Weit ist es nicht bis zur Kartause Ittingen bei Frauenfeld im Kanton Thurgau.
Wozu dort übernachten, wenn man auch bald wieder zuhause wäre?
Reisen heisst für mich nicht Strecken überwinden, sondern Eintauchen in andere Kulturen, in besondere Stimmungen.
In der Kartause Ittingen herrscht eine einzigartige Stimmung, besonders während der Abend– und der Morgendämmerung.
Der Ort ist irgendwie durchtränkt von Geschichte und Geschichten. Gestern und heute vermischen sich.
Ich liebe Übergänge. Beispielsweise Morgen- und Abenddämmerung, wie ich sie in Ittingen erlebte. Übergänge sind Phasen von “nicht mehr und noch nicht”, in denen so vieles möglich ist.
Die ersten Schritte vom Parkplatz führten mich zu Unerwartetem: Ein Loop, eine in sich geschlossene Spiralbewegung auf Stelzen – ohne Ende.
So geht es wirklich oft in meinem Kopf. Ich musste schon ein erstes Mal über mich selbst lächeln.
Ich kam gerade noch rechtzeitig, um die letzten Sonnenstrahlen einzufangen.
An der “Réception” wurde ich von Hoteldirektor Valentin Bot herzlich begrüsst und bekam meine Zimmerschlüssel.
Durch einen dunklen Gang erreichte ich das Gästehaus. Während der Gesamtkomplex noch den Geist längst vergangener Jahrhunderte atmet, bieten die Hotelzimmer in ihrer stilvollen Schlichtheit und Funktionalität alle Annehmlichkeiten des modernen Lebens.
Schnell machte ich mich auf, um die Klosteranlage zu erkunden und die letzten Sonnenstrahlen einzufangen.
Die golden leuchtenden Laubbäume wirken als Kontrast gegen die Patina der Jahrhunderte alten Mauern.
Die Hausfassaden des Museumsgebäudes wirken dramatisch mit den drohenden Wolken im Hintergrund.
Ich war schon sehr neugierig auf das Museum, das die Geschichte dieses Ortes stimmungsvoll aufrollt. Doch zuerst lockten mich die Mönchsklausen mit ihren kleinen Gärten.
Während meines Rundgangs merkte ich schnell: Die Kartause, wie sie sich heute präsentiert, ist das Resultat von ständigen baulichen Veränderungen und Anpassungen an die jeweiligen Bedürfnisse im Verlauf von mehr als 900 Jahren.
Ursprünglich stand hier eine Burg, die 1079 zerstört und wieder aufgebaut wurde. 1150 entstand aus der Burganlage ein Augustinerkloster.
Aus der Zeit des Umbaus im 14. Jahrhundert ist viel Bausubstanz erhalten, darunter die Längsmauern der Kirche mit ihren Spitzbogenfenstern. Der kleine Kreuzgang bestand schon damals.
Ich wunderte mich über die “Egge”, die im Wappen der Kartause zu sehen ist. Keine Egge! Ein Märtyrer-Rost, auf dem Laurentius von Rom den Tod fand.
Ich mag grausame Kirchengeschichte nicht besonders!
Diese Geschichte aber gefällt mir: 1471 wurde das Kloster in den Ordensverband der Kartäuser aufgenommen. Ihren Regeln entsprechend wurde die Bevölkerung von den Gottesdiensten ausgeschlossen. Besonders Frauen durften die Kirche nicht betreten. So kam es schon im gleichen Jahr zum «Frauenstreik»: Die Warther Frauen drangen in die Kirche ein und erzwangen mit einem Sitzstreik eine eigene Kapelle in Warth.
Nach der Übernahme des Stifts durch den Kartäuserorden entstand der grosse Kreuzgang, um den die Häuschen der Mönche mit eigenem Garten angelegt sind.
1524 wurde die Kartause in Ittingen überfallen, geplündert und niedergebrannt. Die vertriebenen Mönche kehrten nur langsam zurück. Erst um 1550 wurden die Anlagen im Zuge der Gegenreformation wieder aufgebaut.
Aus dieser Zeit stammt das mit 1550 datierte Hauptportal.
