Eine Nacht auf dem Pilatus

Von meinem Schlafzimmer aus sehe ich seit über dreissig Jahren den Pilatus – aber droben war ich nie.

Nun mache ich mich am Nachmittag auf, um eine Nacht auf dem Luzerner Hausberg zu verbringen.
Mit einem Astro-Event mit zwei Astronomen wird die Nacht ein besonderes Erlebnis, obwohl das Teleskop vergebens aufgebaut wurde – die Wolken verdecken den Nachthimmel.

Am frühen Mittag fahre ich nach Alpnachstad. Der Bahnhof und das kleine «Chalet» erinnern an die Blütezeit des alpinen Tourismus um 1900.

Alpnach ist seit Jahrhunderten an Reisende gewohnt.

Schon 1587 gab es in Alpnach eine Sust, wo Durchreisende unterkommen konnten.1860 wurde auf dem Pilatus Kulm das Hotel Bellevue erbaut.

Am 4. Juni 1889 wurde die Pilatusbahn, die steilste Zahnradbahn der Welt, eröffnet. Nun konnten auch weniger sportliche Leute die wunderbare Aussicht geniessen.
Bis zu 48 Prozent Steigung überwinden die kleinen, traditionell roten oder zu Werbezwecken golden bemalten Züge die Strecke von 4,618 Kilometern Länge.

An der Weltausstellung 1889 wurde die geniale Konstruktion mit zwei horizontal drehenden Rädern als technisches Wunder präsentiert.

Berits 1905 machte man sich Gedanken über eine Elektrifizierung der Bahn. Eine teure Geschichte – zu teuer.

Erst 1937 fuhr die erste mit Elektrizität betriebene Bahn auf den Pilatus.

An der Talstation werden Sitze in einzelnen Abteilen hochgeklappt. Warentransport. Heute werden Teleskope und astronomische Geräte und Modelle eingeladen.

Rund dreissig Minuten dauert die Bergfahrt. Tunnel waren in den Felsen gehauen worden und immer wieder sieht man weit unter sich den Alpnachersee schimmern.

Je höher man kommt, desto mehr Seen kann man entdecken.

Bei der Mittelstation Mattalp kreuzen sich die Züge.

Ein Bergbauernhaus gibt sich sehr eidgenössisch.
Die grasenden Kühe ignorieren die Bahn mit den fotografierenden Touristen.

Aus dem Zug kann man Bergblumen sehen und sogar ein jetzt im Herbst ziemlich fettes Murmeltier wuselt gelassen auf einer Geröllhalde herum.

Oben angekommen bestaunt man die futuristisch anmutenden Bauten.

Das alte Hotel hat seinen Charme behalten. Man kann sich gut vorstellen, wie sich hier reiseverrückte Amerikaner und Engländer abends im grossen Speisesaal unterhielten.

Ich verfalle immer wieder dem Charme alter Hotels.

Ich beziehe mein gemütliches Zimmer.

Die Früchteschale neben meiner Zimmertüre wirkt wie ein Stillleben

Es ist bereits kühl.
Man kann zu Fuss höher klimmen, der Wind ist aber empfindlich kalt.
Wolken und Sonne jagen sich und verändern den Himmel schnell.

Um 18 Uhr gibt es für die etwa 30 Besucher des Astronomie-Events einen Apéro und ein junger Mann begrüsst die Gäste persönlich: «Ich bin Jos».
Der Doktorand aus Luxemburg hat mit seinem Kollegen Dominik bereits ein Teleskop und weitere Hilfsmittel für die Präsentation des Sternenhimmels aufgestellt.

Zuerst wird das Teleskop erklärt. Es gibt das Linsen- und das Spiegelteleskop. Es klingt einfach und plausibel, aber schon das Durchgucken durch zwei Linsen auf einen bestimmten Punkt ist nicht ganz trivial.

Die Gruppe besteht hauptsächlich aus Schweizern, die viele Fragen an die Experten richten. Nach den schwarzen Löchern und dem Ozonloch wird gefragt, nach Distanzen, die man nicht wirklich begreifen kann, und nach der zu erwartenden Supernova der Sonne.

Viele werden nachdenklich – unsere Erde ist nicht mal ein Staubkorn in unserer Milchstrasse – und diese ist eine von unendlich vielen.

Ich wusste beispielsweise nicht, dass es neben fest, flüssig und gasförmig den vierten Aggregatszustand «Plasma» gibt.

Noch fliegt ein Mann mit seiner Matratze in den Abend hinaus und eine Dohle lauscht scheinbar interessiert den Vorträgen. Sie wartet auf Essen – so auch einige der Zuhörenden. Es wird schnell empfindlich kalt.

