Die Meldungen aus Syrien nehmen wir hin, sie sind alltäglich geworden. Syrien liegt weit weg – und die Zusammenhänge sind so komplex, dass ich sie nie richtig verstanden habe: Wer mit wem und wer gegen wen – und all das mit welchen Zielen.
Verständnis weckt das Buch von Karin Leukefeld. Sie spannt in ihrem Buch den Bogen über 100 Jahre Geschichte in und um Syrien. Leicht verständlich vermittelt sie komplexe Zusammenhänge des heutigen Kriegsgebietes mit wertschätzendem Respekt und demonstriert damit eindrücklich, wie ethischer Journalismus sein kann.
Der Titel ist Programm: „Syrien zwischen Schatten und Licht“. Karin Leukefeld lässt Menschen vom Alltag erzählen und legt den Fokus auf lichtvolle Aspekte, ohne das grossen Leiden der Bevölkerung in den Kriegsgebieten zu verschweigen. Indem sie eine Zeitspanne von hundert Jahren gewählt hat, rollt sie den Geschichtsfaden von Syrien so auf, dass sich für manche Leser Knoten lösen.
Die Autorin weckt respektvoll das Verständnis, wie es zur aktuellen Situation kommen konnte. Sie macht bewusst, dass dabei unter anderen Frankreich, die USA und die Sowjetunion ihre Hände fatal mit im Spiel hatten. Nach dem ersten Weltkrieg litt Syrien unter der harten Herrschaft von Frankreich, was Volk und Geschichte geprägt hat. Frankreich zersplitterte das Land in Kleinstaaten mit eigenen religiösen und wirtschaftlichen Interessen, was die Bildung einer einheitlichen Nation schwierig machte – und macht.
Syrien ist ein Agrarland, aber auch ein Transitland für internationale Öl- und Gasleitungen und verfügt über wertvolle Wasserquellen. Interessen verschiedener Nationen an Öl, Gas und Wasser sind meist Mitursachen für Kriege im Nahen Osten.
Bis vor wenigen Jahren war Syrien ein aufstrebendes Land. Heute ist es ein zerstörtes. Millionen Menschen haben alles verloren. Millionen sind geflohen. Die Gesellschaft ist tief gespalten. Während die einen das Land engagiert modernisierten, blieben die traditionellen und religiösen Kräfte auf der Strecke, zogen sich vorerst zurück.
Der von aussen angeheizte Krieg, die politische Isolierung und die Sanktionen von USA und EU haben die aufblühende Ökonomie ebenso zerstört wie die syrische Reformbewegung.
Man spricht viel von den syrischen Flüchtlingen – aber viel zu wenig von den Menschen, die im Land ausharren. Karin Leukefeld tut es: ein- und nachdrücklich. Mit Fachkenntnis, Respekt und Liebe zu den Menschen.
Symbolisch ist das Bild auf dem Buchcover: Ein Mann fährt mit einem riesigen Kohlkopf auf dem Gepäckträger durch eine zerstörte Stadt. Er bringt das Gemüse in eine Suppenküche, wo in einem Kloster in Homs täglich 1000 Mahlzeiten an Rückkehrer abgegeben werden.
Primär müsse das Problem mit dem Krieg gelöst werden, erst später dann mit Assad, so sieht die Nahostkorrespondentin die Zukunft.
Karin Leukefeld ist keine Kriegsberichterstatterin. Sie erzählt von den Menschen, die im Land ausharren, den Alltag bewältigen und beharrlich verhandeln, um regionale Waffenstillstände zu erreichen. Keine Details zu Kriegsgräueln oder zur Zerstörung von Kulturgütern liest man in ihrem Buch, obwohl sie diese nicht unter den Teppich kehrt. Sie erzählt von einem Volk, dessen hervorragenden Eigenschaften Beharrlichkeit, Stolz, Gastfreundschaft und Humor sind.
Nach der Lektüre des Buches „Syrien zwischen Schatten und Licht“ realisiert man, wie sehr die eigene Meinung und das Weltbild über die Medien geprägt werden. Das Buch klärt, weshalb Syrien in Flammen steht. Wer sich über die tatsächlichen Hintergründe des Krieges in Syrien objektiver informieren will, dem wird – entgegen den Berichterstattungen vieler sensationsorientierter Medien – das Licht bewusst, das es neben dem Schatten in Syrien auch gibt.
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