Nach dem Niedergang der Alten Eidgenossenschaft 1798 war die Aufnahme von Novizen verboten. Das Klostervermögen wurde vom neu geschaffenen Kanton Thurgau beschlagnahmt, der Wirtschaftsbetrieb von staatlichen Verwaltern geführt. 1848 wurde das Kloster endgültig aufgehoben. Die Mönche mussten Ittingen verlassen. Die Anlage kam in Privatbesitz und wurde als Mustergut geführt.
1977 wurde die Kartause an die neu gegründete Stiftung Kartause Ittingen verkauft und 1978 bis 1983 für 49 Millionen Franken umfassend restauriert.
Die Stiftung betreibt heute ein Kultur- und Bildungszentrum und ein Behindertenwohnheim. Die Gebäude beherbergen das evangelische Begegnungs- und Bildungszentrum tecum, das Kunstmuseum Thurgau und das Ittinger Klostermuseum. Zum Betrieb gehören zwei Hotels mit 68 Zimmern und Seminarräumen, der multifunktionale Saal «Remise» und das Restaurant “Zur Mühle.”
In Ittingen kann man beispielsweise bestens Familienfeiern mit anschliessender Übernachtung organisieren.
Der Gutsbetrieb gehört zu den grössten Landwirtschaftsbetrieben im Kanton Thurgau. Neben der klassischen Landwirtschaft wird Wein angebaut. Zwei Hopfengärten liefern den Rohstoff für das eigene Bier. In der Käserei wird die Milch aus eigenen Ställen zu verschiedenen Käsesorten verarbeitet.
Die Produkte werden im Klosterladen verkauft.
Die Dämmerung war hereingebrochen, die Sonne gab alles, um den Himmel noch einmal in vielen Farben erglühen zu lassen, als ich schliesslich zum Museum ging.
Eine Leuchtschrift an der Wand verkündete: Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt. (F.N.)
Ich bin kein Fan von Friedrich Nietzsche. Ich bin nicht der Meinung, dass sich irgendein “Dasein und die Welt” rechtfertigen müssen. Aber Nietzsche und der Künstler Joseph Kosuth, dessen Werk die Leuchtschrift ist, werden sich wohl was dabei gedacht haben.
Leben sollte sich nie rechtfertigen, sondern so gut wie möglich gelebt werden. Da kam ich ins Grübeln, was denn Kunst sei – und meine Abneigung dagegen, irgendwas rechtfertigen zu müssen, regte sich wieder einmal heftig.
Frieden fand ich bei den geschnitzten Rosen. Ich bewundere Menschen, die solches schaffen können.
Beim Verweilen in den Klausen der Mönche stellte ich mir vor, wie sie über Tage schweigend ihren Handwerken nachgingen, lasen, schrieben und beteten.
Ich machte mir Gedanken, wie wichtig der Buchdruck war – und wie lange es gedauert hatte, bis auch einfache Leute lesen lernen durften.
Gern hätte ich gewusst, was die Mönche dachten, wenn sie alleine am Tisch assen, wenn sie aus dem Fenster schauten oder nachts nicht schlafen konnten.
Das Leben der Mönche war streng geregelt. Es war eine Kombination von eremitischer und klösterlicher Lebensweise. „Unser Bemühen und unsere Berufung bestehen vornehmlich darin, im Schweigen und in der Einsamkeit Gott zu finden“.
Erstaunlich: Auch Frauen wählten diese Lebensform. Im 18. Jahrhundert gab es fünf Kartäuserinnenklöster.
Unversehens geriet ich von den Mönchszellen in einen Raum mit Bildern von Ernst Kreidolf. Als Kind hat dieser Maler meine Fantasie mit Elfen bereichert, mit Blumenkindern und romantischen Landschaften.
So war ich übergangslos ins Kunstmuseum Thurgau geraten. Das Ittinger Museum ist eines von sechs kantonalen Museen im Thurgau. Ich besuchte die Ausstellung unter dem Titel „Adolf Dietrich – Mondschein über dem See“. Diese machte zum ersten Mal sichtbar, wie das Ausnahmetalent vom Bodensee seine Bilder erfand und mithilfe eines zeichnerischen Prozesses zu den heute beliebten Meisterwerken vervollständigte. Laufend gibt es neue, empfehlenswerte Ausstellungen.
