11. Dezember, Adventskalender 2018
Auf der trutzigen, die Stadt dominierenden Festung in Kufstein steht eine Orgel. Die grösste Freiluftorgel der Welt.
Die “Heldenorgel” wird täglich um 12 Uhr eine Viertelstunde lang gespielt, im Juli und im August auch um 8.00 Uhr. Akustisch hat sie eine Reichweite von bis zu 10 Kilometern, je nach Wetterbedingungen.
Die Orgel wurde im ursprünglichen Sinn im Gedenken an die Gefallenen beider Weltkriege gespielt, das letzte Stück ist denn auch heute noch täglich das bekannte Lied “Ich hatt einen Kameraden”.
Man wurde sich im Laufe der Zeit immer mehr bewusst, dass nicht nur Soldaten Opfer sein können. Im jedem Krieg gehören auch Frauen, Kinder und alte Menschen zu den Opfern.
Deshalb wird seit 1981 mit dem Orgelspiel generell aller Opfer von Gewalt gedacht.
Die Geschichte der Orgel begann mit dem Dichter des Kaiserjägerliedes, Max Depolo, 1888-1971.
Die Tiroler Kaiserjäger jagten nicht den Kaiser, sondern sie waren eine Elitetruppe. In ihr kämpften tapfere, nationalistisch orientierte Männer für Kaiser und Vaterland.
Max Depolo, Leutnant der Kaiserjäger und gebürtiger Slowene, äusserte 1924 im Kreise von Freunden seine Absicht, eine Orgel als klingendes Mahnmal für die gefallenen Soldaten des 1. Weltkrieges zu errichten.
Die Absicht Depolos fand begeistere Zustimmung. Es folgten nationalistisch geprägte Spendenaufrufe. Mitten in der Weltwirtschaftskrise fanden sich 1556 Spender, darunter viele Ortsgruppen von Turnerbünden, Alpen- und Gesangsvereinen und Kriegervereinen.
1930 waren genügend Mittel beisammen, sodass der Bau der Orgel beginnen konnte.
Zur Einweihung 1931 strömten 20’000 Festteilnehmer nach Kufstein.
Die Orgel wurde später von den Nationalsozialisten für ihre Propaganda missbraucht, sie erklang beispielsweise zu Ehren von Hitlers Geburtstag.
Die Pfeifen der grössten Freiorgel der Welt sind im Bürgerturm der Festung Kufstein untergebracht. Das Orgelwerk war ursprünglich zweimanualig mit 26 Registern und 1813 Pfeifen ausgestattet.
1971 wurde die Orgel saniert. Dabei wurde der Klangkörper auf vier Manuale mit 46 klingenden Registern auf 4307 Pfeifen erweitert.
2009 unterzog man die Orgel einer Generalsanierung und erweiterte sie auf 65 Register und 4948 Pfeifen.
Der Spieltisch der Orgel befindet sich im Festungsneuhof, weit unter den Orgelpfeifen, was für Organisten eine grosse Herausforderung bedeutet. Sie drücken die Tasten – und erst zeitverzögert gelangt der Klang an ihre Ohren.
Einerseits erschwert die grosse Tonverzögerung von einer Drittelsekunde infolge der Trägheit des Schalls das Spiel, anderseits ist es wegen der weitreichenden Hörbarkeit nicht möglich, auf dieser Orgel zu üben.
Traditionell wird jedes Spiel zur Mittagszeit mit dem bekannten Lied “Ich hatt einen Kameraden” beendet.
Der gute Kamerad wurde 1809 von Ludwig Uhland in Tübingen gedichtet, 1825 vertonte ihn Friedrich Silch auf der Basis eines Schweizer Volksliedes.
Als Primarschülerin musste ich in den 60-er Jahren dieses Lied in der Schule singen, unser Lehrer, ein ungerechter Schläger, konnte stundenlang von seinen Heldentaten im Aktivdienst im 2. Weltkrieg erzählen. Deshalb ist für mich persönlich dieses Lied gekoppelt an den Machtmissbrauch von Stärkeren gegenüber Schwächeren.
Andere verbinden dieses Lied mit militärischen Beerdigungen.
Oder es wird auch von Kriegsgegnern gebraucht. Man kann es als Verherrlichung des Soldatenheldentums sehen, oder es aber als einen Hinweis auf die Unsinnigkeit von Kriegen verstehen.
Mein Text ist nicht gerade vorweihnachtlich gestimmt.
Aber im Adventskalender dürfen auch mal solche Themen zur Sprache kommen.
Die Orgel selbst ist wirklich eine Reise nach Kufstein wert.
Kufstein ist eine schöne Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten, inmitten einer traumhaften Landschaft. Doch davon mehr in einem weiteren Blogbeitrag.
Wenn man durch Kufstein und die beiden Weihnachtsmärkte – einer ist in der Stadt, der andere auf der Burg – flaniert, berührt es tief, wenn plötzlich die Orgel mit Weihnachtsweisen erklingt.
Man bleibt stehen, wird nachdenklich und geniesst die Musik.
Was ist ein Held ohne Menschenliebe?
Gotthold Ephraim Lessing, 1729 – 1781
Musik
Hab’s verwackelt, aber man kann die Stimmung nachempfinden.
Spiel der Orgel, Ich hatt einen Kameraden
Kaiserjägerlied mit Text von Max Depolo
Kufsteiner Heldenorgel spielt “Miss Marple” Thema
Alt- Österreichs Volkshymne
Ich hatt einen Kameraden, gesungen, mit Text
Film aus den 60-er Jahren zur Orgel
Artikel zum Kufsteinerland von RZ
Dank
Ich bedanke mich bei meinen Gastgeberinnen Margret Winkler und Christine Petter vom TVB Kufsteinerland für die Organisation und die Begleitung meines Aufenthalts in Kufstein.
Ein herzliches Danke an eine der besten Guides, die ich je erlebt habe. Lisbeth Bellinger, machte eine hervorragende Führung durch die Burg.
Daniel Predota von Österreich Werbung Schweiz, der SBB und der ÖBB danke ich für die Bahnreise durch Österreich.
Link zum 11. Dezember 2017
Mary
Sehr beeindruckend..Danke!
ritanna
Ich zolle Osterreich grossen Respekt. Diese Orgeltöne aus Kufstein, wie viele Spender beteiligten sich an diesem Gedenken. Wuchtig, gewaltig die Idee, der Ton über alle Dächer und bei jeder Sanierung stellten sich noch mehr Pfeifen nebeneinander bis zum heutigen Tag. Einfach mächtig wie das Volk über sich steht. Dabei, wie witzelten wir Schweizer zu Beginn der PC-Monitoren, dass eben die Österreicher mit Tipex den Tippfehler auf der Scheibe behoben !
Also wirklich, ausser Kufsteiner Lied und Hansi Hinterseer habe ich nichts von Kufstein gekannt. Da muss ich ja wirklich hin.
Und mit der Musik “Ich hatt’einen Kameraden” bin ich schlussendlich beim Donauwalzer 1.1.2016 gelandet – das heisst – noch bevor Weihnachten – bereits auf Wolke sieben.
Sonja
Vielen Dank für diesen sehr interessanten Bericht über Kufstein. Ich kannte den Hintergrund des Orgelspiels nicht um so mehr freut es mich dies zu lesen. Es ist sehr beeindruckend das Orgelspiel zu hören und Kufstein ist es wert zu besuchen!