Dieter Burkle ist in Stuttgart aufgewachsen. Er verbrachte als Maschinenbauingenieur ein interessantes Berufsleben an verschiedenen Orten in Frankreich, zusammen mit seiner französischen Frau.
Er ist so alt, dass er als Student noch Philosophie-Vorlesungen bei Golo Mann, dem Bruder von Thomas Mann, besucht hat.
“Mich hat immer vieles interessiert”. Er ist so rüstig, weil er das Meer und die Berge liebt.
Beides findet er wie fast nirgendwo so ideal nah beieinander gelegen wie in Nizza im Departement “Alpes-Maritimes”.
Nizza liegt in der direkten Verlängerung des Mercantour-Massivs. Dessen harten Gesteine bilden ein besonders steiles, hochalpin wirkendes Relief mit mehreren über 3000 Meter hohen Gipfeln, gezackten Gipfelgraten und tief eingeschnittenen Tälern – ein Paradies für alpine Sportler wie Dieter Burkle.
Hier verbringt er nun seinen Lebensabend – noch immer vielseitig interessiert und begeisterungsfähig.
Sein immenses Wissen teilt er auf sympathische Art mit Touristen deutscher Sprache. Er führt sie als “Greeter” durch seine Wahlheimat an der Côte d’Azur.
Er kennt die Geschichte Nizzas und das Philosophische dringt immer mal wieder mit durch: “Unser Leben gehört in die neuste Tausendstelsekunde der Anwesenheit von Menschen hier, würde man die Entwicklung der Menschheit in einem Jahr zusammenfassen. Vor 400’000 Jahren hätte man hier frühe Verwandte treffen können: Menschen, die das Aufrechtgehen pflegten, um die Hände frei zu haben – eine clevere Entwicklung.”
Vor 190’000 bis 130’000 Jahren lebten Neandertaler in der Region des heutigen Nizzas. Die Jahrtausende vergingen mit wechselnden Völkern und schliesslich gaben im 7. Jahrhundert vor Christus Phokäer aus Kleinasien der Stadt den Namen “Nikaia”, nach der Siegesgöttin Nike.
Es folgten die Römer, dann die Ostgoten, es hat offensichtlich damals schon Menschen aus den unterschiedlichsten Völkern nach Nizza gezogen. Wie auch in den letzten beiden Jahrhunderten – bis heute.
Nizza im Herzogtum Savoyen im Italien des Jahrs 1494 (Bild oben links)
Nizza im Königreich Sardinien im Jahr 1796 (Bild oben rechts)
Italien im Jahr 1843 (Bild unten links)
Italien 1860 (Bild unten rechts)
Nizza war über Jahrhunderte an der Grenze zwischen Frankreich und Savoyen und Italien und wurde mehrmals belagert, sogar 1543 von den mit den Franzosen verbündeten Türken. Die Wäscherin Catherine Ségurane, eine Art Jeanne d’Arc, soll damals die Stadt gerettet haben, erzählte mir Dieter Burkle. Sie hatte aber eine viel weniger fromme Strategie: Die Legende besagt, dass sie die Bevölkerung der Stadt in die Schlacht führte und den Belagerungsarmeen ihr entblösstes Hinterteil entgegen streckte, was das muslimische Schamgefühl der türkischen Infanteristen so beleidigte, dass sie die Flucht ergriffen.
Wie es genau war, wird ein Geheimnis bleiben. Allerdings prangt an einer Hausmauer eine Kanonenkugel, abgeschossen von den Türken.
Dieter Burkle zeigte mir ein Marmorkreuz, das unscheinbar in einer Strasse vor sich hindämmert.
Es ging irgendwie um Grenzstreitigkeiten, bei denen ein Papst sich einmischte – denn er wollte die Franzosen nicht zu nahe in Italien haben. Ich habe eine Stunde recherchiert und nicht herausfinden können, worum es genau ging. Was beweist, dass mir Dieter Burkle interessante Details in Nizza gezeigt hat, die in keinem Führer stehen.
