Lachen und sein Komponist Joachim Raff

Joachim Raff habe ich in Facebook aufgegabelt. Das hätte sich der in Lachen SZ geborene Komponist zu Lebzeiten, 1822 bis 1882, nicht vorstellen können.

Res Marty, ein Berufsberaterkollege, setzt sich seit vielen Jahren mit Herzblut dafür ein, dass Joachim Raff nicht vergessen wird und seine Werke weiter aufgeführt werden. Dazu nutzt er auch die sozialen Medien.

Ich besuchte Res Marty an einem Winternachmittag im Raff-Archiv am Ort, wo Raff vor fast 200 Jahren als Lehrerssohn geboren wurde, in einem Haus ohne Unterkellerung, das als Sust, Zeug- und Schulhaus diente. Der See reichte damals bis direkt ans Haus.

Musikalisches Amuse-Bouche: Konzertstück for piano & orchestra in G-major, Op.76, “Ode An Den Frühling

Auf dem aufgeschütteten Seeplatz steht seit 1972 das Raff-Denkmal, geschaffen vom Brunner Bildhauer Josef Bisa.

Steht man am winterlichen See, denkt man an Huttens letzte Tage von C.F.Meyer.
Zehn Jahre vor Raffs Tod beschrieb der Zürcher Dichter die letzten Tage des Renaissance-Humanisten, Dichters und Publizisten Ulrich von Hutten. Ungebeugt rechtfertigt Hutten seinen Kampf für die Reformation und gegen das Papsttum. Zwingli hatte ihn aufgenommen.


Als Zürcherin habe ich mich schon immer gefragt, weshalb die March am oberen Zürichsee, dem Obersee, zum Kanton Schwyz gehört, zu “Usserschwyz”.
Wäre dem nicht so, hätten wir Zürcher nicht nur Wagner als unbeliebten Besucher unserer Stadt, sondern einen rechtschaffenen Komponisten, der Wagner die Stirne bot.

Im Raff-Archiv dient Wagner als Buchstütze.

Nichtsdestotrotz spürt man bei Raff den musikalischen Einfluss von Wagner.

Vergleich:
Siegfried Idylle von Wagner
“Abends” von Raff

Der Gemeindename “Lachen” hat übrigens nichts mit Erheiterung zu tun, auch nicht mit den vielen Lachmöwen, sondern geht zurück auf “Lache, Sumpf”.

Aus dem Raff-Archiv blickt man direkt auf den Hafen von Lachen. Ein Besuch des Raff-Archivs kann man bestens mit einer Schifffahrt verbinden.

Sehenswert in Lachen ist die katholische Pfarrkirche Heilig Kreuz. Sie wurde 1707–1711 erbaut und das Kloster Einsiedeln hatte wie bei so vielem in der Schweiz seine Finger drin.

Joachim Raffs Vater Franz Josef war aus dem Süddeutschen Raum in die Schweiz geflüchtet, er wollte sich nicht zwangsrekrutieren lassen. Dank der Liebe zu Katharina Schmid, der Tochter des Ochsenwirtes und Landammanns, wurde er in Lachen als Lehrer und Musiklehrer sesshaft – aber nicht wirklich glücklich.

Den Ochsen gibt es heute noch in Lachen (gelbes Haus) – jetzt aber neudeutsch OX genannt.

Lehrer verdienten damals nicht viel. Zudem war Vater Raff ein Liberaler – in der heute noch eher konservativen March. Konflikte waren vorprogrammiert.

Vater und Sohn waren beide ehrgeizig.
Bereits mit 10 Jahren vertrat Joachim seinen Vater an der Orgel. Joachim Raff wurde in diesem Alter ins Internat nach Rottweil geschickt – zu Fuss! Ein Weg von rund 150 Kilometern.

Das Leben ihres Vaters hat Helene Raff, 1865 – 1942, in einer Biografie beschrieben. Sie war Malerin, Schriftstellerin und Sagensammlerin. Eine tiefe Freundschaft verband sie mit Henrik Ibsen. Über ihr Leben würde ich gern mehr wissen.
Joachim Raff hat übrigens zu ihren Texten die Kantate “Die Tageszeiten” und den Liederzyklus “Blondel de Nesl” komponiert. Das Pseudonym Helge Heldt sollte verschleiern, dass es sich dabei um Werke seiner Tochter, die noch im Teenageralter war, handelte.

