Wie so oft ist es ein Kinderbuch, das mich zum Denken anregt.
Die Geschichte ist schnell erzählt. Die Tiere auf dem Bauernhof spielen „Ich bin böse!“ Der Hund erschreckt den Hahn, sodass er laut schreiend flieht. Die Ziege schmückt sich frech mit Blumen aus dem Bauerngarten. Die sonst so friedliche Taube lässt einen Taubendreck mitten auf des Bauern Hut fallen.
Unterdessen frisst eine kleine Maus Haferkörner, die beim Pferd am Boden liegen. Eine schwarze Katze schleicht sich an. Das Pferd beobachtet die Katze, dann die Maus – und macht einen entschlossenen Schritt und tritt mit dem schweren Huf genau auf die kleine Maus. So böse!
Die Tiere sind entsetzt. Der Hund sagt: „Das hätte ich Dir nicht zugetraut. Das ist nicht nur böse, das ist gemein!“
Das Pferd scheint nichts zu bedauern, prahlt, dass es mit seinen Hufen sogar Funken schlagen könne.
Erst als die Katze weg ist, hebt es sorgfältig sein Huf. Im Zwischenraum, umgeben vom Huf, hatte sich die kleine Maus hingeduckt. „Danke“, fiepte sie, „dass ich mich die ganze Zeit im Hufeisen verstecken durfte.“ Und möglichst leise, dass es die Katze nicht hört, kichern alle über die liebste Gemeinheit der Welt.“
Das eingespielte Team Lorenz Pauli, Text, und Kathrin Schärer, Illustrationen, zeigen ein philosophisches Problem auf, sodass es auch Kinder verstehen.
Ein Problem verstehen heisst in der Nicht-Bilderbuchwelt nicht immer auch, es lösen zu können.
Die Sache mit Gut und Böse ist nicht so einfach! Wer tut einem leid? Das Pferd, weil die Maus von seinem Futter frisst? Die Maus, weil sie fast von der Katze gefressen wurde? Oder die Katze, weil sie ausgetrickst wurde? Oder tun wir uns immer mal wieder selbst leid, weil es so einfach ist, in eine Opferrolle zu falle?
Es ist die Wahrheit. Man hat es mit eigenen Augen gesehen. Wie die Tiere den Fuss des Pferdes auf der Maus. Die Wahrnehmung kombiniert man mit den eigenen Werten und mischt noch ein paar Vorurteile dazu – und schon hat man ein Urteil. Gemein!
Manchmal macht es Sinn, sich Fragen zu beantworten:
„Was, wenn es ganz anders wäre?“
Wenn das Pferd die Maus nicht tottreten, sondern schützen will. Wenn der Lehrer das Kind schilt, nicht um es zu demütigen, sondern um es zu einem Erfolg zu bringen? Was, wenn jemand schweigt und damit nicht trotzig reagiert, sondern einen Streit verhindern will? Wenn die Frau nicht nörgelt, weil sie den Mann nicht gern hat, sondern weil sie Zuwendung und Liebe haben und geben möchte?
Wenn alles wirklich ganz anders wäre?
Man urteilt oft „böse“, ohne nach den Beweggründen zu fragen. „Böse“ reagiert man oft aus Hilflosigkeit oder Ohnmacht heraus, nicht aus Bosheit. Es gilt, zu hinterfragen, was „böse“ ist und was hinter „böse“ steckt, bevor man Konflikte inszeniert oder in eine Opferrolle fällt.
Wer nicht handelt, wird behandelt. Wem wir die Schuld geben, dem geben wir die Macht.
Fragen
An jemanden, dessen Verhalten man als böse empfindet:
- Hat dich jemand verletzt, wütend gemacht?
- Was möchtest Du lieber als böse sein?
- Was würde Dich zufrieden machen?
- Was möchtest Du genau?
- Was müsste geschehen, dass es Dir gut gehen würde?
- Was kann ich tun, dass es Dir gut geht?
- Wie lange möchtest Du böse sein? Ich komme nachher gern wieder.
- Welche Vorteile bringt mir die Opferrolle, andere als Täter anzusehen?
- Welche Anteile habe ich daran, dass ich mich als Opfer fühle?
- Stecken wirklich böse Ansichten hinter dem Verhalten des „Täters“?
- Habe ich etwas falsch verstanden, falsch interpretiert?
- Habe ich zugelassen, dass mir jemand das Gefühl geben konnte, minderwertig zu sein?
- Habe ich zugelassen, dass mich jemand verletzt oder traurig gemacht hat?
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