Gommer Gin-Frauen

In Facebook stolperte ich immer wieder über wunderschöne Fotos:
Eine Ginflasche in der Walliser Bergwelt. “cristallo gommer gin”.
Ich wurde neugierig.

Neugier ist oft der Schlüssel zu wunderbaren Erlebnissen. Ich schrieb die Gommer Gin-Frauen an – und wir verabredeten, dass ich zwei der Frauen, Mutter und Tochter, Margrit und Christine Schmidhalter, im Walliser Dorf Reckingen in der Gemeinde Goms einmal auf dem Weg nach Bellwald besuchen würde.

Christine Schmidhalter, HR-Frau, die in Bern lebt und arbeitet, ist in Reckingen aufgewachsen – und verbringt auch heute mit ihrer Familie Ferien und Wochenenden in einer traumhaften Wohnung im Elternhaus.

Seit vielen Jahren fahre ich durch Reckingen, wenn ich von der Furka oder der Grimsel kommend nach Bellwald zu meinem Chalet fahre.

Bellwald ist das am höchsten gelegene Dorf im Goms.

Reckingen ist das älteste Dorf im Goms.

Das Goms erstreckt sich von der Rhonequelle bis zur Talstufe von Grengiols, man könnte auch sagen von Oberwald bis Lax und ist der östlichste Teil des Kantons Wallis. Im Osten wird es durch den zwischen Galenstock und Pizzo Rotondo liegenden Furkapass begrenzt und im Westen optisch durch das Weisshorn.
Das Goms lag einst unter dem Rhonegletscher. Dieser zieht sich jedes Jahr gut erkennbar weiter zurück.

Heute fliesst der Rotten, wie die Rhone als “wilde Jugendliche” im deutschsprachigen Wallis genannt wird, durch das Goms.

Das Goms war schon in der Steinzeit bewohnt und während der Römerherrschaft ein Teil der Provinz Raetia. Über die Grimsel drangen gegen das 9. Jahrhundert die Alemannen ein und überlagerten die Frankoprovenzalisch sprechende Vorbevölkerung. 1362 verbündeten sich die Gommer mit den Urkantonen der alten Eidgenossenschaft.

Seit der Steinzeit dient der Albrunpass als Übergang ins benachbarte Italien. Diesen Weg nahmen die Walser im 13. Jahrhundert, die aus dem Goms kommend verschiedene Regionen in den Alpen besiedelten.

Von den freiheitsliebenden Walsern sagt man, sie seien stolz, hart im Nehmen und Geben, aber mit einem weichen Herzen. Auch die Gommer sind ein “eigenes” Volk. Eindrücklich beschreibt der Roman “Walliser Totentanz” das Leben im Mittelalter im stockkatholischen Oberwallis.

Das Goms war kein “Einbahntal” wie beispielsweise das Kleinwalsertal. Durch das Goms wurden Güter von West nach Ost, von Süden nach Norden transportiert. Das Wallis ist auch international als Tourismusregion bekannt. Der bekannte Hotelier César Ritz wurde 1850 in Niederwald, der Gemeinde, die unterhalb von Bellwald im Talboden liegt, geboren.

Zu Beginn meiner Bellwalder-Auszeitwoche mit einem Besuch im Safrandorf Mund kam ich über den Grimselpass ins Goms und genoss die Passfahrt. Auf der Passhöhe hatten sich die Restaurants und Hotel schon in den Winterschlaf begeben.

In Reckingen, wo ich sonst immer schnellstens durchfahre, hielt ich an und schaute mir das Dorf an. Die ältesten Funde in Reckingen stammen aus Gräbern der Hallstattzeit, 500 v. Chr. und auch Spuren der Kelten und Römer wurden gefunden.

Um 1266 fällt wurde Reckingen als eigenständige Gemeinde erwähnt.

Die Kirche aus dem 18. Jahrhundert ist der bedeutendste barocke Sakralbau des Oberwallis.

Von der Geschichte des Dorfes erzählen liebevoll renovierte Gebäude wie Sägerei, Mühle, Glockengiesserei, Backhaus und Waschhaus, die besichtigt werden können.

Wer erinnert sich noch an das Lawinenunglück 1970?
30 Menschen verloren damals ihr Leben.

Ich fuhr also über den Grimselpass nach Bellwald.

Noch war Herbstwetter und die letzten Sonnenblumen blühten im Dorf.

Auf der Rückreise suchte ich dann in Reckingen das Haus der Familie Schmidhalter.

