Naturwissen und wissenschaftliche Methoden

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Auf meiner Ostschweizer Gartenreise stand auch ein Besuch im Herborama in Mettendorf TG auf dem Programm.

Liselotte und Beat Baumgartner haben ihrem Leben in der Lebensmitte eine Wende gegeben. Sie haben ihren Traum verwirklicht, sich Heilkräutern nicht nur im Anlegen und Pflegen eines besonderen Gartens zu widmen, sondern ihr Wissen engagiert und professionell weiterzugeben.

Das Thema, eigene berufliche, vielleicht bequem gewordene Trampelpfade zu verlassen und mutig etwas Neues zu starten, war bereits vor vielen Jahren das Thema meines ersten Buches. Auch mein zweitletztes mit dem Titel “Beruflich  nochmals durchstarten” nimmt das Thema wieder auf.

Lilo und Beat sind Vorbilder für alle, die sich dank hervorragendem Bildungsrucksack, in der zweiten Lebenshälfte neue Ziele setzen und diese auch erreichen.

Lilo begann ihre Laufbahn – wie ich – als Primarlehrerin, studierte dann Biologie und holte sich verschiedene Diplome im Gesundheitsbereich und in der Erwachsenenbildung. Beat begann mit einer Laborantenlehre und schloss mit einem Doktorat am Pharmazeutischen Institut der ETH ab. Er schaut auf eine langjährige Tätigkeit als Leiter des Amtes für Umwelt des Kantons Thurgau zurück.

Und heute? Heute leben die beiden – nachdem sie ihre Kinder grossgezogen haben – in einem Haus auf dem Land, wo sie einen Schaugarten für Heilkräuter gestaltet haben und Kurse anbieten.

Wie bereits der Schlossherr (im Blogbeitrag zu Bauern- und Schlossgärten) wurde ihr Herborama vom Verein Bodenseegärten in der Kategorie “Historische oder zeitgenössische Parks und Gärten für den Bodenseegärten-Preis 2020” nominiert.

Im Herborama kann man Kräuter anschauen, anfühlen und beschnuppern und sie spielerisch-experimentell kennen lernen. Und man kann Kurse besuchen.

Eigentlich haben Baumgartners nicht EINEN, sondern mehrere Gärten, den Karlsgarten, einen Apothekergarten mit Beeten in „Organ-Form“ sowie ein Beet mit Küchen- und Teekräutern.

Karlsgarten
Beat erzählt: “Um 800 n.Chr. erliess Karl der Grosse eine Landgüterverordnung ‘Capitulare de villis,, in der 89 Pflanzenarten aufgeführt sind, die – sofern möglich – in all seinen Landgütern angebaut werden mussten. Auf diese Weise sollten alle Leute in seinem Reich – und natürlich auch sein eigenes Heer – sich gesund ernähren und mit Pflanzen selbst heilen können.”

Die meisten dieser Pflanzen kann man im Herborama anschauen.

Pflanzplan

Auf der ebenen Fläche vor dem Haus sind die Beete strahlenförmig ausgerichtet. In ihnen wachsen Pflanzen, die im “Capitulare de villis et curtis imperialibus”, einer Landgüterverordnung Karls des Grossen, 748 bis 814 n.Ch., in 70 Kapiteln geregelt wurde, was, wie und wann auf seinen Pfalzen etwas gemacht werden musste. Ursprung dieser Vorgabe war eine Hungersnot im Jahr 792.

Unter einer Pfalz verstand man einen im Früh- und Hochmittelalter entstandenen Wohnstützpunkt für den reisenden König, heute wäre es eine Residenz oder ein “privates Hotel für den König”. Ein solches stand im Frühmittelalter auf dem Zürcher Lindenhof.

