Berlin, Fasanenstrasse

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Nach zwei Tagen Tourismus-Messebesuch freute ich mich auf einen Tag Shopping in Berlin. Frauentag, für mich allein!

Am Frauentag, 8. März, machte ganz Berlin BLAU!!!
Tote Hose! Alle Läden geschlossen. Ich: Frauenfrust!

Ich entschloss mich, mir einfach eine Strasse mit schönen Häusern genauer anzusehen und wählte eine etwas ruhigere Parallelstrasse zur Uhlandstrasse, wo ich im Hotel logierte.

Also ich lese Fasanenstrafze – des scharfen ssssssssssssssss nicht mächtig.

Karte von Fasanenstraße, Berlin, Deutschland

Die knapp zwei Kilometer lange Fasanenstrasse, braun markiert, ist eine Querstrasse zum “Kuh-Damm” und wird durch ein Viadukt von der S-Bahn (grau) überquert. Sie liegt in der Berliner City-West im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf.

An diesem Frauen-Tag herrschte April-Wetter. Die Fahrräder wurden reihenweise umgeweht.

Die Fasanenstrasse ist eine knapp zwei Kilometer lange Strasse. Ihren Namen trägt sie seit 1901 zur Erinnerung an eine 1755 von König Friedrich II. angelegte Fasanerie, die 1841 dem Zoologischen Garten weichen musste. Die Strasse wechselte ihre Namen: Ringstrasse II, Wolfenbütteler Strasse und Gravelotter Strasse. Man konnte hier also die Adresse wechseln, ohne umzuziehen.
Ich sah mir nicht mal einen Kilometer an – es gab so viel zu entdecken.

Zuerst konzentrierte ich mich einfach auf die ganzen Häuser, auf Form und Farbe. Das hellblaue Haus gefällt mir.

Das gelbe Haus ist freundlich.

Strahlend weisse Häuser sind immer schön.

Und auch ein eher düsteres, graues Haus ist bei genauerem Hinsehen hübsch. Und schon war ich bei den Details angelangt.

Nun begann ich, genauer hinzuschauen.

Dieses Fries erzählt eine ganze Geschichte. Freche Affen ziehen einen Löwen am Schwanz.

Ein Engel mit Pistole und Jagdhund – neu für mich!

Türen faszinieren mich immer wieder, egal ob in Rom, Dublin oder eben Berlin.

Ich freue mich immer, wenn ich “Spiegelbilder” entdecke.
Bei dieser Türe lese ich, dass Heinrich Mann 1932/33 hier gelebt hat.
Zu einer Zeit, an der sich auch der kommende Krieg und der Holocaust bereits ankündigte.

Ich bin froh, dass die Bäume noch kahl sind.
Man würde sonst vor lauter Bäumen die Schönheiten der Häuser nicht mehr sehen.

Ich sähe grünes Laub – vor allem grünes Laub und Autos. Berlin ist eine unerwartet grüne Stadt mit viel Bäumen und Parkanlagen.

Zwischen den parkierten Autos entdecke ich ein liebevoll gepflegtes Gärtchen.

Auch der Fasanenplatz ist eine kleine Grünanlage.

Hier entdecke ich einen alten Feuermelder – was er wohl alles erlebt hat?

Offensichtlich drohen den guten alten Litfasssäulen der Abbruch. Für mich gehören sie zum Stadtbild von Berlin.

Nun richte ich mein Augenmerk auf Balkone.

Die kleinen Tannenbäumchen stehen in Reih und Glied, wie grüne Stadtzwerge.

Die blauen Windschutzwände leuchten durch die Strasse. Wie liebevoll die Balkone dekoriert sind!

Auch ein solches Bild erzählt Geschichten. Wer da wohl lebt? Warum haben die Menschen eine grosse Vorliebe für Zäune? Das ist MEIN!

Ich blicke gegen den Himmel. Baumkronen und Dornröschenschlösser. Die verschiedenen Dachkonstruktionen faszinieren mich.

Wie die Räume hinter den Lukarnen wohl eingerichtet sind?