Christine Schmidhalter und ihre Mutter Margrit erwarteten mich bereits und kaum angekommen, bekam ich einen herrlichen Aperitif. Auch die dritte im Bund der Gommer Gin-Frauen, die Kräuterfrau Verena Herzog, war für das Interview gekommen.Verena Herzog, Christine Schmidhalter, Margrit Schmidhalter, v. l.
Hinten versteckt Christines Sohn:-)

Wir verstanden uns auf Anhieb. Im Cheminée knisterte ein Feuer.

Und ich erfuhr endlich, wie alles mit dem “cristallo gommer gin” begann.
Christine wollte schon seit jungen Jahren einen eigenen Gin brennen…

… und das nicht schwarz, wie es so viele Jahre vielerorts im Wallis üblich war.

Christine beschreibt ihre Leidenschaft so: “Es begann vor zwanzig Jahren  –
mal mehr, mal weniger intensiv entwickelte sich die Idee weiter, mal mehr Illusion, mal mehr Traum – dazwischen liegt das Leben.”

Ihren Traum realisierte sie zu ihrem 40. Geburtstag – ihre Gäste bekamen eine Flasche Gin.

Davor war aber viel geschehen. Die Kräuterfrau Verena Herzog lernte Christine per Zufall am Markt in Reckingen kennen. Verena ist eine Kräuter- und Honigfrau. Bis zu hundert verschiedene Blüten haben ihre Bienen besucht, dies kann sie einer Analyse ihres Honigs entnehmen. Sie kennt alle diese Pflanzen und deren heilende Wirkungen.

Christine suchte einen Brenner und verschaffte sich die nötigen behördlichen Genehmigungen.

Fotos Christine Schmidhalter

Das Spezielle am Gommer Gin sind bestimmt die Heidelbeeren, die Margrit Schmidhalter im Sommer an den Hängen um Reckingen sammelt. Christine lacht: “Meine Mutter isst keine Heidelbeeren. Wir alle haben jeweils blaue Lippen und Zungen, sie nur blaue Hände.”

Fotos Christine Schmidhalter

“Es war ein gutes Heidelbeerjahr”, meint Margrit. Ich kann mir nicht vorstellen, 40 Kilogramm Heidelbeeren zu suchen, aber sie kennt die richtigen Orte und erntet mit einem speziellen Kamm.

Die Heidelbeeren machen den Gin lieblich.

Aus Garten und freier Natur liefert Verena beispielsweise Holunderblüten, Apfelminze, Rosenblätter, Marokkanische Minze, Hagenbutten, Bohnenkraut, Lindenblüten, Wachholder, Lavendel und… mehr wird nicht verraten.

Im Wallis werden beispielsweise auch in Ernen Kräuter explizit angebaut.

Zum Vergleich die Mischung für den Gin der Gartenhotels, den ich beim Besuch in Ittingen kennen gelernt hatte. Keine Heidelbeeren, umso mehr Wacholder.

Die Heidelbeeren werden im Ofen 2 Tage bei 60 Grad sanft getrocknet – so werden aus den gesammelten 40 Kilogramm deren vier.

Heidelbeeren sind “Alleskönner”.  Sie stärken das Immunsystem, helfen bei Blasenschwäche, Verdauungsstörungen und Hämorrhoiden. Das Vitamin C wirkt gegen Infektion, Erkältung und Stressbelastung, Vitamin A gegen Nachtblindheit. Das Anthocyan hält die Blutgefässe elastisch und unterstützt die Blutbildung. Heidelbeeren enthalten pro 100 g: 84.6 g Wasser, 0.6 g Eiweiss, 7.4 g Kohlenhydrate, 4.9 g Ballaststoffe, 0.6 g Fett, Vitamine A, B1, B2, B6, B9, C, E, Calcium, Eisen, Magnesium, Natrium, Phosphor, Kalium und Zink.

Heidelbeeren kann man gut einfrieren. Christine gibt immer ein paar Beeren in einen Gin Tonic.

Christine wählte die Brennerei sehr sorgfältig nach strengen Kriterien aus. Sie lässt ihren Gin in der Haldihof Swissalpine Distillery brennen.