Besonders gefällt mir, dass die Besucher aufgefordert werden, selbst auszuprobieren.
Als ich das Museum verliess, stand der Mond am Himmel.
Ich machte es mir im Hotelzimmer gemütlich, trank vom hauseigenen Wein, schwieg, schrieb und las – und schlief bestens bis am Morgen.
Die Nacht war kalt. Erstmals Raureif in diesem Jahr.
Die Kartause ist für ihre Gärten bekannt. Hier befindet sich mit mehr als 250 Sorten die grösste Sammlung historischer Rosen der Schweiz. Jetzt, nach dieser ersten Frostnacht, halten sich einige noch tapfer.
Am Abend leuchteten die Blüten der Kapuziner. Am Morgen hatten diejenigen, die nicht im Schutz der Mauer standen, Schaden genommen.
Mit stoischer Ruhe frassen die Schafe Gras-Eis, während die Sonne blass über das Hausdach lugte.
Im fahlen Morgenlicht schienen die Gärten besonders weitläufig zu sein…
… und die Türen zeigten sich in der kalten Morgenluft noch verschlossener.
Nicht mal die Gartenstühle wirkten einladend.
Ich warf noch einen Blick auf die zwischen den Hopfenstangen weidenden Schafe und verliess die Klosteranlage.
Die Fahrt führte über Land nach Dinhard, wo ich gemeinsam mit Hoteldirektor Valentin Bot die Brennerei von Christian und Patricia Zürcher besuchte.
Kaum losgefahren, mussten wir staunend anhalten. Der Morgennebel über dem Thurtal bot ein unglaubliches Naturschauspiel.
In der Brennerei erzählten mir Christan Zürcher und Valentin Bot die Geschichte von den Garten Hotels Schweiz – und wie es zum gemeinsamen Gin kam.
Immer mehr Menschen schätzen die Erholung in einem Garten. Eine Reihe von Schweizer Hotels hat sich zusammengetan, um den Gästen genau das zu bieten: einen Garten mit Wohlfühlnischen und Pflanzen aller Art.
Die Garten Hoteliers setzten sich zusammen und berieten, was sie gemeinsam lancieren könnten.
Von den vielen kreativen Ideen bekam diejenige vom Gin mit je einer Ingredienz aus allen Hotels am meisten Punkte. “Botanical Garden” sollte das Produkt heissen und in allen Hotels verkauft und genossen werden.
Nun ging es darum, zuerst einen Fachmann für die Rezeptur zu finden: den Spirituosenfachmann Arthur Nägele aus Rheineck. Seine Arbeit muss ein Geheimnis bleiben.
Christian Zürcher in Dinhard, rund 20 Minuten von Ittingen entfernt, ist ein erfahrener Brenn-Experte. Nach mehreren Testläufen war der Botanical Garden Gin geboren.
Wer genau hinschaut, erkennt Wachholder – klar – aber auch Rosenknospen. Schwieriger auszumachen sind Koriander, Holunderblüte, wilder Thymian, Engelwurz, Lavendel – und Mönchspfeffer aus Ittingen.
Eine Brennerei mit den technischen Anlagen ist faszinierend.
Es dauert seine Zeit, bis der klare Gin in einen Eimer fliessen und abgefüllt werden kann.
In Patricia Zürchers kleinem, liebevoll gestalteten Laden hat der Botanical Garden Gin einen Ehrenplatz.
“Nach unseren Tonic Versuchen, servieren wir den Botanical Garten nun immer mit dem Swiss Mountain Spring Tonic”, erzählt Projektleiter Valentin Bot.
Meine Botanical Garden Gin Fasche ist noch immer unangerührt. Ich liebe es, zusammen mit Freunden zu degustieren. Gemeinsam die Sinne zu schärfen und in Worte zu fassen, was Nase, Augen und Gaumen wahrnehmen, ist auch Lebensgenuss. Mönchspfeffer hat es bestimmt in keinem anderen Gin. Ich werde zwei oder drei weitere Gin-Sorten kaufen und ein kleines Gin-Fest machen. Feste soll man feiern, wie man sie feiern will – oder wie heisst der Spruch?
