“Einfach Zürich”im Landesmuseum

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Zürichs Vergangenheit kann man hautnah erleben – komprimiert auf 330 Quadratmeter.
Die museumsdidaktisch genial kuratierte Ausstellung weckt bei alten Zürchern Erinnerungen, bei jungen Verständnis und bei ausländischen Besuchern kann sich ein lebendiges Bild von Stadt und Kanton Zürich bilden.

Ich bin Zürcher Stadtbürgerin, in Zürich Wiedikon aufgewachsen wie bereits meine Eltern. Ich trage den Namen der Zürcher Stadtheiligen. Als junge Lehrerin habe ich in Zürich Heimatkunde unterrichtet. Vor Kurzem habe ich einen privaten Zürcher Frauen-Stadtrundgang organisiert. Und ich dachte, viel über Zürich und seine Geschichte zu wissen.
Die neu eröffnete permanente Ausstellung “Einfach Zürich” liess mich eintauchen in die Geschichte Zürichs und offenbarte mir viele Aspekte, die ich noch nicht gewusst – oder nicht reflektiert hatte. Die Objekte katapultierten mich oft zurück in meine eigene Schulzeit – deshalb ist dieser Bericht sehr subjektiv.

Die Ausstellung verteilt sich über drei Räume.

Im ersten Raum “begrüsst” eine Installation einer Künstlergruppe, dargestellt sein sollen touristische Hotspots in Zürich.
Überhaupt nicht mein Ding. Aber darüber zu diskutieren ist müssig. Und wichtig: Mit dem ersten Raum hatte ich Mühe, die beiden anderen Räume sind aber super!

Immerhin konnte ich die kopflose Regula ausmachen.

An einer Wand mit 20 Bildschirmen stellen sich einzelne Gemeinden mit einem Kurzvideo vor. Eine gute Idee.

Ich suchte nach dem Video einer Gemeinde im Bezirk, in dem ich heute wohne, und konnte schliesslich den Türlersee ausmachen.

Ich war ziemlich schockiert, dass das Säuliamt, eine andere Bezeichnung für den Bezirk Knonauer Amt, als “Gemeinde” vorgestellt wird.

Der Beitrag zum Knonauer Amt ist aus meiner Sicht unprofessionell und peinlich. Aber! Der Vorteil dieser Ausstellung: Sie ist vielfältig veränderbar. Ich hoffe, die Ausstellungsmacher nehmen wirklich eine “Gemeinde” auf, beispielsweise Rifferswil oder Maschwanden, die typisch sind für das Säuliamt.

Ziemlich schnell wechselte ich in den zweiten Raum.

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieser ist wirklich super gestaltet, voller Elemente, die neugierig machen und mit Hintergrundinformationen, die diese Neugier mit kompakten, auf den Punkt gebrachten Informationen stillen.

Hier kann man lange verweilen.

In der Mitte steht ein riesiger Würfel mit Vitrinen, die entweder mit farbigem Glas abgedeckt oder mit einem Objekt gefüllt sind. Diese 3-dimensionale Schatzkammer enthält 60 Objekte.

Bei einigen dieser Objekte weiss man sehr schnell, welches Thema aufgenommen wird.

 

Bei anderen hat man ein Aha-Erlebnis, wenn man das Objekt auf dem Touchscreen-Bildschirm auf der Konsole vor der betreffenden Würfelseite anklickt.

Beispielsweise geht es bei diesem Objekt nicht um die Bedeutung von Männerchören, sondern um das Leben in den ärmlichen Aussenbezirken wie Aussersihl, die eingemeindet wurden. Heute sind es In-Gegenden für hippe Leute.

Zürich spielt in der Geschichte der Schweiz seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle. Als Königspfalz im Hochmittelalter, als Reichsstadt im Spätmittelalter, als Zentrum der Reformation in der frühen Neuzeit, als liberale Hochburg im 19. Jahrhundert und schliesslich als Wirtschaftsmetropole mit überregionaler Ausstrahlung im 21. Jahrhundert. Zu all diese historischen Phasen findet man ein Objekt.