Indem er mir die unterschiedlichen Kirchen in Nizza zeigte, weckte er mein Verständnis für Nizza als eine Stadt, die vor allem “Touristen” aus aller Welt wegen der Landschaft, dem Meer und dem Klima nach Nizza lockte.
Im vorletzten Jahrhundert gehörten die Briten neben den Russen zu den ersten Touristen, die auf der Flucht vor dem kalten Winter das milde Klima am Mittelmeer entdeckten. “Chemin des Anglais” nannte man den von den Engländern 1824 angelegten rund zwei Meter schmalen, steinigen Weg dem Meer entlang.
Damals sollen sich so viele Engländer in Nizza aufgehalten haben, dass der französische Schriftsteller Alexandre Dumas (1802-1870) schrieb, Nizza sei im Grunde eine englische Stadt, in der man hin und wieder auch einen Einheimischen treffen könne.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Weg dann zur “Promenade der Engländer”.
Schnell fanden wir die anglikanische Kirche.
Und das Grab des schottischen anglikanischen Pfarrers, Theologen und Kirchenlieddichters Henry Frances Lyte, der infolge seiner Tuberkuloseerkrankung jeweils im Sommer in den Süden Frankreichs reiste.
Gern würde ich auch die Geschichte von Mabelle Sarah kennen, der Frau von Robert Leake und Mutter von Elaine, gestorben im Alter von 26 Jahren.
Oder die Lebensgeschichte von Emma Maxwell, Gattin von E. A. Lefèvre D. M. P., gestorben 1849.
Früh kamen auch reiche Russen aus dem Zarenreich nach Nizza. Hier die kleine, erste russisch-orthodoxe Kirche, die Église Saint-Nicolas-et-Sainte-Alexandra, gebaut in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Später wurde eine viel grössere St. Nikolaus Kirche gebaut, die grösste russisch-orthodoxe Kirche ausserhalb Russlands.
Dieter Burkle erzählte: Hier, in der alten russisch-orthodoxen Kirche, fanden ganz früher die Gottesdienste im ersten Stock statt, weil solche auf französischem Boden verboten waren. Mit gefiel das “Tänkeli” vor dem Eingang zur Kirche.
Hier findet man eine evangelische Kirche.
Die Gemeinschaft wird hier gepflegt.
Die Amerikaner haben hier ihre Kirche.
Auch Amerikaner genossen hier das mondäne Leben im alten Europa.
Selbstverständlich findet man auch französische Kirchen wie die Kathedrale Santa Reparata.
Oder Saint-Jacques-le-Majeur, wo man das Gefühl hat, vom Strassencafé direkt in die Kirche zu gelangen.
Wie vielerorts wird hier auch der “gloriosen Kinder” der Pfarrei gedacht – junge Männer, die fürs Vaterland im Krieg umkamen.
Es gibt auch eine grosse Synagoge und eine grosse Kathedrale – die haben wir nicht besucht. Auch nicht die 1515 erbaute Église St-Martin-St-Augustin, wo Luther eine Messe feierte.
Nicht nur die Kirchen deuten auf eine multinationale Kultur in Nizza, auch viele schöne Villen und Stadthäuser waren im Besitz von reichen Ausländern.
Hier eine Wohnung zu besitzen wäre nicht schlecht!
Man findet oft einen kaleidoskopartigen Baustilmix.
Manchmal erheischt man auch einen Blick ins Hausinnere.
Wer hier wohl wohnt?
Bekannt Namen findet man fast an jeder Strassenecke. Victor Hugo stolpere ich zurzeit dauernd vor die Füsse, auf Guernsey habe ich sein Haus besucht und in Toulouse werde ich übermorgen den “Markt Victor Hugo” anschauen.
Deutsche machten hier Station auf der Flucht vor den Nazis und auch Edith Piaf ist eine Strasse gewidmet.
Queen Victoria hat hier ihre Spuren hinterlassen und Ludwig I von Bayern starb 1868 in Nizza im Alter von 81 Jahren in einer für den Winter gemieteten Villa.
