Guernsey gehört zu den englischen Kanalinseln, die während dem 2. Weltkrieg über fünf Jahre von den Deutschen besetzt war. Der “Liberation Day” wird heute noch jeweils am 9. Mai mit Paraden und einem Volksfestgefeiert.
Was ich wusste: Guernsey ist die zweitgrösste der britischen Kanalinseln.
Was ich nicht wusste: Die Kanalinseln sind weder Teil des Vereinigten Königreichs noch Kronkolonie. Sie teilen sich auf in das Bailiwick of Jersey und das Bailiwick of Guernsey. Bailiwick wird mit Vogtei übersetzt. Der Vogt ist der Bailiff.
Als Kronbesitz sind die Vogteien direkt der britischen Krone unterstellt. Sie sind gesonderte Rechtssubjekte und weder Teil des Vereinigten Königreichs noch der EU.
Guernsey ist traumhaft: steile Klippen, breite Sandstrände, sanfte Hügel, weitläufige Felder, eine vielfältige Flora und Fauna, pittoreske Dörfer, enge, mit Hecken begrenzte Landstrassen und idyllische Farmen.
Die nicht ganz 65 Quadratkilometer grosse Insel liegt im südwestlichen Teil des Ärmelkanals, rund 70 Kilometer von der französischen Küste, von der Normandie entfernt.
Die Vogtei Guernsey ist in zwölf Gemeinden unterteilt. Dazu gehören auch die Inseln Alderney, Herm, Sark, Jethou, Brecqhou, Burhou, Lihou sowie weitere kleine Eilande und Klippen. Herm habe ich besucht, davon in einem späteren Blog.
Auf der Insel Guernsey leben 62.500 Einwohner.
Mich interessiert besonders die Geschichte der Inseln während dem 2. Weltkrieg.
Erstmals erfuhr ich davon bei der Lektüre von “Die Rosenzüchterin” von Charlotte Link und durch den auf dem Buch “The Guernsey Literary & Potato Peel Pie Society“. Die deutsche Verfilmung trägt den Titel: “Deine Juliet“.
Die amerikanische Autorin Mary Ann Shaffer erzählt die Geschichte der Londoner Schriftstellerin Juliet Ashton. Die junge Frau erhält Ende der Vierzigerjahre einen Brief vom literaturbegeisterten Farmer Dawsey Adams, der auf der Kanalinsel Guernsey lebt.
Juliet erfährt, dass Dawsey und seine Freunde den Literaturclub „Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf“ gegründet haben, um die Zeit der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs besser zu überstehen. Juliet beschliesst, auf die Insel zu reisen, um über den Buchclub zu schreiben. Erst im Laufe der Zeit erfährt sie von einem Mitglied des Clubs, Elisabeth, die mit einem deutschen Soldaten, einem Arzt, liiert war. Trotz Feindschaft der Völker hatten sie ein gemeinsames Kind, das jetzt von den Clubmitgliedern grossgezogen wird. Christian, der sympathische Deutsche, kam bei einem Militäreinsatz ums Leben. Elisabeth wurde verhaftet und nach Frankreich deportiert, weil sie einem Kriegsgefangenen geholfen hatte. Elisabeth kam nie mehr zurück – und jedes der Literaturclubmitglieder versucht auf seine Weise, damit umzugehen.
Und nun durfte ich am 9. Mai 2019 miterleben, wie stark die Erinnerungen an die Zeit der Besetzung und an die Befreiung noch immer in der Bevölkerung von Guernsey verankert sind.
Das Wort “Demilitarisierung” kannte ich vor meinem Besuch auf Guernsey nicht so genau. Churchill hatte sich 1940 entschlossen, die nahe der Normandie gelegenen Kanalinseln – und ihre Bevölkerung – kampflos aufzugeben.
Über ein Viertel der rund 94’000 Einwohner wurden evakuiert, viele Eltern schickten ihre Kinder nach England in die Sicherheit, wo sie in Familien aufgenommen wurden. Sie glaubten, dass der Krieg nicht lange dauern würde. Es sollten fünf lange Jahre werden.

Bild: yak
Zwei Wochen nach der Massenevakuierung kamen am 28. Juni 1940 die Deutschen, zu denen die Information über die Demilitarisierung offensichtlich nicht durchgedrungen war.
Sie bombardierten im Hafen von St. Peters Port die Lastwagen von Bauern, die Gemüse auf Schiffe verladen wollten. Die landwirtschaftlichen Fahrzeuge wurden für einen Militärkonvoi gehalten.
44 Zivilisten kamen beim Bombardement ums Leben.
Am Abend des 30. Juni 1940 landeten fünf deutsche Ju-52 auf dem menschenleeren Flugplatz von St. Helier auf Jersey – es wurde keinerlei Widerstand geleistet. Am ersten Juli landeten zehn Ju-52 auf Guernsey.