Nächsten Frühsommer will ich die Gärten von Ittingen in voller Blüte entdecken, und vielleicht auch andere Garten Hotels besuchen. Inseln im Alltag!
Als erstes hat Gott der Allmächtige einen Garten angelegt.
Sir Francis von Verulam Bacon (1561 – 1626)
Informationen
Kartause Ittingen
Garten Hotels
Brennerei Zürcher
Kunstmuseum Thurgau / Kartause Ittingen
Ittingen gehört zu den “Bodenseegärten“. Eine Inspirierende Seite für Gartenliebhaberinnen.
Musik
In der Kartause Ittingen gibt es immer wieder attraktive kulturelle Anlässe. Beispielsweise Konzerte mit András Schiff. Ich liebe seine Schubert– Interpretationen – hier ein paar Beispiele zum Reinhören.
F. Schubert- 4 Impromtus op. 90 D 899
F. Schubert Piano Sonatas D 566, 784, 850
F. Schubert Piano Sonatas D 568, 958
András Schiff über Schubert (Englisch gesprochen)
Und wer wieder einmal Schubert quer Beet geniessen will
Zu Kreidolfs Bildern passt: Les Sylphides von Chopin
Kurzfilm zur Kartause
Zineta
Liebe Regula es ist wunder schön mit rosen mit herbst farben beindrücklich. Liebe grüsse
Regula Zellweger
Danke, liebe Zineta, für Deine lieben Worte von so weit weg! Ich freue mich, bis wir im Frühling wieder zusammen in meinem Garten sein werden.
Leonie Renouil
Liebe Regula
Ich war mit meinen Kolleginnen und Kollegen von der ZHAW einen Tag zur Retraite in der Kartause in diesem Sommer. Dein wunderbarer Bericht und die stimmungsvollen Bilder lassen mich wieder daran denken. Ein wirklich spezieller Ort – wie geschaffen für die innere Einkehr. Vielen Dank!
Leonie Renouil
Ritanna
komme gerade von einem Einsatz zurück, konnte mich noch nicht näher mit der “Kartause” auseinander setzen. Jedoch der Überblick ergibt ein fantastisches Bild. Hinweis ist angekommen. Wunderbar.
Adrian Spiegel
Hallo Regula
Nur schnell in meiner Mittagspause in die “Kartause” geschaut. Muss mit Susanne da noch länger verweilen. Es ist höchste Zeit im nächsten Jahr mal hin zu fahren.
Herzlichen Dank und bei diesem trüben und kalten Wetter wirkt ein “Mönchspfeffer-Gin sicher Wunder. Frau soll die Feste feiern wie sie fallen, so glaub’ hab ich mal den Spruch gehört.
Lieber Gruss von Adrian
Regula Zellweger
Hallo Adrian
Nun haben wir ein neues Projekt, zusammen mit Susanne: Vorweihnachtliche Gin-Degustation.
Vielleicht finden wir noch Mittäter:-)
Herzlich
Regula
Carmen cabert
Jetzt habe ich noch mehr Lust dort einmal länger zu verweilen. Wunderbare Stimmungen hast du da eingefangen. Danke, Carmen.
Kathrina
Endlich kommt mein Echo, liebe Regula, denn der Blog über die Kartause Ittingen hat mich erinnert an viele Tage – und Nächte- die ich in der Kartause anlässlich von Weiterbildungsseminarien verbracht habe. Es blieb da auch viel Zeit, herumzustreifen, und das konnte ich nun in deinen stimmungsvollen Bildern wieder beleben.
Auf einer Führung wurde berichtet, dass die Mönche in ihren “Schrankbetten” geschlafen und die Türe geschlossen haben, um den Tod zu üben. Du hast ja auch ein Bild im Blog von einem solchen Schrank.
Noch zu Adolf Dietrich: Ein alter Freund, der den Maler noch persönlich gekannt hatte, erzählte mir, dass dieser im hohen Alter stark zitterte, in dem Moment aber, wo er einen Stift zur Hand nahm, diesen ruhig und sicher führen konnte.
Freue mich auf weitere Inspirationen von dir
Gruss Kathrina