Bis jetzt fehlt noch die vierte Frau im Bunde:
1. Christine Schmidhalter ist die Macherin. Sie lancierte und produziert den cristallo gommer gin
2. Margrit Schmidhalter sammelt und trocknet die Heidelbbeeren
3. Verena Herzog sammelt und trocknet ausgewählte Gommer Alpenkräuter
4. Sujata Reinhardt gestaltete die Etikette und verhalf zum Namen Cristallo

Die Etikette zeigt den Galenstock, Schnee und Kräuter.
Cristallo = Kristall nahe an der italienischen Grenze, eingebettet in Berge. Der Gin erinnert an kristallklare Bergseen, verborgene Bergkristalle, funkelnden Schnee und klirrendkalte Luft.

Im ersten Jahr liess Christine 140 Flaschen Gin brennen. Dieses Jahr bereits 280. Ausgewählte Läden haben den Gommer Gin in ihr Sortiment aufgenommen. Christine betont: “Wir werden immer nur kleine Mengen produzieren.” Reich wird sie mit dem professionell produzierten Gin nicht. Man darf die Stunden für das Sammeln der Kräuter und der Heidelbeeren gar nicht berechnen. Es ist eine Leidenschaft, ein Hobby.

Christine hat unzählige Ideen. Es gibt bereits Stofftüten, worin die Glasflasche mitten in duftendem Heu liegt.

Inspiriert für die Stoffsäcklein wurde Christine von “Fuchs & Gretel Krimskrams“.
Auch Tüten mit getrockneten Heidelbeeren kann man erstehen.

Neuerdings strickt Christine “Amadisli” oder “Stülpe” für Ginflaschen, Gin wird gekühlt getrunken. “So bekommt man beim Einschenken keine kalten Hände!”Ich habe gerade eine Flaschen “cristallo gommer gin” online bestellt, ein Weihnachtsgeschenk – für wen verrate ich selbstverständlich nicht.

Christine verwöhnte uns alle mit Raclette. Lachend vertrieb sie ihren Mann vom brutzelnden Käse: “Berner können das nicht!”

Sie ist durch und durch eine Walliserin, eine Vertreterin der neuen Generation der Walliser Frauen, die einen anspruchsvollen Job haben, und deshalb nicht im Tal bleiben. Die aber immer wieder zurückkehren, ihre tiefen Heimatgefühle auch kommunizieren. Hier ein Beispiel ihrer Berufsarbeit als HR-Frau: Gesundheitsmanagement.

Es wurde kälter und schneeahnend machte ich mich auf durch den Furkatunnel. Wirklich, Schnee, der erste dieses Jahres!

Der Gommer Gin ist wunderbar. Wunderbar sind aber auch die Frauen, die dahinter stehen. Es war ein tolles Erlebnis, Christine und ihre Familie, Margrit und Verena persönlich kennen zu lernen.

Mit anderen Worten: Bloggen bereichert mein Leben.

Was Charles Dickens zum Gin sagt, kann auch bedeuten: Ginkonsum ist ein Indikator für die Befindlichkeit einer Epoche. Im England der Industrialisierung war er ein Mittel, um aus dem Alltag zu fliehen.
Heute aber geniesst man den Gommer Gin als einen Luxus aus natürlichen Zutaten aus den Alpen zum Wohlbefinden, als Zeichen, dass es uns sehr gut geht – auch wenn man das manchmal vergisst.

Das Gintrinken ist ein grosses Laster in England,
aber Elend und Schmutz sind ein grösseres,
und ehe ihr nicht die Heime der Armen verbessert oder einen halbverhungerten armen Teufel überzeugt,
Linderung nicht im flüchtigen Vergessen seines Elends mit dem wenigen zu suchen,
das, unter seine Familie aufgeteilt,
jedem einen Bissen Brot verschaffen würde,
solange werden Gin-Kneipen an Zahl und Pracht zunehmen.

Charles Dickens (1812 – 1870)

Informationen zu cristallo gommer gin

Musik
4 Musiktipps von Chrstine
Pearl Jam – Daughter
Mumford & Sons – I Will Wait
Passenger
The XX – Crystalised

Chum ins Wallis

 

Buchtipps

Walliser Totentanz
Im 16. Jahrhundert ist das Wallis Schauplatz im Kampf um die Vorherrschaft in Europa. Inmitten von Krieg, Pest und der Jagd auf Hexen hat die Kräuterfrau Magdalena Capelani einen riskanten Beruf. Zwar wird ihr Wissen gebraucht, aber man traut ihr nicht: Wer sich mit den Kräften der Natur auskennt, steht mit dem Teufel im Bund. Und tatsächlich verfügt Magdalena über ein zweites Gesicht. Sie sieht den Tod ihres Bruders voraus, der in einer der Schlachten stirbt, in denen sich Kardinal Matthäus Schiner mit dem mächtigen Volkstribun Georg Supersaxo befehdet. Erst durch die Schlacht bei Marignano beginnt der unaufhaltsame Abstieg der Papsttreuen. Ein atemberaubendes Drama über die Geschichte der Schweiz, ein Sittengemälde der Renaissance und ein Epos über Intrige, Macht, Liebe und Überleben.