Die deutsche Besatzung galt zwar als „milde Besatzung”. Der Bailiff von Guernsey blieb also auch während der Besetzung im Amt.
Auf Guernsey ist der Gerichtsvollzieher, also ein Jurist, der Bailiff – wie der oberste Zivilbeamte genannt wird. Er wird auch heute noch von der Krone ernannt und bleibt bis zu seiner Pensionierung im Amt. Er präsidiert die Staaten von Guernsey und vertritt die Krone bei zivilen Anlässen.
Während der Besetzung gingen Wehrmachtssoldaten und britische Polizisten gemeinsam auf Streife.
1309 Einwohner der Kanalinseln wurden wegen Verstössen gegen die Anordnungen der deutschen Besatzer verhaftet und verurteilt. Dabei ging es oft darum, dass sie Lebensmittel vor den Besetzern versteckten oder das Ausgangsverbot nicht einhielten.
200 bis 250 dieser Männer und Frauen wurden nach Frankreich und Deutschland deportiert.
Einige hatten entflohene Kriegsgefangene versteckt, Menschen, die auf grausame Weise zum Bauen von Bunkern und Wehranlagen gezwungen wurden.
Viele von ihnen starben aus Erschöpfung oder verhungerten.
Die Nahrung für die Bevölkerung auf den Kanalinseln war knapp. Die deutschen Besetzer leerten ihre Scheunen und Ställe und liessen den Inselbewohner ein Minimum an Lebensmitteln.
Benzin war Mangelware, Pferdewagen prägten das Strassenbild. Es wurde der Rechtsverkehr eingeführt und die Uhren wurden auf deutsche Zeit umgestellt.
Erfinderisch zeigten sich die Menschen auf den Kanalinseln, wenn es darum ging, dem Lebensmittelmangel entgegenzuwirken. Sie gewannen Salz aus dem Meer, aus Rüben braute man Tee.
Am 30. Dezember 1944 traf endlich Hilfe für die hungernde Bevölkerung ein. Ein Rotkreuzschiff brachte Lebensmittel und dringend benötigte Medikamente.
Am 9. Mai 1945 traf die HMS Bulldog Jersey ein.
Die deutschen Streitkräfte kapitulierten im Morgengrauen bedingungslos an Bord des Schiffes. (Smokey war die Schiffslatze an Bord der “Bulldog”.)
Die britischen Streitkräfte landeten kurz darauf in St. Peter Port und wurden von vielen fröhlichen, aber unterernährten Inselbewohnern begrüsst, die unter anderem patriotische Lieder wie “Sarnia-Cherie” sangen.
Am Morgen des 9. Mai 2019 gingen wir durch das beflaggte St. Peters Port zu Fuss zum Hafen.
Morgens paradieren jeweils die Mitglieder der Staaten von Guernsey, der Klerus, der Bajliff, der Vizegouverneur, die Juraten, die Kronoffiziere und andere Beamte sowie Vertreter verschiedener militärischer Einheiten die Hafenstrasse entlang – und die Musik spielt dazu.
Sehr feierlich, sehr militärisch und sehr traditionell. Der Mann mit der Melone schritt von einem Orden behangenen Mann zum nächsten.
Das dauerte ewig.
Eeeewigkeiten!
Offenbar fanden auch andere die Warterei mühsam.
Von allen Würdenträgern gefiel mir dieser Herr am besten.
Wir machten eine lange Klippenwanderung. Und verpassten die Rede Churchills, die auf dem Festprogramm aufgelistet war: Am 9. Mai 1945 um 15 Uhr war Winston Churchill über knisternde Radiowellen zu hören. Radio war den Guernseyern fünf Jahre lang verboten gewesen.
Der englische Premierminister verkündete das Ende des Krieges in Europa und die „bedingungslose Kapitulation der Deutschen an Land, auf See und in der Luft von Europa”. Und zwischen den Glückwünschen an sein Land, sprach er die Worte: „…unsere geliebten Channel Islands sind ab heute auch befreit”
Auf unserer Klippenwanderung begeisterte uns die Natur, Blumen und das Meer. Doch: Überall Bunker und Wehranlagen. “Dieses Gebiet ist voller deutscher Verteidigungsanlagen, inklusive Gräben und “Sch…gruben”. Nicht Schiess. Google übersetzt mit Darmgruben 🙂 “Wer dieses Gebiet betritt, tut es auf eigene Verantwortung.”
Wir kletterten in alte Schützengräben.
Die rostige Türe schweigt – zum Glück.
Durch die Tarnnetze, die über die Schützengräben gelegt sind, fallen Sonnenstrahlen.