Wir sehen auf der Erde Sterne, die es längst nicht mehr gibt. Das Licht braucht Jahrhunderte auf der Reise zu uns. «Astronomie heisst immer, in die Vergangenheit zu schauen», erklärt Jos. Und oben und unten gibt es nicht, denn wo ist oben und unten bei runden Objekten?

Immer wieder schaut man nach unten, wo die Sonne helle Flecken in die Landschaft wirft und kurz einzelne Stellen vergoldet.

Gibt es Leben irgendwo da draussen – diese Frage liegt in der Luft.
Wer nicht so warm gekleidet ist – wie ich – hofft, dass man möglichst bald zum Nachtessen an die Wärme kann. Hier wird nun intensiv über das Gehörte diskutiert, während sich draussen die Wolkendecke schliesst. Mit nächtlichem Sternengucken wird nichts, dabei haben sich alle darauf gefreut, sich den Saturn und seine vier Monde mal genau ansehen zu können.

Pluto sei kein Planet, erfahren wir. «Andere solche Dinge fliegen auch herum.» Die NASA will mit der Cassini Mission in die Atmosphäre des Saturns eindringen.
Statt nach dem Essen draussen mit den Teleskopen in den Nachthimmel zu schauen, halten die beiden Experten einen Vortrag.

Schade, dass die Wolkendecke nun dicht war. Bis Mitternacht nahmen die Fragen kein Ende. Man war ja an der Wärme.

Vor Mitternacht kann man Luzern als Lichtermeer erahnen.

Als ich morgens das Fenster öffne, sehe ich zwei Gämsen, eine in der Geröllhalde, die zweite auf einem Grasfleck.

Ich kraxle noch etwas herum. Jetzt ist die Sicht recht gut.

Der Tag wird wieder viele Gäste aus aller Welt auf den Pilatus locken.

Nach dem Frühstück fahre ich mit der ersten Bahn wieder nach Alpnachstad.

Wir sind nur vier Passagiere, die meisten geniessen das Frühstück auf 2132 Meter Höhe.

Auf der Rückfahrt sieht man Sportler, die den Pilatus in zwei Stunden erklimmen.

Alpnachstad scheint noch zu schlafen. In einer halben Stunde bin ich zuhause, nachdenklich und glücklich. Wie schön doch unser Planet ist!

Diese erlebnisreiche Nacht auf dem Pilatus hat mir sehr gefallen.
Es herrscht eine besondere Stimmung in alten Berggasthäusern. Mein Ausflug dauerte keine 20 Stunden, hat Spass gemacht und ich genoss den Abend mit der bunt zusammengewürfelten Gruppe.

Zu empfehlen ist eine Freitagnacht auf dem Pilatus mit anschliessendem Besuch des Marktes in Luzern.

 

Die Alpen wachsen jährlich 2 Millimeter. Es geht mit uns aufwärts.

Aus der Schweiz

Ich danke Tobias Thut von Pilatus Bahnen AG für die Organisation dieser “Erlebnis-Reise vor der Haustüre”.

Astronomie-Abende auf dem Pilatus

Schubert-Konzerte auf dem Pilatus (Oktober/November 2017)

Jos Kohn und Dominik Bodenmann gehören zur Gruppe “Astro Events“, einer 15-köpfigen Gruppe von Astronomie-begeisterten Wissenschaftlern. Ihr Ziel ist es, Astronomie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Pilatussage

Musik
Pilatus: The Mountain of Dragons

Film
Pilatus: Die Suche nach dem Drachenstein

Buchtipp
Wer wie ich historische Hotels liebt, findet im reich illustrierten Buch “Kulinarische Zeitreisen” fünf appetitanregende, saisonale Reisen zu 54 Swiss Historic Hotels. Mit Rezepten. Leseprobe

Link zu den Reisen.

 

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  1. Martina Amato

    Liebe Regula

    Wunderschöner Bericht und ebenso tolle Bilder. Ich liebe meinen Hausberg!

    cari saluti aus den toskanischen Hügeln, die ebenfalls bezaubernd sind 🙂

    Martina

  2. Robert Lüchinger

    Liebe Regula,

    Man spürt Deinen wachsamen Blick, Dein Gespür für Details, Deine Freude am Kleinen wie auch am Grossen – seeehr eindrücklich !
    Und : ja, wenn man den Himmel anguckt, so schaut man in die Vergangenheit, man kann das Vergangene als gegenwärtig wahrnehmen. In unserem Alltagsgewusel verliert man sich meistens in den wahren Dimensionen von Raum und Zeit, der Nachthimmel und der uuuralte Pilatus, der sich immer noch gaaanz langsam bewegt, können uns besinnlich stimmen, wozu mich Dein Bericht wieder einmal angeregt hat !
    Mit herzlichem Dank, Robert

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