Unterwegs mit einer Wanderherde

schafe-verschneitWährend der Winterzeit einer Wanderschafherde zu begegnen ist etwas Besonderes. Die archaisch anmutende Szenerie einer Schafherde mit ihrem Hirten berührt und fasziniert viele Menschen. Gerade in der Weihnachtszeit erinnert dieses Bild an die Geschichte vom guten Hirten, der sich voller Hingabe für seine Tiere einsetzt. In der Tat, die Aufgabe der Schäfer ist anspruchsvoll und die Verantwortung und Sorge für die Tiere steht über allem.

Gastbeitrag von Regina

unterwegsIn der Schweiz sind während der Wintermonate noch rund dreissig Wanderherden unterwegs. Vor zwanzig Jahren waren es doppelt so viele. In der Zeit der Vegetationsruhe, frühestens ab dem 15. November, darf die Wanderung beginnen und bis höchstens am 15. März dauern. Die Route wird im Voraus festgelegt und muss von der kantonalen Behörde bewilligt werden. Vor Beginn werden die Tiere tierärztlich untersucht, nur gesunde und nicht trächtige Tiere dürfen mit auf die Wanderung.

futtersucheIm Jura gehen die „Bergers de Froidevaux“ noch jeden Winter mit ihrer Herde auf Wanderschaft. Transhumance jurassienne heisst diese winterliche Schafwanderung. Bis kurz vor der Winterwanderung waren die Schafe mehrere Monate auf der Alp im Waadtland. Jetzt führt sie die Winterwanderung während vier Monaten von Weide zu Weide über die Hügel und Täler im Gebiet Soubey – Delémont – Porrentruy – Soubey. Immer auf der Suche nach frischem, gutem Weidegras, denn dies ist der Zweck der Winterwanderung. Manchmal bleibt die Herde nur Stunden auf einer Weide, dann ist das vorhandene Gras bereits gefressen. Es gibt aber auch Weidegebiete, die für mehrere Tage Nahrung bieten.

der-schaefer-1Schäfer Martin ist ein stiller, besonnener Mann, der sonst als Lehrer arbeitet. Er ist nun für drei Monate verantwortlich für die Herde. Zusammen mit seiner Hirtenhündin, zwei Herdenschutzhunden und zwei Eseln ist er Tag und Nacht bei den Schafen. Geschlafen wird entweder draussen an der frischen Luft in einem improvisierten Zelt oder in Ställen und Forsthütten. Manchmal bekommt er Unterstützung von einem zweiten Schäfer. Martin sagt zu seiner Arbeit: „Das Zusammenspiel von Tier, Mensch, Landschaft und Natur ist eindrücklich. Sehr elementar und reduziert auf das Wesentliche, entschleunigt.“
Rund 320 Schafe umfasst seine Herde. Schöne Tiere mit weissen, braunen, rotbraunen und vereinzelt gesprenkelten Fellen. Wanderschafe werden nicht wie sonst üblich im Herbst geschoren. Sie gehen mit ihrer dichten, wärmespendenden und wasserundurchlässigen Wolle auf die Wanderschaft.

herdenschutzhund-und-hirtenhundMitten in der Herde bewegen sich die Herdenschutzhunde Freya und Sybelle. Sie sind Tag und Nacht mit der Herde zusammen und ihr Verhalten orientiert sich immer an den Schafen. Diese zwei Hunde der Rasse „Montagne des Pyrénes“ haben eine wichtige Aufgabe. Sie schützen die Herde vor Luchsen, Wölfen, Füchsen, wildernden Hunden und Raubvögeln.
Mira heisst die Hirtenhündin, ein Border Collie. Sie ist eine erfahrene und kluge Helferin und weiss um ihre Stellung. Ohne sie könnte der Schäfer seine Arbeit nicht tun. Sie hält die Herde zusammen, unterstützt beim Treiben oder holt einzelne Tiere, die sich zu weit entfernen, zurück. Ungeduldig wartet sie auf die Kommandos, die sie vom Schäfer in Form von Pfiffen, Handzeichen oder französischen Wörtern bekommt und setzt sie voller Freude und mit scheinbar nicht endender Energie um. Der Ruf, mit dem Martin seine Schafe ruft, kling so: „Gädugädugäduu“.

beim-eindunkelnDas Tragen der Lasten wie Weidezaun, Werkzeug, Decken, Kochtöpfe und Nahrungsmittel, übernehmen die zwei Esel.
Muss während der Wanderung ein stark befahrenes Gebiet durchquert werden, kommen Helfer zur Unterstützung.