Im Kapitel 70 der “Capitulare de villis et curtis imperialibus” ist eine Pflanzenliste mit 90 Symbol-, Nahrungs-, Würz-, Heil- und Nutzpflanzen aufgeführt. Diese Pflanzen sollten, wenn möglich, auf allen seinen Pfalzen angebaut werden. Also Pflanzen auf den Pfalzen – eine Herausforderung für Legastheniker. 🙂

Kurz zusammengefasst: Wir Zürcher kennen Karl den Grossen, weil er auf dem Grossmünster, damals Feilx und Regula Kirche, sitzt und wohlwollend auf unsere Stadt schaut – und weil man ihm nachsagt, er habe uns die Volksschule beschert – oder wenigstens einen Impuls gegeben, dass junge Menschen in einem schulischen Kontext eine Grundbildung geniessen können.

Karl hat sich in Europa ziemlich breit gemacht. Doch es waren nicht nur seine territorialen “Gewinne”, die ihn auch heute noch bekannt sein lassen. Er hat auch generell die Kultur gefördert – und wurde sogar vom Gegenpapst heiliggesprochen.

Doch zurück zum Karlsgarten von Lilo und Beat.

Bei der Anordnung der Pflanzen im Karlsgarten in Mettendorf waren einerseits Licht–und Bodenansprüche ausschlaggebend, anderseits kam Karls Kategorisierung zum Zug:
– Symbolpflanzen
– Nahrungspflanzen
– Würzpflanzen
– Heilpflanzen
– Nutzpflanzen
Dabei ist zu beachten, dass eine Pflanze verschiedenen Kategorien angehören kann.


Wer mehr wissen will: Herborama_Karlsgarten_Faltblatt

Lassen wir Paracelsus sprechen: “Wer nichts weiss, liebt nichts. Wer nichts tun kann, versteht nichts. Wer nichts versteht, ist nichts wert. Aber wer versteht, der liebt, bemerkt und sieht auch … Je mehr Erkenntnis einem Ding innewohnt, desto grösser ist die Liebe … Wer meint, alle Früchte würden gleichzeitig mit den Erdbeeren reif, versteht nichts von den Trauben.“
Das passt irgendwie zu Lilo und Beat.

Apothekergarten

Der Apothekergarten ist ein nach dem Körper des Menschen strukturierter Garten mit Beeten in Formen der Organe.
– Haut
– Immunsystem (Abwehrbeet)
– Nerven und Psyche (Seelenbeet)
– Lunge und Atmung (zwei Lungenbeete)
– Herz und Kreislauf (Herzbeet)
– Verdauung (Leberbeet, Magenbeet)
– Nieren und Harnwege
– Gebärmutter (Frauenbeet, gross)
– Prostata (Männerbeet, klein)

Da ist wirklich nicht viel!

Nieren und Harnwege.

Digestif.

Foto: Beat Baumgartner

Im Herzbeet findet sich Fingerhut, Digitalis. Man kann damit heilen und morden. Paracelsus: “Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.”

Kräuter für die psychische Befindlichkeit.

Pflanzen für Lunge und Atmung.

Und gleich beim Gartenstuhl Pflanzen für die Bewegung.
Wow, wenn ich Kräuter essen könnte, die wie Bewegung wirken – und ich mich nicht zu bewegen bräuchte. 🙂

Und zum Nachbargrundstück? 🙂

Dieser Organ-Garten ist noch neu – und muss eine Heidenarbeit beschert haben. Zuerst das Bauen der Beete in den Abhang, dann das Zusammentragen aller Pflanzen!

Küchen- und Teekräuter
Lilo hat nicht EIN Basilikum – Lilo hat viele Basilikümer, Basilikums, Basiliken???

Und vor allem weiss sie eine Menge über ihre Küchenpflanzen.

Ich bekam ein Basilikum geschenkt, das aussieht wie ein Bäumchen.

Lilo und Beat ziehen Pflanzen und verkaufen sie auch.

Neben der Pflege der Gärten beschäftigen sich Lilo und Beat vor allem mit ihrem Kursangenbot, das sie jetzt, nach dem Lockdown coronagerecht anbieten. Diese Kurs- und Bildungsangebote von 1 Tag bis 3 Jahren kann man ihrer Webseite entnehmen.