Ich hatte schnell genug.
Der Panzer gab mir den Rest.
Ich kehrte schnell in die Gegenwart zurück. Noch immer Militäranlagen, aber blaues Meer und Kitesurfer.
Möve Jonathan geniesst die Freiheit.
Während wir bei einem von einer Deutschen geführten Kiosk Krabbensandchiches assen und die uns amüsierten, wie die Möwen frech Pommes Frites klauten, sahen wir alte Militärfahrzeuge, die zur nachmittäglichen Parade fuhren.
Die Leute waren ausgelassener Stimmung.
Später sahen wir dieselben Fahrzeuge an der Parade wieder.
Die Gemeinschaftsfeiern am Nachmittag haben informellen Charakter.
Im Umzug fahren alte Militärfahrzeuge, aber auch wunderschöne Oldtimer mit.
Danach verteilen sich die Leute, hören Konzerte, hüpfen in Hüpfburgen und stopfen sich mit Fast Food voll – ein richtiges Volksfest.
Ich habe mir ein Bilderbuch gekauft.
Typisch ich 🙂 Ich wollte noch besser verstehen, was damals geschah.
Smokey sieht vom fast leeren Schiff zurück nach St. Peter Port.
Auch wir sahen einen Regenbogen über dem Hafen von St. Peter Port.
Am Abend genossen wir vom Hotel aus das Feuerwerk über dem Hafen.
Krieg ist immer Gefängnis!
Rainer Maria Rilke, 1875 – 1926
Informationen
Rolf Meier Reisen: Guernsey
Visit Guernsey
Bücher
(Bild und Bücher: Andrea Weibel, Journalistin AZ, Freiamt)
Sachbuch
Inspektor Barnaby kennt wohl jeder. Er wurde gespielt von John Nettles. Der Schauspieler und Historiker hat ein Buch mit dem Titel “Hitlers Inselwahn” herausgegeben. Nettles lebte während der Dreharbeiten für die Serie “Jim Bergerac ermittelt” auf Jersey, seither verbindet ihn eine enge Beziehung zu den Kanalinseln.John Nettles legt in seinem Buch eine detaillierte Schilderung der deutschen Besatzungszeit vor. Er lässt Zeitzeugen zu Wort kommen und spart dabei auch die heiklen Aspekte der Okkupation nicht aus, etwa die angespannte Beziehung zwischen den Kanalinseln und der englischen Regierung. Denn auf den Inseln verlief die Linie zwischen Kooperation und Kollaboration, zwischen Widerstand und Kriegsverbrechen viel dramatischer als bisher angenommen. Der komplexe Fall der Kollaboration wird ebenso beleuchtet wie das Schicksal der Juden und Zwangsarbeiter auf den Inseln.
Filme
Liberationday 2019
Guernsey im 2 Weltkrieg (Englisch)
Trailer “Deine Juliet”
Schauplätze wo der Film “Deine Juliet” auf Guernsey gefilmt wurde.
Musik
Manchmal entdecke ich beim Recherchieren Musik, die mir gefällt. So die Songs der amerikanischen Folk-Rock-Band The Lumineers.
Never forget Guernsey with music from the Lumineers
Mix The Lunineers
Filmmusik “Deine Juliet”
Sarnia Chérie
Hotelempfehlung
La Frégate
Wunderschön über dem Hafen gelegen!
Dank
Ich danke Rolf Meier Reisen für die Reise und Katja Bürgi und Scott Crouch für die Begleitung.
Mit Simon Dufty, dem Generalmanager vom Hotel La Frégate, ist es eine Ehre und ein Vergnügen, Champagner zu trinken.
Ganz herzlichen Dank an meine Journalistenkolleg/innen Andrea, Barbara, Kati, Katrin und Christian – es hat mega Spass gemacht mit Euch!
Guernseyer Dialekt hat französische Ausdrücke integriert.
Rita Hermanns Stengele
Liebe Regula
Diese Inseln sind ja wirklich interessant. Danke für deinen Beitrag. Im Roman “Dir Rosenzüchterin “ habe ich einiges über die Rolle der Inseln im 2. Weltkrieg erfahren. Mir hat das Buch sehr gefallen und das Interesse auf diese Inseln geweckt.
Auch den Roman von Elizabeth George habe ich gelesen .
Liebe Grüsse
Dori
Herzlichen Dank für den spannenden Blog.
Liebe Grüsse
Dori
Ursula Grob
Liebe Regula
ganz herzlichen Dank für die spannende Geschichtslektion mit den aufschlussreichen Bildern!
Ursula
Mary
Möchte sooofort dahin 🙂
Rita
Spannende Geschichte und schöne Bilder!