Verflixte Neugier

Print Friendly, PDF & Email

Es gibt Kinderbücher, die kann ich immer wieder anschauen. Beispielsweise “Wenn das der Weihnachtsmann wüsste!” von Amanda Vesey.

Das Buch erschien 1987 und ist noch auf Amazon erhältlich. Wer mich kennt weiss, dass Bilderbücher eine meiner grossen Leidenschaften sind. Dieses Buch habe ich meinen Kindern erzählt. Immer wieder. Denn mit Thomas konnten wir uns alle identifizieren. Thomas ist ein neugieriges Katzenkind.

Unschwer kann man die Körpersprache von Thomas verstehen.
Er hat etwas angestellt, das ihm mehr als peinlich ist. Und von dem er selber weiss, dass es nicht in Ordnung war.

Ich bewundere die englische Autorin, die mit wenigen Zeichenstrichen ein Gefühl ausdrücken kann.

Nun aber zur Geschichte:

Für Kinder ist das Verhalten von Erwachsenen vor Weihnachten nicht immer ganz verständlich. Thomas’ Mam kauft ein. Wie verrückt.
Der kleinen Schwester stinkt das Einkaufen gewaltig. Thomas aber stösst mit Hingabe den Kinderwagen, um seine Mutter zu entlasten. Denn Thomas will wirklich ein braver Junge sein. Nur gelingt ihm dies nicht immer.
Wer kennt das nicht aus eigener Erfahrung?

Vor Weihnachten klingelt der Briefträger und bringt geheimnisvolle Pakete…

… welche die Mutter dann schnell im blauen Schrank versteckt. Überhaupt tut sie dauernd so geheimnisvoll. Thomas wird weggeschickt, wenn er zusehen will, was Mam da mit buntem Papier raschelt und wie sie mit Bändern hantiert.

Auch wenn Thomas es nicht sehen sollte: Der blaue Schrank neben seiner Kinderzimmertüre füllt sich zusehends.

Abends kann Thomas schlecht einschlafen – eine ganz wichtige Frage beschäftigt ihn: Wird er zu Weihnachten das knallrote Fahrrad bekommen, das er sich so sehr wünscht?

Diese Frage lässt ihn nachts erwachen. Und nun bekommt die Neugier Oberhand. Leise schleicht er sich zum blauen Schrank. Nur kurz schauen, ob das Fahrrad schon drin ist.

Aber die Geschenke sind ja alle eingepackt. Da kann man nicht sehen, ob das Fahrrad drin ist. Eines – nur ein einziges Paket will Tom öffnen. Und reingucken. Eine Küchenmaschine! Nur noch eines. Eine doofe Lampe! Auch kein Fahrrad.

Noch eines…

Er findet eine Pralinenschachtel. Ob die wohl gut sind? Parfüm findet er und eine Flasche Whisky, Handschuhe und eine Krawatte – nur kein Fahrrad.

Noch das letzte…

Als Thomas mitten in zerknülltem Geschenkpapier sitzt und alle Geschenke ausgepackt sind, realisiert er, was er getan hat. Er stopft alles schnell in den Schrank und schliesst die Türe entgegen aller Widerstände.

Nun plagt Thomas das schlechte Gewissen. Er träumt von riesengrossen Paketen, die ihn böse anstarren. Als er schliesslich den Schlaf gefunden hat, reisst ihn die Stimme seines Vaters wieder knallhart in die Gegenwart zurück.

Bei dieser Doppelseite muss ich immer lachen. Typisches Verhalten von Eltern. Der Vater schimpft wütend, springt dabei auf und ab. Die Mutter weint: “Warum hat mir dieses Kind das das angetan?” Hat Thomas nicht IHR angetan, er wollte der Sache mit dem Fahrrad einfach auf den Grund gehen. Aber Erwachsene interpretieren immer gern so, dass andere ein schlechtes Gewissen haben müssen.

Schliesslich geht Vater zur Arbeit, nachdem er lauthals das Urteil gefällt hat: Thomas bekommt dieses Jahr kein Weihnachtsgeschenk!

Mutter hört auf zu lamentieren und sucht eine praktische Lösung. Tom muss helfen, die Geschenke wieder einzupacken. Nur mit den Geschenkanhängern gibt es kleine Probleme.

Thomas gibt sich Mühe. Er ist demonstrativ ein guter Junge. Hilft putzen und spielt sogar mit der kleinen Schwester mit Puppen. Igitt!

Zum Glück ist die Geschichte aus England. Bei uns hätte sich das ernsthafte Christkind vielleicht der Strafexpedition des Vaters angeschlossen, der englische, humorvolle Weihnachtsmann aber muss in den Bart gekichert haben und der Strumpf an Thomas’ Bett ist am Morgen gefüllt.

Die Verwandtschaft trudelt schwer beladen zum Weihnachtsfest ein, aber – kein Geschenk für Thomas! Zart besaitet fragt Oma laut: Weshalb ist Thomas denn so ruhig?

Beim Geschenke auspacken gibt es dann doch etwas Tumult. Waren die Zigarren wirklich für Tante Paula, das rosa Négligé für Opa und das süsslich duftende Veilchenparfüm für Papa? Thomas und seine Mam werfen sich vielsagende Blicke zu – und versucht Mam nicht, sich das Lachen zu verkneifen? Es ist schliesslich Weihnachten.

So brutal kann das Leben nicht sein! “Schau mal unter der Treppe”, rät Papa seinem Sohn. Und wirklich, da steht das knallrote, heissersehnte Fahrrad. Thomas rast um den Weihnachtsbaum und die Erwachsenen bringen die kleine Schwester in Sicherheit. Weihnachten ist angekommen!

Freude durch Schenken ist das eigentliche Geschenk.

Manfred Hinrich, 1926 – 2015

Musik
Kinderszenen von Robert Schumann
Georges Bizet: Kinderspiele

Here comes Santa Claus (Weihnachtslied, zu dem ich jeweils mit meinem kleinen Sohn tanzte. Irgendwann war er grösser als ich. Jetzt reist er durch Südamerika und kommt erst nächstes Jahr zurück.)

Link zum 18. Dezember 2017

Zurück

Kuschliges Dreieckstuch

Nächster Beitrag

Schneesterne häkeln

  1. Mary

    Jöööh!!!!!!

  2. Camilla

    Da erwachen Kindheitserinnerungen 🤗

  3. ritanna

    tut mir leid, da komme ich nicht mit, ich meine ins Ausland um erst nächstes Jahr wieder heimzukommen.
    Schöne Bescherung!

  4. elfi

    herzergreifend, dass er das Fahrrad doch noch bekommen hat, bei so viel Panik vorher!

Schreibe einen Kommentar

© Regula Zellweger | Alt werden kann ich später | Datenschutzerklärung| Impressum

Contact Us

Neue Beiträge abonnieren

Hier registrieren, um automatisch benachrichtigt zu werden.