Man realisiert ein Zürich, das sich beim Rest der Eidgenossenschaft nicht immer beliebt gemacht hat. Zürich hatte immer wieder Konflikte mit der übrigen Schweiz ausgetragen, zum Beispiel im Alten Zürichkrieg Mitte des 15. Jahrhunderts, in der konfessionellen Spaltung im 16. und 17. Jahrhundert, in der Entwicklung zur Demokratie im 19. Jahrhundert.
Auch heute fühlen sich andere Kantone oder Regionen als Minorität im Vergleich zu Zürich. Beispielsweise in meinem Ferienhaus im Wallis bin ich eine “Grüezinji”. Im Wallis sage ich nie Grüezi, sondern “Tagwol” und vom Mittag an schon “Güetenabe”.

Die Stadt Zürich nehme ich heute persönlich als eine Wirtschaftsmetropole mit horrend hohen Wohnungsmieten und aus der ganzen Welt rekrutierten grossen und kleinen Managern wahr – was den ländlichen Regionen und Kantonen suspekt ist. Zu Recht, glaube ich.

Hier nun ein paar exemplarische Beispiele aus dem Wunderwürfel, dem Mittelpunkt der Dauerausstellung “Einfach Zürich”.

Die Bircher-Raffel gibt einen Hinweis zu Zürich als einen Ort, an den man aus aller Welt zum Kuren kam, und heute zum Operieren kommt.
Dr. med. Maximilian Bircher-Benner (1867-1939)  entdeckte die Wirkung der vitalen Frischpflanzendiät sowie der regulativen Therapie.
In seinem «Sanatorium Lebendige Kraft» logierten unter anderen
Zar Niklaus II, Golda Meyr, Rainer Maria Rilke, Thomas Mann, Hermann Hesse, Geza Anda, Jehudi Menuhin und Helena Rubinstein. Thomas Mann fand hier Anregungen für seinen Sanatoriums-Roman «Der Zauberberg».

In einer Vitrine ist das Schwert des Bürgermeisters Hans Waldmann zu sehen – Albtraum meiner Kindheit. Noch sehe ich das Bild im Geschichtsbuch vor mir, wie Hunde erschlagen und erstochen wurden. Ich fand es völlig in Ordnung, dass man den Tierquäler köpfte.
Dass es um die Kluft zwischen Stadt und Land ging, habe ich erst später kapiert.

Schräg an der Geschichte fand ich, dass die Zürcher ihn zuerst köpften, und ihm dann ein Denkmal errichteten.

Eine weitere Erinnerung an die Schulzeit in den 60-ern: In der 10-Uhr Pause wurde Schulmilch abgegeben. Ich hasste Milch!

Noch eine Kindheitserinnerung: Als einziges Mädchen nach drei Brüdern musste ich in der Männerbadeanstalt Schanzengraben mit einem Korkschwimmgurt schwimmen lernen.
Und in der Schule hiess es dann bei jedem Wetter zu Fuss die rund drei Kilometer vom Schulhaus Bühl zum Strandbad Mythenquai zu gehen – und zurück.
Das Freibad Letzigraben, geplant von Max Frisch, liebte ich ganz besonders.

Noch so ein pädagogisches Relikt: Unser nationalistischer Lehrer, der in den 60-er Jahren im Schulhaus Bühl regelmässig einen jüdischen Mitschüler prügelte, erzählte Stunden von seinen Heldentaten im Aktivdienst – und von den Pfahlbauern.
In “Einfach Zürich” räumt man auf mit der Legende von den tapferen Pfahlbauern.

Zürich als Finanzplatz wird vorgestellt.

Italienische Familiennamen gibt es in Zürich nicht erst seit 50-er Jahren, als die Schweizer Fremdarbeiter wollten und staunten, dass Menschen kamen.

Den Flüchtlingen und Einwanderern aus dem italienischen Sprachraum verdanken die Zürcher einiges an Kultur, beispielsweise die Seide.

Kaum vorstellbar: eine Maulbeerbaumkultur in Zürich.
Heute unter dem Label Swiss Silk wieder ein Thema, als eine Alternative für einen Zusatzverdienst für Bauern.

An die “Seegfrörni” 1963 kann ich mich gut erinnern. Mit den aktuellen klimatischen Entwicklungen ist es fraglich, ob ich nochmals auf dem Zürichsee Schlittschuh laufen werde.