Dieses Ding auf dem Dach, reines Imponiergehabe ohne tieferen Sinn, muss festgehalten werden, damit es nicht wegfliegt. Vielleicht dachten die Leute, ich spinne, weil ich auf einer Strasse vor mich hinlachte. Weil ich aber strahlte, lächelten einige zurück. Lächeln herausfordern, das mache ich besonders gern.

Bild Axel Mauruszat

Weil mein Augenmerk in die Höhe gerichtet war, verpasste ich es, die vielen “Stolpersteine” zu sehen. Mahnmale für ermordete Juden.
Zuhause las ich nach und erfuhr, dass hier schlimme Dinge geschehen sind.

Das Jüdische Gemeindehaus an der Fasanenstrasse ist ein denkmalgeschütztes Gebäude. Es steht  als Symbol für den Neuanfang Jüdischen Lebens in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. In den Neubau wurde das alte Portal integriert.

Die Häuser sind wirklich einzigartig an der Fasanenstrasse. Aber sie haben auch eine happige Geschichte. Was könnte die Gaslaterne erzählen?

Die Figuren an den Fassaden erzählen was vom Frauenbild vergangener Zeiten.

Da in der Stadt am Frauentag “tote Hose” herrschte, entdeckte ich erst am nächsten Tag – und noch später beim Recherchieren zuhause – dass ich instinktiv eine geschichtsträchtige, interessante Strasse gewählt hatte.

Eine freundliche Verkäuferin machte mich auf das Käthe Kollwitz Museum an der Fasanenstrasse aufmerksam.

Ich musste zwar bezahlen, um fotografieren zu dürfen und muss aus rechtlichen Gründen die Fotos beschriften – aber der Besuch des Museums hat sich allemal gelohnt.

Käthe Kollwitz Museum Berlin

Käthe Kollwitz, 1867 – 1945, war eine deutsche Grafikerin, Malerin und Bildhauerin und zählt zu den bekanntesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.

Sie hat mich über Jahre immer wieder betroffen gemacht.

Wer sich für die Künstlerin interessiert, findet hier ihre Biografie.

Die Lithografien, Radierungen, Kupferstiche, Holzschnitte und Plastiken von Käthe Kollwitz sind von ernsten und realistischen persönlichen Lebensumständen und Erfahrungen geprägt. Sie entwickelte dabei ihren eigenen Kunststil, der durch den Expressionismus und Realismus beeinflusst wurde.

Käthe Kollwitz wurde in ihrem Elternhaus gefördert und bekam Unterricht von verschiedenen bekannten Künstlern: Rudolf Maurer, Karl Stauffer, Emil Neide.

Sie wurde mit Arno Holz und Gerhard Hauptmann bekannt. Dessen Theaterstück “Die Weber” motivierte sie zum Zyklus “Ein Weberaufstand”.

Käthe Kollwitz Museum Berlin

Käthe Kollwitz wurde vom Schweizer Maler Karl Stauffer unterrichtet. (Selbstbildnis von Stauffer oben links)

Käthe Kollwitz Museum Berlin

Bewegend sind die Skulpturen.

Käthe Kollwitz Museum Berlin

Tief betroffen machen mich die Darstellung des Elends der Arbeiter zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Brot! Hunger. Käthe Kollwitz prangerte soziale Missstände an und zog vehement Stellung gegen Krieg.

Käthe Kollwitz Museum Berlin

Käthe Kollwitz und ihr Mann, ein Arzt, verloren einen Sohn im ersten und einen Enkel im zweiten Weltkrieg.

Bedrückt verliess ich das Museum und freute mich auf das Café im Literaturhaus, das sich auf dem benachbarten Grundstück befindet. Vom Wintergarten blickt man direkt zum Museum, das im kommenden Jahr umziehen muss.

Ich fand ein Plätzchen und machte es mir gemütlich.