Doch zurück zu Joachim Raffs Lebenslauf. Vorerst wurde sein Vater am Schwyzer Kollegium als Lehrer tätig und sein Sohn besuchte nun auch dort die Schule.

Mit 18 Jahren, 1840, dem Hochzeitsjahr von Clara und Robert Schumann, wurde er Lehrer in Rapperswil und komponierte seine ersten Stücke. Der junge Heisssporn war überzeugter Demokrat und machte sich auch oft unbeliebt mit seinen politischen Äusserungen. Opportunismus war nicht sein Ding.

Schicksalhaft war sein Besuch eines Konzertes von Franz Liszt, zu dem er zu spät kam.

Liszt erkannte sein Talent und stellte ihn ein. So kam der arme Lehrerssohn zu einer Übernachtung in Baur au Lac in Zürich.

Damit endete seine Zeit in der Schweiz.

Er besuchte Lachen noch zwei Mal.

Mit Hans von Bülow gewann Raff 1847/48 einen Freund fürs Leben.

Raff wollte aber nicht “Kofferträger” von Liszt sein, sondern sein eigenes Talent weiterentwickeln.

In Stuttgart fristete er ein ärmliches Leben als Musiklehrer.

Schliesslich nahm er das Angebot von Liszt doch wahr. Er übersiedelte nach Weimar und instrumentierte vor allem Liszts Orchesterwerke. Das brachte ihm keine Lorbeeren, aber viel Erfahrung.

Raffs Oper König Alfred wurde vom Publikum gut aufgenommen.

Weimar war in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts ein kultureller Knotenpunkt. Man nennt die Zeit “Silbernes Zeitalter”, das auf das Goldene, die Weimarer Klassik mit Wieland, Goethe, Herder und Schiller folgte.

1842 wurde Franz Liszt zum Kapellmeister nach Weimar berufen.

1849 floh Richard Wagner zu seinem späteren Schwiegervater nach Weimar, bevor er sich in die Schweiz absetzte. Liszt setzte 1850 die Uraufführung von Wagners Lohengrin in Weimar durch.

Musiker, Dichter und Künstler konnten Werke schaffen, weil Mäzene ihnen dies ermöglichten.

Die Kompositionen wurden Durchlauchten und Hoheiten gewidmet.

In Weimar lernte Raff Doris Genast kennen, die er 1859 heiratete. Raff hatte ein tolerantes Frauenbild. Sie teilten Erwerbsarbeit und Hausarbeit.

Das Paar hatte eine Tochter, Helene, die ihre Mutter (links) und ihre Tante malte.

Helene Raff wuchs in einem Elternhaus in Wiesbaden auf, wo sie viele bekannte Persönlichkeiten ihrer Zeit kennen lernen durfte.

Diese Begegnungen hielt sie in der Biografie “Blätter vom Lebensbaum” fest.

1871 bis 1876 erlebte Raff in Wiesbaden seine musikalisch fruchtsamste Zeit. Hier entstanden auch Opern.

1877 wurde er Direktor des Konservatoriums in Frankfurt – was ihm viele organisatorische und administrative Arbeit bescherte, die er mit seiner für ihn typischen Zuverlässigkeit und Akribie erledigte.

1881 reist er zum letzten Mal nach Weimar, wo Liszt einen “Raff-Nachmittag” organisierte.

1882 starb Raff in Frankfurt.

Seine Musik lebt weiter.

Im Joachim-Raff-Archiv in Lachen ist ein Raff-Kompetenzzentrum entstanden.

Res Marty, Präsident der Joachim-Raff-Gesellschaft, und Severin Kolb, Leiter des Joachim-Raff-Archivs, nahmen sich Zeit für uns.

Jedes Bild, jedes Notenblatt und jedes Konzertprogramm erzählt eine Geschichte.