Auch an die Zeit im Zweiten Weltkrieg wird man erinnert.
Nicht verpassen darf man einen der verschiedenen Märkte in Nizza.
Die Strassen sind oft zweisprachig benannt und manchmal haben die Namen sogar unterschiedliche Bedeutungen.
In der Altstadt lässt es sich gemütlich bummeln und stimmungsvolle Lokale motivieren für Pausen.
Es gibt überall viel zu sehen – und irgendwann schmerzen die Füsse.
Breite Strassen und grosszügige Plätze sind gesäumt mit eleganten Einkaufsläden.
Ganz besonders gefallen hat der “Miroir d’Eau”.
Was früher ein Busbahnhof war, ist heute ein 1.2 km langer Stadtpark.
Hier findet man Einheimische und Touristen, die hier lesen, spielen oder einfach gemütlich miteinander über Gott und die Welt plaudern.
An heissen Tagen sind die Wasserspiele insbesondere bei Kindern sehr beliebt.
Voller Freunde sieht man sie auf diesen begehbaren Platten herumrennen. Sie lassen sich von Wasserstrahlen abkühlen.
Irgendwie zieht es einen immer wieder zum Meer zurück.
Der blaue Stuhl lädt nicht zum Sitzen ein.
Aber Mutige sonnen sich bereits im April den Bauch.
Man flaniert an der Promenade des Anglais und schaut zum Nobelhotel “Le Negresco”.
Man wundert sich nicht über die Präsenz von Soldaten, denn wo früher die Aristokratie aus Europa und Russland stolzierte, wo sich heute Tausende Touristen, Jogger und Inlineskater vergnügen, tötete ein Mann am 14. Juli 2016 über 80 Menschen und verletzte 200 zum Teil schwer, indem er mit einem Lastwagen in die Menschenmenge fuhr.
In Nizza kann man an einem Tag sehr viel erleben, erfährt einiges über die wechselhafte Geschichte der Stadt und lässt sich von Lebensgeschichten, die man ahnen kann, berühren.
Gegen Abend wird man müde, macht ein Nickerchen, um danach erholt wieder aufzubrechen und die kulinarischen Köstlichkeiten dieses kulturellen Schmelztiegels auszuloten.
Was ist Reisen?
Ein Ortswechsel?
Keineswegs!
Beim Reisen wechselt man seine Meinungen und Vorurteile.
Anatole France, 1844 – 1924
Musik
In Nizza ist eine Strasse nach Edith Piaf benannt.
Non, je ne regrette rien
Mylord
Mix – The Best of Edith Piaf
Kirchenlied des in Nizza beerdigten Henry Francis Lyte Abide with me
Informationen
Office de Tourisme Métropolitain Nice Côte d’Azur
Atout France
Dank
Mein Dank geht an Anne Gilet vom Office de Tourisme Métropolitain Nice Côte d’Azur für die Organisation meines Aufenthaltes in Nizza.
Besonders danke ich Dieter Burkle, Nizza wird für mich immer mit seinen Ausführungen verwoben sein.
Elisabeth danke ich für die erlebnisreiche Fahrt von Sanary nach Nizza und den gemeinsamen Abend dort.
Hotelempfehlung
Das Hotel “The Deck” liegt zentral, ist erschwinglich und hat ein tolles Konzept.
Reiseführer
Baedeker SMART Reiseführer Côte d’Azur
Marianne Gertsch-Schoch
Wunderschön… “üsi” Ferien-Côte seit 30 Jahren – und jetzt freue mich auf einen Abstecher nach Nizza, danke Regula! Auch für den Hoteltipp; diese Recherche liegt uns jeweils chly auf 🙂
ritanna
Blau Wasser Himmel und weisse kostbare Mauern, das zaubert Sommer ins Bewusstsein und den Wunsch, sich in warmen Sand unter einen Sonnenschirm zu legen, gen Himmel schauen und weiter träumen.
Beatrice
Macht grad an, einzutauchen!