Hier im Café im Literaturhaus zu sitzen und mir alles von der Seele zu schreiben, machte mich wieder zufrieden mit der Welt und mir. Immer und überall schreibe ich, aus Lust am Schreiben, zum Ordnen meiner Gedanken und zu meinem Wohlbefinden.

Literatur findet man vielerorts an der Fasanenstrasse.

Denn in der Literatur spiegelt sich die Welt.
Gestern hörte ich den Satz von Kafka: “Bücher sind die Axt für das gefrorene Meer in uns.” Irgendwie ist er hängen geblieben.

Egal, in welcher Stadt man sich aufmacht, um eine Strasse zu erkunden – wenn man will, sieht man viele Besonderheiten, erfährt man viel über die Vergangenheit, liest man Geschichten beim genauen Betrachten.


Solches Wahrnehmen und Erleben bedeutet für mich ein Geschenk von intensiv gelebter Lebensqualität. Also los…

Sensibilität ist ein Stück Lebensqualität.

Karin Obendorfer

Musik
Weberlied von Heinrich Heine mit Zeichnungen von Käthe Kollwitz
Alltagsschlager aus dem Berlin der 20er und 30er Jahre

Heinrich Zille - Nicole BröhanHeinrich Zille widerspiegelt für mich die Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende. Zille war Grafiker, Maler und Fotograf. In seiner Kunst bevorzugte der Pinselheinrich genannte Zille Themen aus dem Berliner Volksleben, das er ebenso lokalpatriotisch wie sozialkritisch darstellte.

Sein Milljöh, Lied zu Heinrich Zille
Kurt Tucholsky, Lied über Heinrich Zille
Zille

Film
Berlin vor hundert Jahren
Berlin 1920 bis 1030

Hoteltipp

Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt und das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Sehr nette Mitarbeitende im Hotel!

Buchtipp

Reisen kennt kein Alter – Berlin

Berlin bietet so viel zu entdecken – egal, in welcher Altersklasse! Erstmalig führt ein Reiseführer für Silver Ager durch die sehenswertesten Viertel der deutschen Hauptstadt und verbindet die individuellen Highlights von Tim Raue, Udo Walz, Judith Haase uvm. Von Kulinarik über Kultur & Geschichte bis hin zu Shopping – die Themen sind so vielseitig wie die Zielgruppe selbst.

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Gefüllter Zopf und Apéro-Nüsse

  1. ritanna

    Berlin, Berlin, mein Gott, das will ich jetzt ganz genau unter die Lupe nehmen!
    Wieso – es könnte wirklich passieren, dass ich dorthin müsste.
    Meine Enkelin beginnt am 1.8.2019 in Berlin die dreijährige Ausbildung zur Maskenbildnerin. Grossartig Regula. Du hast für mich bereits rekognosziert.
    Die Bilder von dieser einen Strasse “Fasanenstrasse” rufen wirklich nach: “Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin! Faszinierend und grandios! die Lebens-Geschichten eines jeden Menschen in dieser Stadt, deren Strassen, Quartiere berühren immer wieder und mahnen! Nie wieder Krieg!
    Ich danke dir Regula für dieses eindringliche Portrait.

  2. Rita

    Da hast du wirklich eine spezielle Strasse erwischt! Mir gefällt vorallem das Bild mit den Bäumen, die sich in den Fenstern spiegeln.

  3. Kaufmann

    Viele schöne Berlin Impressionen! Was macht aber das Portrait von Karl Stauffer Bern im Käthe Kollwitz Museum?

    • Regula Zellweger

      Die Bilder zeigen persönliche Kontakte der Künstlerin. Sie wurde als junge Frau von ihm unterrichtet.

  4. Beatrice Straumann

    Frauentag alleine geht halt nicht, wäre auch gerne mitgekommen. Mein
    letzter Berlinbesuch liegt sicher 15 Jahre zurück. Damals startete ich in
    dieser Stadt zu Veloferien mit Twerenbold. Nun warte ich nicht mehr so
    lange, möchte doch die Fasanenstrasse unbedingt live erleben. Du hast
    eine Traumreise beschrieben und erlebt. Ich danke Dir.

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