Was uns in den Kursräumen faszinierte: An jedem Arbeitsplatz steht ein Mikroskop. Da ich selbst nicht viel von Esoterik halte, gefällt mir der wissenschaftliche Zugang, den die beiden Biologen bieten.

Ihre Kompetenzen als Pädagogen und Andragogen erkennt man an den reichhaltigen, perfekt strukturierten Kursunterlagen.

Die Wirkung von Heilpflanzen kennen sie, weil sie über Jahrhunderte überlieferte Fakten wie beispielsweise dem im “Hortulus” überlieferten Heilpflanzenwissen, sehr genau kennen.

Auf der Insel Reichenau schrieb in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts der Mönch Walahfrid Strabo das Lehrgedicht „De cultura hortorum“, “Über den Gartenbau,” ein frühes botanisches Werk über einen Kräutergarten. Darin sind in Versform 23 Heilpflanzen und deren Anwendungsmöglichkeiten beschrieben.

Dieses fundierte Heilkräuterwissen reicht ihnen aber nicht, sie sind Naturwissenschaftler und untersuchen Pflanzen mit Dünnschichtchromatographie, um deren Wirkstoffe wissenschaftlich zu definieren.

Foto: Beat Baumgartner

Beat erklärte mir: “Bei der Dünnschichtchromatographie wird beispielsweise ein alkoholischer Pflanzenauszug auf ein dünnes Plättchen aufgetragen, das eine poröse Schicht aufweist. Dieses Plättchen wird dann in eine Trennkammer gestellt, die ein Laufmittel enthält. Nun steigt das Laufmittel in der porösen Schicht nach oben. Stoffe, die sich fest an der porösen Schicht „halten“, bleiben eher unten. Und solche, die sich nicht so fest an der Schicht „halten“, wandern nach oben.”

So kann die Zusammensetzung eines Pflanzenstoffgemischs sichtbar aufgetrennt werden.

Ringelblumenblätter. Foto: Beat Baumgartner

Foto Beat Baumgartner

“Früher wurde das Verfahren vor allem zum Trennen von farbigen Stoffen verwendet. Da dieses Plättchen dünn ist und Chromatographie von chroma (Farbe) und graphein (schreiben) kommt, heisst das Trennverfahren Dünnschichtchromatographie.”

Marianne, die mit mir zusammen die Gartenreise gemacht hat, war Feuer und Flamme. Sie will für ihre Lehrerkollegen einen gemeinsamen Tageskurs buchen.

Eine tolle Idee: sich mit anderen Pflanzenbegeisterten zusammentun und gemeinsam bei Lilo und Beat einen lehrreichen, fröhlichen Tag buchen oder zusammen mit Freundinnen statt dem Shopping-Fieber zu verfallen, selber Heil- und Kosmetikprodukte herstellen.

Wie alle Bodenseegärten kann man auch das Herborama auf Voranmeldung besichtigen.

Einmal mehr hat mich die Faszination gepackt: Wie interessant doch Menschen und ihre Gärten sind! Als Berufsberaterin weiss ich, dass Menschen, die sich beruflich mit Pflanzen befassen, meist feinfühlig, sensitiv sind. Dies, kombiniert mit der umfassenden praktischen Erfahrung und dem theoretischen, wissenschaftlichen Expertenwissen von Lilo und Beat macht ein Besuch im Herborama zu einem unvergesslichen, tiefgehenden und nachhaltigen Erlebnis.

To plant a garden
is to believe in tomorrow.

Audrey Hepburn

Informationen
Herborama
Kurse und Führungen
Bodenseegärten
Thurgauer Bauerngarten-Route

Musik
Rundgang durch den Garten

Dank
Lieben Dank an Lilo und Beat, mit einem grossen Kompliment für Eure Projekte. Ich freue mich auf ein Wiedersehen!
Ich danke Monika Grünenfelder, Verein Bodenseegärten und Thurgauer Bauerngarten-Route, für die Organisation dieser Reise.
Danke auch Marianne, die mich bereits auf der ersten Thurgauer Bauerngarten Reise begleitet hat.