Gin
Kein Gin gleicht dem anderen. Das gilt heute mehr denn je. Seit einigen Jahren steigt die Zahl der Gin-Marken unaufhörlich. Gin ist in. Mit gutem Grund. Da die Hersteller von Gin mehr aromagebende Zutaten verwenden können als jeder andere Brenner, bietet keine andere Spirituose eine solche Vielfalt an Aromen. Diese Enzyklopädie umreisst die Geschichte des Gins, erklärt die Sorten (Distilled Gin, Compound Gin usw.), stellt die wichtigsten aromaprägenden pflanzlichen Zutaten (Botanicals) vor und beschreibt detailliert die Schritte der Herstellung (vom Destillieren des Basisalkohols bis zur möglichen Reifung im Fass). Den Kern des Buches bildet die Beschreibung von rund 150 Gin-Marken samt Varianten mit allen relevanten Informationen: Markeneigner, Hersteller, speziell Wissenswertes sowie Beschreibung des Geschmacksprofils. Und natürlich verrät der Autor auch, wie Gin richtig verkostet wird und welche Cocktails und Longdrinks sich mit dieser “interessantesten Spirituose der Welt” zubereiten lassen.

Gin – Geschichte, Charakter, Sorten

 

 

 

Gin – Geschichte, Herstellung, Marken

 

Traumhäuser in den Alpen
Wer träumt nicht von einem Refugium in den Bergen, um der Alltagshektik zu entfliehen? Bauen in den Alpen ist trotz Traumkulisse eine besondere Herausforderung. Neben steilen Hängen und felsigem Untergrund stellt auch die herrliche Landschaft, die in der Verbindung von innen und außen inszeniert werden möchte, einen hohen Anspruch an die Architektur. 

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  1. Rita

    Liebe Regula

    Diesmal hat mich dein Blog persönlich speziell angesprochen – nicht wegen dem Gin. Aber was du nicht weisst: Die Mutter meines Vaters stammte aus Reckingen. Als ich vor vielen Jahren meine Verwandten dort besuchte, wurde ich im Dorf von älteren Leuten angesprochen und auf Grund meines Aussehens ganz ohne Weiteres der Familie zugeordnet. Ich war damals ziemlich baff.
    In Reckingen gäbe es wohl noch mehr Geschichten. Aber leider lebt der Cousin meines Vaters, der dort Sekundarlehrer war, auch nicht mehr. Der wusste viel.
    Aber zu dir: Die Bilder sind wieder wunderschön. Und die Geschichte dazu hat mich überrascht.

  2. Mara

    Wooow !… das muss ja ein ganz besonderes ” Wässerchen” sein !!!
    – so viele fleissige Frauenhände … all die Beeren und Kräuter,
    und alles angereichert mit einer grossen Portion Heimatliebe !!!

    ich bestelle gleich eine Flasche und ich verrate auch nicht für wen ;-))
    Gin – Gin Mara

  3. Elisabeth

    So gute verwirklichten Ideen! Danke, liebe Regula für den lustvollen Bericht!

  4. Magdalena

    Ohh, Kindheitserinnerungen werden in mir wach. Als Kind haben wir Wachholder für das Sauerkraut gesammelt, das mein Vater jeweils selber gemacht hat. Wir haben ihn in der Umgebung von Oberwald gesammelt, da wir da unser “Häuschen” hatten. Ich bin seit 1964 im Goms wie “zu Hause”, habe sogar einige Jahre in Fiesch gewohnt und im Goms selber und ein bisschen weiter unten gearbeitet.
    Ja du, die Heidelbeeren haben wir auch mit dem “Strähl” gesammelt, obwohl das verboten war. Heute ziert mein “Strähl” bei mir meinen Flur. Gebraucht habe ich ihn schon Jahre nicht mehr. Die Heidelbeeren haben wir dann in richtigen Tschifferen nach Hause getragen. – Ach, war das eine schöne Zeit!

    Bis zum nächsten interessanten Blog von dir Regula oder einem Beitrag im FB
    Liebe Gruess Magdalena

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