La Ciotat

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Wer besucht schon auf einer Reise dem Mittelmeer entlang zwischen Marseille und Toulon La Ciotat? Man flaniert durch Sanary-sur-mer, wandelt im pittoresken Städtchen Cassis, dessen Name mich an Kir Royale erinnert, und Marseille sowieso – aber La Ciotat? Eine Handels- und Industriestadt mit grossen Kranen in der Hafenanlage.

Ich habe mich in La Ciotat verliebt.
Denn diese Stadt hat sich Authentizität bewahren können – trotz Touristenströmen.
“La Ciotat” ist Provenzalisch und heisst ganz einfach “die Stadt”.

Am Hafen erinnern imposante Gebäude daran, woher früher der Reichtum kam: Seehandel. Auch alte und moderne Industrieanlagen können faszinieren. Typisch sind die Felsformationen, die aussehen, als würde ein riesiger Meeresdinosaurier kurz auftauchen und seinen Rückenkamm zeigen.

Bei einem Spaziergang entlang der vier Häfen von La Ciotat, wo 1500 Boote Platz finden, überkommt einen heftiges Fernweh und man beginnt automatisch sein Lieblingsboot auszulesen Damit einfach lossegeln…

Die Wahl fällt allerdings schwer.

Es  kann auch ein kleines Boot sein, Hauptsache es spiegelt meine Träume.

Dominant ist die nüchterne Kirche Notre Dame aus dem 17. Jahrhundert.
Man kommt kaum um sie herum, wenn man ins dahinter liegende Städtchen gelangen will.

Gebote, Verbote, Warnungen.

Hinter der Kirche aber zeigt La Ciotat sein fröhliches Gesicht. Strassencafés säumen den „Place Sadi Carnot“ mit seinem Brunnen, worin sich die Sonnenschirme spiegeln und Tauben baden.
Zur Zeit der Römer war hier ein Friedhof, er wurde später vom Gemüsemarkt zum „Place de la Liberté“, danach standen hier die Fischmarkthallen.

Geheimtipp: Hier findet man einen Glaceladen mit weltbesten Eissorten. Wir empfehlen Zitrone mit Ingwer.
Man beachte die elektrischen Leitungen, die sich überall auf den Fassaden hemmungslos herumschlängeln.

Unzählige gemütliche Cafés laden zum Verweilen ein.

Sogar Bilderbücher für die Kleinen liegen in einem Strassencafé auf. Und man kann Ihnen Shirts kaufen, nach Seemannsmanier, so wie sie Picasso getragen hat.  

Und alte Männer liefern sich Strassenrennen…

Fenster schauen in die Gassen, Wäsche tropft auf die Köpfe der Touristen und Balkone werden mit Plastikblumen zu „Bonsai-Tropengärten“. Selbst Fensterpartien mit rostigen Gittern versprühen Charme und abblätternde hellblaue Farbe harmoniert mit uraltem Gemäuer.

Die Gassen sind so eng, dass sich Fenster in Fenstern spiegeln.

Weg von der Kirche dürfen selbst die Tauben bei Maria Schutz suchen.

Über Mittag ist die Stadt so schläfrig, dass selbst die Bäume laut gähnen und die Polizisten träge von Bistro zu Bistro pedalen.

 

Ich bin nicht die einzige, die sich in La Ciotat verliebt hat:

Bereits die Brüder Lumière drehten hier einige ihrer ersten Filme.
In der Stadt befindet sich das älteste noch erhaltene Kino, das Eden.
Und hier erlaubte Ernest Pitiot 1907 seinem Freund Jules Le Noir, der am Rheumatismus litt, bei einer Partie Jeu Provencale auf eine kürzere Distanz zu spielen.
 Und das Boule-Spiel Pétanque war geboren.

Sogar Bert Brecht liess mit „Der Soldat von La Ciotat“ eine seiner Kalendergeschichten hier spielen. Eine Geschichte über die Sinnlosigkeit von Kriegen. Denkt man an die Worte an der Kirchentüre: Heute beängstigend aktuell – und globalisiert.

 

Trotz dieser Ernsthaftigkeit: Es gilt, zu akzeptieren, was man nicht ändern kann, und zu geniessen, was es zu geniessen gibt. Wie anders? Und La Ciotat vermittelt mitsamt seiner bewegten Geschichte Lebensfreude. Erst recht!

Warten Sie nicht, bis das Schiff ankommt, schwimmen sie ihm entgegen.

Unbekannt

Link zu La Ciotat Tourismus

Link zu Brechts Kalendergeschichte „Der Soldat von La Ciotat“

Link zum Dienstverweigerer-Chanson „Le Déserteur“ von Boris Vian  

Link, zu klassischen französischen Chansons: Brassens, Brel & Ferré – Les Poètes de la Chanson Française

 

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Eisgugelhopf und Schneekönigin

  1. Martina Amato

    Liebe Regula

    Nachdem ich dein Zeilen über Ciotat gelesen und die schönen Bilder dazu angeschaut habe, muss ich mir ernsthaft überlegen, wieder einmal nach Frankreich statt Italien zu reisen 🙂

    Deine Erzählungen über Ciotat und seine romantischen Strassencafés lassen mich wärmere Tage herbeisehnen.

    A bientôt
    Martina

  2. Ritanna

    Herrlich diese Reisebeschreibung über das Städtchen. Ich darf es geniessen, spüre die Sonne, die Atmosphäre – und muss doch nicht dorthin – aus dem Haus, jetzt da es so kalt ist bei uns.
    Brechts Geschichten spüren nach, sind heute so gültig wie immer, die Soldaten, die Flüchtlinge, die die es trifft.

  3. Elisabeth

    Liebe Regula, in deinen Zeilen über dieses weniger bekannte Städtchen erkannte ich die schöne und etwas andere Stimmung die man beim Durchlaufen spürt . Der Geschmack der Ingwer Glace hatte ich beim Lesen wieder im Mund… gut gemacht danke!

  4. Mary

    Macht Lust zum losreisen…!!! Tolle Fotos, hab gerade das Gefühl durch das Dörfchen flaniert zu sein…

  5. Camilla

    Liebe Regis
    Ich hatte das Gefühl dabei zu sein – vielen Dank

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