisen zu verweilen. Der ehemalige Hausherr hätte bestimmt seine Freude, dass seine Kunst auch posthum durch eine “Connaiseuse” aus der Schweiz einem grösseren Kreis bekannt wird.
    Herzlichen Dank und Gruss
    Maja

  7. Rolf

    Danke für die „Schloss Reise“
    Kann nur hoffen, daß dies bald auch für uns möglich ist.
    Rolf von down Under

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