Res und ich hatten beide ein paar Semester Graphologie genossen und wir diskutierten über Raffs Schrift, zu der es sogar ein Gutachten eines Experten gibt.

Wir hörten Geschichten und Erklärungen zu den Exponaten.

Das Hammerklavier mit Baujahr zu Lebzeiten von Raff wird manchmal bespielt.

Ein Archiv-Besuch ist nicht nur für Musik-Experten bereichernd.


Ich schätzte vor allem das Vernetzen von für Raff bedeutenden Persönlichkeiten und Orte mit eigenen Reisen beispielsweise nach Weimar und mit persönlichem Wissen und Erinnerungen.
Liszt hat mich bereits als Kind begleitet, weil mein Bruder mit dessen ungarischer Rhapsodie Nr. 2 als Gymnasiast einen Wettbewerb gewann.

Clara Schumann und Fanny Mendelssohn haben mich schon immer als starke Frauen in der damaligen Gesellschaft fasziniert.

Ich verglich meine Lieblingskompositionen mit Werken von Raff mit gleichem Titel.
Beipielsweise die Alpensinfonie von Richard Strauss, die ich gern morgens ganz früh im Chalet im Wallis höre, mit Raffs 7. Sinfonie “In den Alpen“.
Oder Smetanas Ma Vlast, Mein Vaterland, Musik meiner Kindheit, mit Raffs 1. Sinfonie An mein Heimatland.

Lachen habe ich bisher kaum gekannt.

Jetzt hat Lachen eine tiefe Bedeutung für mich, ist gekoppelt an die schöne Landschaft am See und an die wunderbare Musik von Raff.

Donnerwetter, war der Raff gescheit, und dabei gut!

Hans von Bülow

Musik
Wintersinfonie
Cellokonzert
Symphony no. 5 “Lenore” Op. 177 (1870)
Nachtrag: Ich freue mich immer sehr über Reaktionen. Die Kulturjournalistin Magdalene Melchers sandte mit eine Mail: …möchte ich Ihnen kurz danken für Ihre Bündelung und Ihnen eine Höreinladung schicken – nein sogar zwei, mit und über Joachim Raff
Basler Madrigalisten
Joachim Raff – Wiederentdeckung eines großen Komponisten

Informationen
Öffnungszeiten: Samstag 10.00 bis 17.00 Uhr
Individuelle Öffnungszeiten, Führungen, Spezialanlässe: Kontakt Res Marty, Präsident Joachim-Raff-Gesellschaft (079 212 98 25) oder Severin Kolb, Leiter Joachim-Raff-Archiv (076 538 11 54)
Joachim-Raff-Gesellschaft
Veranstaltungen

Flyer Raff Archiv

Dank
Ich danke Res und Severin für die Führung und Rita für die Begleitung.

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  1. Mary

    Sehr schöne Fotos!

  2. ritanna

    Einmalig! Ich lese und höre von Raff zum ersten Mal.
    Lachen SZ, von dort kamen in den fünfziger / sechziger Jahren die massiven handwerklich einmalig schön gearbeiteten Stubenbuffets und Stühle. Die Stühle sind unverkennbar. Ich sah gerade letztes Wochenende im Erlacher Hof Theater vom Feinsten, vergleichbar mit Opern Operetten verwoben mit Geschichten.
    Da erstaunts nicht, dass Joachim Raff solch, ich sage “elegante ” Musik komponierte. Für mich als Hörerlebnis siedle ich Raffs Komposition im Vergleich bei Jean Sibelius an. Musik zum Träumen.

    • Res Marty

      Danke für den schönen, feinsinnigen und kompetenten Kommentar, alles kann ich unterschreiben. Herzlich willkommen im Archiv!!–

  3. Simon Kannenberg

    Beim Lesen blieb ich bei dem Satz zu Helene Raff hängen: “Über ihr Leben würde ich gern mehr wissen.” Dazu empfehle ich gerne die Lektüre meines Artikels über sie unter http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Helene_Raff
    Helene Raff war eine wirklich beeindruckende Frauengestalt in einer spannenden Zeit der Umbrüche!

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