Das Exponat “Daumenschraube” bringt die Museumbesucher zu einem düsteren Kapitel der Zürcher Geschichte.

Das Exponat ist ein Damenkleid mit Kopfbedeckung im Stil der 20-er Jahre.
Mode vermutet man. Es geht aber um das Thema Homosexualität in Zürich. Heute wird das Zurich Pride Festival von namhaften Banken mitgesponsert.

Das Messer der Guillotine im Schaukasten führt zu Informationen rund um die Todesstrafe in Zürich.

Zwingli ist gerade aktuell. Der Spielfilm ist seit Mitte Januar in den Kinos.

Daran erinnern sich noch die alten Zürcher.

Eine Herausforderung für die Kuratoren der Ausstellung: Die breite Palette der Zielgruppen, von Zürcher Schulklassen bis zu asiatischen Massentouristen. Letztere freuen sich sicher über Heidi.

Im Ausstellungswürfel begegnete ich dann auch wieder Regula.

Dass aber Felix und Regula etwas mit dem Knabenschiessen zu tun haben und dass der Namenstag der der beiden der 11. September ist – Nine-Eleven – war mir nicht bewusst.

Dies waren nur ein paar wenige Beispiele der Exponate im Würfel – 60 sind es insgesamt. Man soll sich also genug Zeit nehmen für den Museumsbesuch.

Den dritten, futuristisch anmutenden Raum füllen vier filmische Präsentationen, die auf einen wirken, als hätte man Drogen eingeworfen. Visuell durchschreitet man Mauern, kreist über Bauwerken und Landschaften oder durchpflügt wie ein Maulwurf unterirdische Gefilde.

Es wird also möglich, virtuell feste Materie zu durchdringen.

Diese Effekte werden auf Basis der Punktwolken-Technologie erzeugt.

Ich versuchte diese Technik zu verstehen, die auf Laserscanning basiert. Eine Punktwolke besteht aus einer riesigen Menge an Messpunkten, die es erlaubt, Landschaften und Räume auf völlig neuartige Weise zu modellieren.

Man erkennt zum Beispiel den Hauptbahnhof. Oder folgt der Industriegeschichte im Tösstal. Man erlebt den Lindenhof ober- und unterirdisch gleichzeitig als historischen Ort und als Urania-Parkgarage.

Am besten schaut man den kurzen Handy-Video an.

Und noch viel besser: Man besucht die Ausstellung!

Heimat ist, wo wir unseren Lebensfaden festgemacht haben.

Unbekannt

Informationen zur Ausstellung

Musik
Sechseläuten Marsch
Mis Dach isch de Himmel vo Züri
Die kleine Niederdorf Oper
Toni Vescoli Plätz vo Züri
Züri – Die Hellen Barden- Anton Brüschweiler
Züri Marsch

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Lachen und sein Komponist Joachim Raff

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Frühling in Hyères

  1. Carmen Cabert

    Auf nach Zürich, dein Beitrag macht mich sehr neugierig, danke. Lieb Gruss, Carmen.

  2. ritanna

    Heimat ist, wo ich mich wohl fühle.
    Für mich ging früher die Schweiz bis zum Hauptbahnhof Zürich Gleis 13. Alles was weiter nordwärts war, war für mich “Ausland”.
    Zürich ist alles, Weltstadt, Dörfli, Moderne, und heimelig.

    In den 80ziger Jahren, kam ich als Landei dahin. Ich sah nur “Versicherungen” und “Banken” zur “SBG” USB wollte ich nicht arbeiten gehen. Nein in einem Grossraum- Büro fühlte ich mich eingepfercht.
    Doch 1980 sah ich die “Queen Elisabeth” auf dem roten Teppich am Tessiner Platz, bevor sie in den Cadilac einstieg.
    Die Demonstrationen erlebte ich als Zuhörerin in den hinteren Reihen.
    Ja, Zürich liebt und hasst man zugleich.
    Ich finde es super, dass Zürich sich selbst vorstellt.

  3. Kaufmann

    Klein aber fein. War an der Vernissage. Danke für die gute Dokumentation!

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