Links zu meinen Beiträgen zur Thurgauer Bauengartenroute
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Buchtipps

Psyche des Menschen und Signatur der Heilpflanzen

Es gibt ein Netzwerk, das den ganzen Planeten umspannt und alle Lebewesen mit dem einen, grossen Lebensfluss verbindet. So gibt es auch eine Entsprechung zwischen den Entwicklungen und Transformationen der menschlichen Psyche und den Signaturen der Heilpflanzen. Als Signaturen werden bestimmte äussere Kennzeichen der Pflanzen bezeichnet, die auf ihr Wesen, ihre Heilwirkung hindeuten. Durch die Kenntnis dieser Zusammenhänge können Blockaden von psychischen Entwicklungsprozessen und deren Ausdruck in körperlichen Beschwerden mit dem Einsatz der richtigen Heilpflanzen aufgelöst werden. Im ersten Teil des Buches werden die Gesetzmässigkeiten zwischen Information, Psyche und Form erläutert, im zweiten Teil die psychischen Prozesse in Entsprechung zu den Heilpflanzen gesetzt.

Im Garten ist es niemals still
Pflanzen tauschen sich untereinander aus, sie kommunizieren mit Tieren und – welch ein Glück – sie reden auch mit uns Menschen. Bärbel Oftring gelingt es auf unterhaltsame Art, diese Sachverhalte verständlich zu machen. Neben der Theorie bietet die Gartenexpertin praktische Anleitungen, wie wir die Sprache der Pflanzen verstehen lernen, wie man seine Gartenpflanzen bei der Kommunikation untereinander unterstützt und wie zufriedene Pflanzen uns in bestimmten Situationen helfen können. Ein Buch voller Entdeckungen für neugierige HobbygärtnerInnen.

Gartenliebhaber finden weitere Gartenbücher im Kosmos Verlag.

 

 

 

Tipp: Pl@ntNet
Mit dem Handy Pflanzen bestimmen.

Mit dem kostenlosen Tool kann man Pflanzen besonders leicht und zielsicher bestimmen.
“Handhabung: Zunächst wählst du den Lebensraum der Pflanze (zum Beispiel Europa, Nordafrika, Karibik). Anschliessend fotografierst du einen Teil der Pflanze, zum Beispiel die Blüte. Um die Ergebnisse weiter einzugrenzen, kannst du weitere Fotos der Pflanze hinzufügen.
Ergebnisse: Da du bei dieser App mehrere Fotos zu einer Suchanfrage hinzufügen kannst, lassen sich Pflanzen sehr genau bestimmen. Spätestens mit Fotos mehrerer Pflanzenteile hat die App zuverlässig die richtige Pflanze erkannt.
Neben dem lateinischen Namen ist auch die deutsche Bezeichnung hinterlegt. Zudem ist der Wikipedia-Artikel zur Pflanze nur ein Klick entfernt.”
Download: https://play.google.com/store/apps/details?id=org.plantnet

Quelle: https://utopia.de/ratgeber/pflanzen-per-app-bestimmen-die-besten-tools/

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Brotkuchen und Rosenkränze

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Kunsthandwerk im Tessin – 1. Anne de Haas

  1. ritanna

    Es ist faszinierend, was unsere Vorfahren alles erprobt, beobachtet und Erfahrungen daraus gezogen haben. Diese gaben sie jeder Generation weiter. Wenn auch mit Aufschub der Industrialisierung, Digitalisierung des letzen Jahrhunderts; treffen die reichen Erfahrung, noch bereichert mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auch auf uns im 21zigsten Jahrhundert. Wir lernen neu wieder zu schätzen, was die Natur uns allen bietet.
    Es ist spannend. Vielen Dank. Du hast uns wieder vieles näher gebracht, das sich lohnt im Kleinen auch auf dem Balkon auszuprobieren.

  2. Elisabeth McGarrity

    Regula du hattest schon wieder einen supertag in diesem Garten, und man spürt es! Danke!

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