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Die Suche nach genügend gutem Futter ist die wichtigste und oft schwierige Aufgabe des Schäfers. Er muss die Vegetation beurteilen können, muss wissen, auf welche Weide er die Tiere führen kann und vermeiden, dass sich die Tiere beispielsweise auf Äckern mit Winterweizen oder neu angesägten Grasflächen  bewegen. Führt er die Tiere auf mit Jauche gedüngte Weiden, fressen die Schafe das Gras nicht.
„Ich bin gerne alleine“, meint Martin, während er seine Herde beobachtet. Über seine Schafe sagt er: „Ich habe hohe Achtung für die Schafe. Wie sie sich klug verhalten und zurecht finden in dieser winterlichen Umgebung – das ist sehr eindrücklich.“ Das Wetter kann von einem Tag auf den andern wechseln. Starken Wind und Regen haben die Tiere nicht gerne. Solange die Schneedecke nicht dicker als 20 Zentimeter oder beinhart gefroren ist, haben die Schafe kein Problem, Futter zu finden. Über Mittag werden sie zusammen getrieben und eingezäunt. Jetzt ist Zeit für die Klauenpflege und andere Versorgungen.
Manchmal kommen Leute zum Schäfer, stellen Fragen und bringen ihm ein warmes Getränk.

kochstelleIst ein guter Platz für die Nacht gefunden, wird die Herde wieder eingezäunt. Die Herdenschutzhunde bekommen ihr Futter und bleiben bei den Schafen. Jetzt kann Martin begleitet von Mira sein Nachtlager einrichten. Mira weiss genau, dass sie als Erste Futter bekommt.
Mit Blachen und Schaffellen wird ein trockener, warmer Platz zum Schlafen für Schäfer und Hund vorbereitet. Holzsammeln und Feuer machen sind nun notwendig, damit der Schäfer etwas Warmes zu essen hat und sich wärmen kann. Denn bei den winterlichen Temperaturen sind oft auch die mitgenommen Lebensmittel, wie beispielsweise Kartoffeln gefroren.

schafe

„Der 24. Dezember ist ein Tag wie jeder andere auch. Die Schafe müssen genügend Gras zum Fressen haben und gut versorgt sein.“ Aber am Abend, da findet dann doch Weihnachten statt. Martin bekommt Besuch und ein feines Nachtessen. In der Nacht macht sich die kleine Gruppe mit einer Laterne auf zu der Schafherde. Im Lichtschein funkeln ihnen hunderte von Schafaugen entgegen. Bei den Schafen singen sie ein paar Weihnachtslieder. Und es scheint so, dass nicht nur die Menschen den Zauber dieser Weihnachtsnacht spüren.

Regina

Nichts bewegt wie Stille.

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  1. MARA

    Schöner Beitrag und abwechslungsreiche Fotos über das Hirten-Leben! Begegnungen im Winter mit Schafherden berühren auch mich immer sehr – so auch geschehen vor ein paar Tagen, als ich endlich mein altes Brot bei einer Herde die ohne Hirte und ohne Hund auf dem Feld graste, loswurde.
    Schon beeindruckend als sich plötzlich wie auf Komando mind. 60 Augenpaare stillschweigend und höchst aufmerksam mir zu wandten…
    Wunderschön!

  2. Ritanna

    Ritanna
    Beeindruckend erzählt Regina. Man, ich bin richtig dabei, Weide für Weide. Die Treiberin der Schafe sehe ich in meiner wachen Erinnerung die Herden einkreisen. Die vereinzelten Tiere holt sie alle wieder in die Gemeinschaft.
    Die bebilderte Erzählung holt die Zeit zurück. Es gab keinen Winter ohne die Schafherden.
    Gibt es darum keinen rechten Winter mehr, weil die Schafherden fehlen. Die Strassen zerschneiden den Schafherdewanderweg.

  3. Irene marzano

    Guten Tag, das sind wunderschöne Bilder!! Ist es erlaubt eines dieser Fotos als Malvorlage zu verwenden? Das entstandene Oelbild würde später als Postkarte gedruckt und als Weihnachtskarte versandt.
    Mit freundlichem Gruss, Irene Marzano

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